Feindbild „Wokeism“

Wer pöbelt lauter? Das Dilemma der Konservativen

„Man darf Rechtskonservative und Rechtspopulisten nicht in einen Topf werfen“, sagt Politologe Wolfgang Merkel.

„Man darf Rechtskonservative und Rechtspopulisten nicht in einen Topf werfen“, sagt Politologe Wolfgang Merkel.

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Wie schnell man im heutigen Kulturkampf unter die Räder geraten kann, musste jüngst der US‑Getränke­konzern Anheuser-Busch InBev erfahren. In Kooperation mit der transgender Influencerin Dylan Mulvaney sollte die etwas angestaubte Biermarke Bud Light aufgepeppt werden. Das misslang gründlich, weil die Rechte im politisch aufgeheizten Amerika einen öffentlich Sturm entfachte – schließlich ging es um „Bier!“. Der Absatz von Bud Light brach um ein Viertel ein.

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Der Musiker Kid Rock schoss auf Twitter mit einem Gewehr auf Boxen voller Bud-Light-Dosen, begleitet von Flüchen und einem ausgestreckten Mittelfinger. Die prominente Republikanerin Kari Lake aus Arizona schrieb auf Twitter, ihre Anhänger hätten auf einer Wahlkampfveranstaltung Bud Light an einer kostenlosen Bar verschmäht. Wer auf „woke“ setze, der gehe eben pleite. „Traurig!“, kommentierte sie.

„Woke“ ersetzt „Gutmensch“ und „political correctness“

„Wokeism“ oder „Wokeness“, worunter ganz allgemein ein „erwachtes“ (wokes) Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus gemeint ist, ist zum erklärten Feindbild eines breiten gesellschaftlichen Spektrums geworden, welches von Liberalen und gemäßigten Konservativen bis hin zur extremen Rechten befeuert wird. Also auch, wenn FDP-Chef Christian Lindner gegen „linke Lebenslügen“ oder sein CSU-Kollege Markus Söder gegen den „Woke-Wahnsinn“ giften. „Woke“ hat als Unwort frühere Begriffe wie „Gutmensch“ oder „political correctness“ abgelöst – und bleibt dabei ähnlich unscharf und dadurch beliebig.

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Wenn Sie sich Sorgen um Big Tech, Big Business und Big State, hohe Steuern und Regulierung, die Auswirkungen des Hyperliberalismus und der Globalisierung machen, dann sind Sie ein Nationalkonservativer.

James Orr,

Philosophieprofessor an der Universität Cambridge

„Wenn Sie sich Sorgen um Big Tech, Big Business und Big State, hohe Steuern und Regulierung, die Auswirkungen des Hyperliberalismus und der Globalisierung machen, dann sind Sie ein National­konservativer“, erklärte jüngst James Orr, Philosophieprofessor an der Universität Cambridge, den Anwesenden eines Kongresses. Britische Konservative, die sich als ideologische und politische Speerspitze im Kampf konservativer Parteien gegen Globalisierung und Wokeism sehen, hatten dazu ins Emmanuel Centre im Londoner Westminster-Parlament eingeladen.

Kevin Roberts, Präsident der Heritage Foundation, einer führenden konservativen Denkfabrik in Washington, D. C., beschrieb das Feindbild so: „Die neue Linke, die gierig, elitär, woke und globalistisch ist, hat jedem Prinzip abgeschworen, für das ihre ideologischen Vorgänger einst eintraten: Demokratie, Gleichheit, Vielfalt, Gerechtigkeit.“ Und wurde konkret: „Heute verkörpert die EU den kulturellen Chauvinismus, die geistige Dekadenz, die strategische Inkompetenz und den tyrannischen Ehrgeiz, die den Kontinent seit Jahrtausenden ins Chaos gestürzt haben.“

Michael Anton, ein Ex‑Berater von Donald Trump, zählte auf der besagten Konferenz Faktoren auf, „die den gesamten Westen zu verschlingen drohen“: „Ist es der ‚Wokeism‘? Sind es die Medien? Ist es der Verwaltungs­staat? Ist es dieser Universitäts-NGO-internationale-Wichtigtuer-Komplex?“ Und gab dann die Antwort: „Ich würde sagen, es sind alle zusammen.“

Krieg des Gouverneurs Ron DeSantis gegen den „Wokeism“

Ron DeSantis, Gouverneur von Florida, möchte 2024 US‑Präsident werden. Seine „politische Agenda“, eher ein destruktives Begriffsbashing, fasst die „Washington Post“ folgendermaßen zusammen: „Der Krieg des Gouverneurs von Florida, Ron DeSantis, gegen den ‚Wokeismus‘, der oft als Kulturkrieg oder als Angriff auf das Establishment zum Aufbau seiner konservativen Marke abgetan wird, ist in Wirklichkeit ein Krieg gegen die Ausgegrenzten. Da er spürt, dass sie nicht die Macht haben, sich zu wehren, missachtet er die Verfassung, das Landesrecht oder alles, was ihm in die Quere kommt.“

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Für den Politikwissenschaftler Wolfgang Merkel ist Wokeism zwar nicht der zentrale Begriff, doch zumindest ein Kampfbegriff, unter den sich vieles, was unzufriedene Menschen irritiert, subsumieren lässt – und der zudem einer der grundlegenden Fehler der Linken symbolisiert:

Dogmatik und Arroganz von Teilen der Linken sollten unterbleiben, um nicht jenen Teil der Bevölkerung zu verlieren, der eigentlich offen für den demokratischen Diskurs ist.

Wolfgang Merkel,

Politologe

„Man darf nicht völlig außer Acht lassen, dass alles, was unter Wokeism zusammengefasst wird, nicht völlig unschuldig am Zulauf rechter Parteien ist.“ Die gesellschaftlichen Veränderungen, der Kampf für eine gender­gerechte Sprache, veränderte Konsum­gewohnheiten, eine andere kulturelle Lebenswirklichkeit – das alles tangiere die Wertewelt und die Vorstellungen der eher traditionalistischen Bevölkerungskreise. Wenn diese veränderten Werte dogmatisch vermittelt würden, beispielsweise als Gebot und Verbot, dann werde das als elitärer Gegenentwurf zum rechtskonservativen Wertekanon gesehen. „Dogmatik und Arroganz von Teilen der Linken sollten unterbleiben, um nicht jenen Teil der Bevölkerung zu verlieren, der eigentlich offen für den demokratischen Diskurs ist“, sagt Merkel dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Menschen fühlen sich überfordert

Tatsache ist, dass sich in Deutschland, aber auch in den europäischen Nachbarländern und den USA ein beachtlicher Teil der Bevölkerung von Forderungen der Woke-, Identitäts- und Klimabewegung überfordert fühlt. Doch der demokratische Konservatismus setzt sich damit kaum inhaltlich auseinander, sondern reagiert mit Polemik – das trifft zunehmend auch auf deutsche Unionspolitiker wie CDU-Chef Friedrich Merz zu, der den Klimaschutz als „gelenkt von linken Ideologen aus dem akademischen Milieu“ abkanzelt. Das bringt zwar Schlagzeilen ein, aber kaum Zustimmung für die Union bei den Wählerinnen und Wählern, wie jüngste Umfragen zeigen.

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„Man darf Rechtskonservative und Rechtspopulisten nicht in einen Topf werfen. Rechtskonservative, auch überwiegende Teile der CSU und CDU-Chef Friedrich Merz zähle ich dazu, sind keine Populisten und bewegen sich selbstverständlich innerhalb des demokratischen Spektrums, wenngleich deutlich auf der Rechten positioniert“, so der Politologe Merkel.

Doch vor allem im konservativen Lager in Großbritannien und den USA, bei Tories und Republikanern, bei Politikern wie Jacob Rees-Mogg, Ron DeSantis oder eben Donald Trump überwiegt laut Merkel „eine reaktionär-populistische Sichtweise statt eines konservativen Weltbilds. Sie bedienen sich massiv rechts­populistischer Methoden der Polarisierung und Konfliktintensivierung, während Konservative ja eher auf Mäßigung und eine harmonische Status-quo-Gesellschaft zielen.“

„Krawallkonservative“ und die „destruktive Lust am Radau“

Von „Krawallkonservativen“ spricht die Publizistin und Juristin Liane Bednarz, selbst CDU-Mitglied und bekennende Konservative. In einem Artikel für die „Zeit“ kritisiert sie die „destruktive Lust am Radau“, von „Menschen aus dem konservativen, aber auch liberalen Spektrum, die nicht am rechten Rand der Gesellschaft stehen, sich im Gegenteil davon abgrenzen“. Diese übernähmen „den von rechts kommenden Jargon des Moralbashings und werfen damit lustvoll um sich“.

Kid Rock und die Schüsse auf Kisten mit Bud-Light-Bier haben zwar nichts mit der politischen Positionierung konservativer Politiker zu tun, doch sie zeigen, in welcher Tonalität die Kontroverse heute geführt wird. „Der deutsche Konservatismus hat sich (…) in eine destruktive Negativspirale begeben“, glaubt die Publizistin Liane Bednarz. „In den sozialen Medien wird über dieses Thema oft unglaublich laut geredet“, so resignierend Michel Doukeris, Chef des Bud-Light-Mutterkonzerns Anheuser-Busch InBe, in der „Financial Times“.


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