Was steht in den veröffentlichten Kennedy Akten?

US-Präsident John F. Kennedy kurz vor dem Anschlag in Dallas, Texas.

US-Präsident John F. Kennedy kurz vor dem Anschlag in Dallas, Texas.

Washington. „Ich habe keine andere Wahl.“ Halb zerknirscht, halb beleidigt beugt sich Donald Trump dem Drängen des Auslandsgeheimdienstes. Rund 200 Akten bleiben unter Verschluss. Zu kritisch. Zu groß die Gefahr, noch lebende Informanten in Bedrängnis zu bringen. So gerne hätte Trump den großen Aufklärer gegeben. Doch der Präsident bekommt in diesen Tagen mit Wucht die Macht „der Dienste" zu spüren. CIA und FBI setzen sich durch: Die Freigabe der letzten noch geheimen Dokumente zur Ermordung von John F. Kennedy steht unter ihrer Regie.

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Amerika hat dieser Freigabe Tausender als geheim klassifizierter Papiere regelrecht entgegengefiebert. Am Donnerstag ist die Geheimhaltungsfrist für die letzten Dokumente abgelaufen. Nicht überraschend, sondern als Termin seit 25 Jahren feststehend. Am Mittwoch befeuert Trump noch einmal per Twitter die Hoffnung, dass die Nation nun endlich einem der großen Rätsel der jüngsten US-Geschichte auf den Grund gehen wird: „Die lange erwartete Freigabe der JFK-Dokumente wird morgen stattfinden. So interessant!“

Der Attentäter Lee Harvey Oswald vor seiner Befragung in Dallas.

Der Attentäter Lee Harvey Oswald vor seiner Befragung in Dallas.

Noch am Donnerstag aber wird erbittert um einzelne Textpassagen gestritten. Mit dem Ergebnis, dass von 3100 Akten in der Nacht zu Freitag nur 2891 zum Download aus dem Nationalarchiv freigegeben werden. Für den Rest gilt eine Überprüfungszeit von weiteren 180 Tagen.

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Und prompt flammen die alten Zweifel wieder auf. Regierungsmitarbeiter raunen in Washington hinter vorgehaltener Hand über spätabendliche Anrufe und diskrete Treffen: Die CIA-Führung soll mehrfach im Weißen Haus „in Sachen JFK“ interveniert haben, um die Veröffentlichung zu verhindern. Was hat der Geheimdienst zu verbergen?

Zwei Drittel aller Amerikaner können sich bis heute nicht vorstellen, dass die politische Lichtgestalt des 20. Jahrhunderts von einem einfachen Verbrecher getötet wurde. Einem Einzeltäter ohne – inländischen? ausländischen? – Auftraggeber im Hintergrund. Auch 54 Jahre nachdem der jugendliche Präsident John F. Kennedy auf der Fahrt durch Dallas im offenen Wagen erschossen wurde, mag sich kaum jemand mit einer einfachen Antwort zufriedengeben. Und so stürzt sich eine ganze Nation – Historiker, Politiker, Journalisten, Freizeitforscher – auf jedes Fetzchen an Information.

„Oswald war der Täter, es gibt keine anderen Hintergründe“

Die „New York Times“ hat umgehend einen Liveticker gestartet, veröffentlicht Zug um Zug Informationen – und bittet ihre Leser um Hilfe beim mühsamen Sichten der 50 Jahre alten Papiere. Die historische und politische Einordnung wird allerdings Monate, wenn nicht Jahre dauern.

Mit Leidenschaft wird in den Bars und Cafés Washingtons jetzt über die Frage diskutiert, warum die CIA 1963 den späteren JFK-Attentäter Lee Harvey Oswald bei einer überaus verdächtigen Reise nach Mexiko überwachte, diese Spur aber nicht weiter verfolgte. Der Mann, der nur sieben Wochen später eines der spektakulärsten Attentate der Weltgeschichte begehen sollte, hatte sich in den Botschaften der Sowjetunion und Kubas offenbar vergeblich um ein Visum bemüht.

In Mexiko City, so legt eines der Dokumente jetzt nahe, hat er am 28. September Kontakt zu einem Mitarbeiter des sowjetischen Geheimdienstes KGB gehabt – der für die Abteilung 13 arbeitete, zuständig für Sabotage und Attentate. Am 1. Oktober soll Oswald noch einmal angerufen und sich erkundigt haben, ob es „Neues wegen des Telegramms nach Washington“ gebe.

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Gab es eine Panne beim Geheimdienst? Wurden seine Ermittlungen von politischer Seite unterbunden? Wenn ja, warum?

Von hieraus erschoss Oswald den Präsidenten.

Von hieraus erschoss Oswald den Präsidenten.

Es sagt viel über die innere Verfasstheit Amerikas aus, dass in aller Ernsthaftigkeit über diese Fragen gestritten wird. Die ohnehin große Skepsis gegenüber den staatlichen Behörden, das schwierige Verhältnis zu den eigenen Geheimdiensten brechen sich Bahn: Im Zweifelsfall ist denen alles zuzutrauen.

Für die Zeit des Kalten Krieges scheint das auf jeden Fall zuzutreffen. So heißt es in den jetzt zugänglichen Papieren des FBI, die 1975 verfasst wurden, über Fidel Castro: „Die CIA suchte nach Möglichkeiten, mit der Mafia zusammenzuarbeiten, um den kubanischen Diktator zu töten.“ Und an anderer Stelle steht: „Die CIA war in einen Waffenschmuggel eingebunden, um General Trujillo zu ermorden.“ Tatsächlich wurde der damalige Diktator der Dominikanischen Republik 1961 getötet. Dass die CIA an ihre damaligen Methoden nicht erinnern will, erscheint nachvollziehbar.

Kurz nach den tödlichen Schüssen.

Kurz nach den tödlichen Schüssen.

Seltsam erscheinen dagegen die Aussagen von FBI-Chef J. Edgar Hoover zum Tod des Kennedy-Attentäters. Den JFK-Akten ist zu entnehmen, dass das FBI am Tag vor der Ermordung Oswalds einen anonymen Anruf erhalten habe: Der Anrufer gab sich als Mitglied eines Komitees aus, das Oswald umbringen sollte. Trotz der später noch einmal wiederholten Warnung wurde nichts getan, um Oswald auf dem Weg zu einer Vernehmung besonders zu schützen.

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Das war ein Fehler, räumt Hoover ein – weil er gerne ein Geständnis gehabt hätte. Andererseits: Hoover selbst hatte schon unmittelbar nach der Festnahme Oswalds verkündet: „Oswald war der Täter, es gibt keine anderen Hintergründe.“ Wollte der ebenso umstrittene wie gefürchtete Polizeiboss in Wahrheit jede tiefergehende Untersuchung verhindern?

Tatsächlich bleiben die Verbindungen Lee Harvey Oswalds zur Sowjetunion und zum KGB die größte Auffälligkeit. Doch es gibt auch Dokumente, die belegen, dass Oswald von den Sowjets als psychisch äußerst labil eingeschätzt wurde und daher als KGB-Agent nicht infrage kam, obwohl er mehrere Jahre in der Sowjetunion gelebt hatte. Am Ende bleibt lediglich Raum für Spekulationen, dass Oswald zu dem Attentat ermuntert worden ist.

Die Schlagzeilen am Tag nach dem Attentat.

Die Schlagzeilen am Tag nach dem Attentat.

Die Verstrickungen und Verwirrungen wirken bis in die Jetztzeit. So hat Donald Trump im Wahlkampf 2016 dem Vater seines damaligen Konkurrenten Ted Cruz persönliche Nähe zu dem JFK-Attentäter unterstellt: „Was hatte er damals mit Oswald kurz vor dessen Tod zu besprechen? Direkt vor den Schüssen. Das ist fürchterlich“, orakelte Trump im Frühjahr 2016 im Sender Fox News. Cruz bezeichnet die Geschichte schlicht als Quatsch.

Sein Vater war zwar unter dem früheren kubanischen Diktator Fulgencio Batista politischer Gefangener, aber keineswegs ein Anhänger des Kommunisten Fidel Castro. Bis heute wird über ein Foto gestritten, das Cruz Senior und Oswald in einer Straßenszene zeigen könnte. Es ist aber weder belegt, dass es tatsächlich den Vater des heutigen Politikers zeigt, noch, dass sich die Männer kannten. Auch in den Dokumenten der JFK-Ermittler taucht der Name Cruz nur einmal auf: Der damalige kubanische Botschafter in Kanada trug diesen Namen – und soll das Attentat auf Kennedy in seiner Botschaft mit einem fröhlichen Fest gefeiert haben.

Wahlkämpfer Trump konnte sich trotzdem bestätigt fühlen: Die jahrzehntelangen Verdächtigungen und Vermutungen einmal mehr zu befeuern hat die Aufmerksamkeit für seine Person erhöht – und seinem Konkurrenten geschadet. Verschwörungstheorien rund um den Tod John F. Kennedys finden immer dankbare Zuhörer.

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Ein Ausschnitt einer Akte, datiert auf den 24.11.1963, in der der damalige Direktor des FBI, J. Edgar Hoover, über den Tod von Lee Harvey Oswald spricht.

Ein Ausschnitt einer Akte, datiert auf den 24.11.1963, in der der damalige Direktor des FBI, J. Edgar Hoover, über den Tod von Lee Harvey Oswald spricht.

Die Zweifel bleiben, obwohl der Ausschuss zur Untersuchung der Ermordung Kennedys, die sogenannte Warren Commission, bereits 1964 erklärt hatte, Oswald sei ein Einzeltäter gewesen. Auch eine weitere Untersuchung des Kongresses brachte 1979 keine Beweise für die Theorie, dass der Geheimdienst beteiligt war, dass ein Teil Amerikas diesen jungen, demokratischen Präsidenten loswerden wollte.

Vielleicht wäre der Mythos längst verblasst, hätte nicht ausgerechnet einer der berühmtesten zeitgenössischen Regisseure die Verschwörungstheorien Anfang der Neunzigerjahre geadelt. Mit seinem Film „John F. Kennedy – Tatort Dallas“ setzte Oliver Stone in den USA eine breite Debatte über die Hintergründe des Verbrechens in Gang. Da Stone eine Beteiligung des Staates andeutete, sah sich der Kongress 1992 gezwungen, ein eigenes Gesetzes zu verabschieden, das die vorzeitige Veröffentlichung von Millionen Dokumenten zu dem Fall ermöglichte, um das Vertrauen in polizeiliche Ermittlungen zurückzugewinnen. Nur für einige wenige Papiere wurde eine weitere 25-jährige Frist gesetzt, die nun endete.

Zu Wort melden sich in diesen Tagen all diejenigen, die bereits früher von den düsteren Geschichten profitierten. Vorneweg der Politikwissenschaftler Larry Sabato, dessen Buch „The Kennedy Half-Century“ so bekannt wie umstritten ist. „Die Menschen wollen endlich wissen, was die Regierung wann wusste“, sagt der Professor der University of Virginia. „Die Regierung, das FBI und die CIA waren damals nicht bereit, kritische Details zu veröffentlichen.“

Unklar, was zwischen dem Weißen Haus und dem FBI gespielt wurde

Tatsächlich wären all die absurden Gerüchte über den Mord kaum möglich gewesen, hätte der Täter nicht ausgerechnet in Dallas die tödlichen Schüsse abgegeben – in einer Stadt, die sogar in Kennedys Umfeld als „Ort des Hasses“ galt.

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Der Präsident wurde bei seiner Ankunft am 22. November 1963 alles andere als gefeiert. Im Gegenteil: Viele Gegner konnten sich vor Wut kaum halten, als das Staatsoberhaupt im offenen Wagen durch die Innenstadt rollte.

Viele Texaner beschimpften JFK als Kommunistenfreund und Papst-Spion. Der schwerreiche Unternehmer Haroldson Lafayette Hunt hatte ausgerechnet für diesen Tag in der örtlichen Zeitung eine Brandrede gegen Kennedy als Anzeige geschaltet, die äußerlich einem Nachruf mit Trauerrand glich. In dem fett gedruckten Text beschimpfte Hunt den Präsidenten als Verräter und Verbündeten Moskaus.

Flugblätter wurden entlang der geplanten Fahrtroute verteilt, auf denen ein Foto des Präsidenten zu sehen war – versehen mit dem Zusatz „Gesucht wegen Landesverrat“. Es gab nicht wenige Berater, die dem Chef des Weißen Hauses nahelegten, in der aufgeheizten Stimmung den Besuch in Dallas abzusagen.

Die spätere Begeisterung für John F. Kennedy, der erst durch sein tragisches Ende zur Legende wurde, lässt die scharfen Debatten um Kuba-Krise, Aufrüstung, Berlin-Politik in Vergessenheit geraten. Und auch die Diskussion um die Washingtoner Moral. Ausgerechnet am Tag des Attentats erschien im auflagenstarken Magazin „Life“ ein siebenseitiger Artikel, der die Hauptstadt erschütterte: Mehrere Kongressabgeordnete schlitterten immer tiefer in einen Sex- und Korruptionsskandal hinein, bei dem es um millionenschwere Regierungsaufträge ging. Diverse Politiker sollen an den Vorhaben mitverdient und im Dunstkreis eines Prostitutionsrings agiert haben.

Kennedys Beerdigung.

Kennedys Beerdigung.

In dem Bericht taucht auch erstmals der Name Ellen Rometsch auf, die das FBI der Spionage für den Osten verdächtigte, da sie aus der DDR stammte. Ohne Umschweife behauptete der Autor, dass die junge Frau in höchsten gesellschaftlichen Kreisen verkehrte. Rometsch gilt als letzte Geliebte Kennedys. FBI-Direktor Hoover soll persönlich dafür gesorgt haben, dass die dunkelhaarige Schönheit, Ehefrau eines Bundeswehrunteroffiziers, nach Deutschland zurückgeschickt wurde.

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Bis heute ungeklärt ist allerdings, warum das FBI 1963 eine Akte über Rometsch anlegte, insgesamt fast 500 Seiten zusammentrug und den Fall bis 1987 weiterverfolgte. Bestätigt ist lediglich, dass sich der Spionageverdacht nie erhärten ließ. Noch heute fragen sich Historiker, was damals eigentlich zwischen dem Weißen Haus und dem FBI gespielt wurde. Womöglich finden sich schon bald Antworten in den letzten Akten des John F. Kennedy.

Von Stefan Koch/RND

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