Wann beobachtet der Verfassungsschutz eine Partei?
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Björn Höcke (links) von der AfD und Lutz Bachmann (Zweiter von rechts) von der islamfeindlichen Pegida nehmen gemeinsam am „Trauermarsch“ in Chemnitz teil.
© Quelle: AP
Berlin. Wann ist dem Verfassungsschutz gestattet, eine Partei unter Beobachtung zu stellen? Bei wem passiert das bereits? Und welche Folgen zieht das nach sich? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Wer will die AfD vom Verfassungsschutz beobachten lassen?
Am Wochenende demonstrierten Vertreter der AfD gemeinsam mit Anhängern der islamfeindlichen Pegida, Hooligans und bekannten Neonazis in Chemnitz. Die Rufe nach einer Beobachtung der AfD werden seitdem quer durch die Parteienlandschaft lauter. Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) will eine Beobachtung ebenso prüfen lassen wie FDP-Chef Christian Lindner oder Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Bislang sieht Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) keine Grundlage für eine Beobachtung, obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung dies laut jüngsten Umfragen befürwortet.
Warum steht die Partei bislang nicht im Fokus des Verfassungsschutzes?
Den Inlandsgeheimdiensten fehlen Hinweise dafür, dass die AfD als Ganzes bestrebt ist, "den Kernbestand des Grundgesetzes zu beeinträchtigen oder zu beseitigen". Dies ist laut Grundgesetz die Voraussetzung für eine Beobachtung einer Partei durch den Verfassungsschutz. In vielen Ländern werden bereits seit einiger Zeit extremistische Aktivitäten der AfD gesammelt und ausgewertet. Entscheidend ist, ob es sich dabei um Einzelmeinungen oder -agitationen handelt oder um eine Gesamtstrategie der Partei. Einzelne Personen – wie der frühere bayerische Landeschef und jetzige Bundestagsabgeordnete Petr Bystron aufgrund seiner Nähe zur rechtsextremen "Identitären Bewegung" – stehen bereits unter Beobachtung, nicht jedoch gesamte Landesverbände oder der Bundesverband. Seit diesem Montag ist bekannt, dass in Niedersachsen und Bremen die AfD-Nachwuchsorganisationen der Jungen Alternative von den jeweiligen Landesverfassungsschutzämtern beobachtet werden.
Wie verhält sich die AfD zu den Forderungen, sie beobachten zu lassen?
„Es gab bei unseren Veranstaltungen keine Hetzjagden gegen Ausländer, keine Ausschreitungen, keine Gewalt“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der AfD-Spitzen Alexander Gauland, Jörg Meuthen, Alice Weidel, Georg Pazderski und Kay Gottschalk. Die AfD sieht sich selbst auf dem Boden des Grundgesetzes. Ihre Vertreter bekennen sich öffentlich zu den Pfeilern des Rechtsstaates. Allerdings räumt die Partei ein, dass sie nicht dagegen immun ist, dass Extremisten in ihrem Umfeld auftreten. Die AfD wirft den anderen Parteien vor, einseitig gegen die AfD vorzugehen und mit zweierlei Maß zu messen.
Was muss man sich unter einer Beobachtung vorstellen?
Der Verfassungsschutz kann je nach Fall entscheiden, ob er einzelne Personen, die gesamte Partei oder Unterorganisationen in den Blick nimmt. Dazu werden zunächst offene Quellen wie Bildmaterial oder Zeitungsartikel, Internet-Einträge oder Parteileitlinien ausgewertet. Bleiben die Erkenntnisse mit solchen Mitteln weiter im Dunkeln, können die Inlandsgeheimdienste auf sogenannte Vertrauensleute („V-Leute“) zurückgreifen, die in die Partei eingeschleust werden. Um nachrichtendienstliche Mittel wie Telefonüberwachung einsetzen zu können, ist das Parlamentarische Kontrollgremium zu informieren. Grundvoraussetzung ist das Vorliegen einer gravierenden Straftat. Entschieden wird nach dem „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“.
Welche Parteien werden bereits vom Verfassungsschutz beobachtet?
Unter Beobachtung stehen politische Gruppen aus dem extrem linken und extrem rechten Spektrum. Dazu zählen die Parteien NPD, Die Rechte und Der III. Weg. Neben der MLDP oder der KPD sowie einzelnen Strömungen innerhalb der Linken steht auch die Zeitung „Junge Welt“ im linken Spektrum unter Beobachtung. Auch die Musikgruppe „Feine Sahne Fischfilet“, die am Montag in Chemnitz bei einem Konzert gegen rechts auftrat, stand von 2010 bis 2015 aufgrund verfassungsfeindlicher Texte unter Beobachtung. Im Visier stehen je nach Bundesland die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ sowie sogenannte Reichsbürger und Selbstversorger, die die Existenz der Bundesrepublik leugnen.
Von Jörg Köpke/RND