Warum Erdogan bei der Libyen-Konferenz eine wichtige Rolle spielt

Recep Tayyip Erdogan spricht zu Journalisten.

Recep Tayyip Erdogan spricht zu Journalisten.

Ankara. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein risikobewusster Politiker, der immer für eine Überraschung gut ist. Mit seinem von niemandem vorhergesehenen Coup einer neuen türkisch-libyschen Mittelmeerallianz hat er sich zum bedeutenden Akteur der Mittelmeerpolitik aufgeschwungen.

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In der Rolle des Schutzherrn der legitimen, von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung des libyschen Präsidenten Fajis al-Sarradsch will er im neuen „großen Spiel“ um die Öl- und Gasressourcen im östlichen Mittelmeer eine ebenso bestimmende Rolle spielen wie im Ringen um politischen Einfluss in einer Region, die er ohnehin als türkisches Einflussgebiet betrachtet, da sie jahrhundertelang zum Osmanischen Reich gehörte.

Deshalb soll Erdogan bei Angela Merkels internationaler Libyen-Konferenz am kommenden Sonntag in Berlin neben den Großmächten USA und Russland eine wichtige Rolle spielen. Diesen strategischen Erfolg erreichte der Autokrat mit dem denkbar geringsten Einsatz an menschlichen, finanziellen und militärischen Ressourcen.

Nach ein paar Treffen mit al-Sarradsch war der Deal perfekt, in dem die beiden Länder ein Drittel des Mittelmeeres zu ihrer exklusiven Wirtschaftszone (EWZ) erklärten und dabei griechische Inseln wie Rhodos und die Gewässer südlich von Kreta und nordwestlich von Zypern für sich beanspruchten – womit Erdogan die nach internationalem Seerecht anerkannte, damit überlappende zyprisch-griechische EWZ „kopiert“.

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"Guardian": Türkei hat bereits 2000 kampferprobte syrische Söldner nach Libyen geschickt

Erdogan geht es darum, energiepolitische Claims abzustecken, denn unter dem Meeresgrund werden reiche Gasvorkommen vermutet. Wie der britische Guardian am Mittwoch enthüllte, hat die Türkei bereits 2000 kampferprobte syrische Söldner zur Unterstützung von al-Sarradsch in das nordafrikanische Bürgerkriegsland geschickt. Mit ihrer Entsendung schlägt Erdogan weitere Fliegen mit einer Klappe: Er wird die dschihadistischen Rebellen aus der türkisch kontrollierten syrischen Provinz Idlib zumindest temporär los, kommt damit einer Forderung des ihm in einer ambivalenten Freundschaft verbundenen Kreml-Chefs Wladimir Putin nach und riskiert kaum Leben türkischer Soldaten.

Es ist nicht bekannt, ob Erdogan den Libyern außer der militärischen Unterstützung noch weitere Zusagen machte. Die USA und auch die EU rangen sich kaum mehr als zornige Proteste ab. Folgenlose Warnungen, die Erdogan bereits von seinen Erdgas-Bohrvorstößen in der EWZ Zyperns kennt und daher nicht weiter ernst nimmt. Durch den Vertrag mit der international anerkannten libyschen Regierung hat er immerhin den Schein der Legitimität gewahrt.

Verlassen kann er sich auf die Partnerschaft mit dem milliardenschweren Emirat Katar, mit dem ihn eine gemeinsame islamistische Ideologie verbindet. Beide sind die letzten verbliebenen staatlichen Unterstützer der arabischen Muslimbrüder und der palästinensischen Hamas. Damit schließt sich auch ideologisch der Kreis zu Libyen, denn Präsident Sarradsch gehört derselben islamistischen Richtung an.

Scheitern des Moskau-Gipfels hat Putin und Erdogan einen Gesichtsverlust beschert

Die weltanschauliche Komponente ist zugleich ein wesentlicher Grund, dass Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate den aufständischen libyschen General Chalifa Haftar militärisch absichern, denn sie hassen die Muslimbrüder, die sie als innenpolitische Konkurrenten betrachten. Sie werden ebenso auf der Berliner Konferenz erwartet wie Kremlchef Wladimir Putin, der Haftar unterstützt und ihm bereits rund 600 russische Söldner geschickt haben soll.

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Moskau stützt Haftar, Ankara stützt al-Sarradsch – diese Rivalität überschattet Erdogans Ambitionen auf dem Kampfplatz Libyen ebenso wie in Syrien, wo die Russen auf der Seite seines Feindes, des syrischen Gewaltherrschers Baschar al-Assad stehen. Doch während Putin im syrischen Theater weitgehend die Bedingungen diktiert, ist die Lage in Libyen weniger durchsichtig. Auch wenn Moskau und Ankara die jeweiligen Kriegsgegner unterstützen, so sind sich in einem Punkt einig: Ihre starke Position in Libyen ist ein Trumpf im geopolitischen Ringen ums Mittelmeer.

Wie in Syrien bestimmen die beiden Länder die Agenda in Libyen. Gemeinsam beriefen sie den Moskauer Waffenruhe-Gipfel vor einer Woche ein, der daran scheiterte, dass Russlands Schützling Haftar den Vertrag ablehnte. Das Scheitern hat Putin und Erdogan einen gemeinsamen Gesichtsverlust beschert. Umso größer scheint das diplomatische Risiko, das die deutsche Bundeskanzlerin mit dem Berliner Gipfel eingeht. Weit gravierender aber ist der Schaden für die Europäischen Union, die einen zentralen Konflikt in ihrem Nachbarschaftsraum ohne Not konkurrierenden Mächten überlässt, strategische Ratlosigkeit und außenpolitische Schwäche offenbart.

Griechenland und Tunesien nicht eingeladen

Letztlich ist Erdogans Libyen-Pakt eine unmittelbare Antwort auf die Ausgrenzung der Türkei bei der Ausbeutung der unterseeischen Bodenschätze im Seegebiet um Zypern. Die EU hätte eine internationale Konferenz über die Bodenschätze einberaumen können statt unter dem wohlwollenden Blick der USA die Gründung einer mediterranen Erdgas-Allianz durch Zypern, Griechenland, Ägypten und Israel und ohne die Türkei zu tolerieren.

Erdogan an den Katzentisch zu verbannen, ist keine gute Idee, denn sie baut die Spannung nicht ab, sondern auf. Tatsächlich erscheint die EU fast blind für die wachsende Kriegsgefahr an ihrer Südostflanke. Athen wird kaum tatenlos zusehen, wenn türkische Bohrschiffe in Fregatten-Begleitung vor Kreta aufkreuzen. Und Erdogan könnte als weitere Überraschung sogar eine Annektion Nordzyperns erwägen.

Falls Angela Merkel hofft, mit ihrer Konferenz der EU eine diplomatische Brücke zu bauen, so erscheint es befremdlich, dass sie mit Griechenland und dem unmittelbaren Libyen-Nachbarn Tunesien zwei bedeutende Akteure der Krise nicht eingeladen hat. Ohnehin ist nicht zu erwarten, dass die EU Erdogans Machtambitionen wirksam bremsen wird. Das kann in Libyen nur der militärisch starke General Haftar, der dafür aber die Hilfe Russlands benötigt.

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Am Freitag ist Haftar nach Athen gereist, um sich mit dem von Brüssel im Stich gelassenen Türkei-Gegner zu verständigen. Kommt er nicht nach Berlin, hat die Konferenz ihren Sinn verloren. Je näher das Treffen rückt, desto stärker zeichnet sich ein Debakel ab. Es bleibt abzuwarten, was intensive Diplomatie noch bewirken kann.

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