„Wir sollten uns an die Wähler wenden“
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Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) in der Sparkassen-Arena in Kiel.
© Quelle: Carsten Rehder/dpa
Kiel. Ein paar Sekunden lang hört es sich in Kiel so an, als würde Angela Merkel in Kiel ihre eigene Ära beenden. Da nämlich steht sie auf einer blaugetönten Bühne. "Deutschland 2030" prangt auf der Wand hinter ihr, vor ihr sitzen rund 1000 Mitglieder der Jungen Union. Es ist ihre Jahresversammlung, in der Woche vor der Bayernwahl, drei Wochen vor der Hessen-Wahl. In beiden Bundesländern sind die Umfragewerte der Union abgesackt.
Und Merkel sagt: „Wir müssen etwas tun. Wir müssen uns bewegen. Wir müssen die Weichen für die Zukunft stellen.“ In der Union wird nicht ausgeschlossen, dass sie nach den Wahlen als Parteivorsitzende in Frage gestellt wird. Sie wird doch nicht? Einen Rückzug ankündigen?
Vor allem eine Kanzlerinnen-Rede
Keine Spur. Es geht Merkel um Forschungsförderung. Es seien wichtige Zeiten, sagt Merkel. Man müsse die Frage beantworten: „Was für ein Land wollen wir sein?“ Ein Land, das Batteriezellen herstellt und Computerchips, eines mit einer tollen Autoindustrie, auch wenn die ziemlich empörend rumgetrickst habe mit ihren Abgaswerten. Und die Außenpolitik müsse eine gemeinsame europäische sein. Es ist vor allem eine Kanzlerinnenrede. Den Parteivorsitzendenpart kann man ahnen: Angst, Griesgrämigkeit und Rummosern begeistere die Leute nicht, sagt Merkel. Und auch kein Streit in der Partei und in der Regierung. Die Flüchtlingspolitik ist da ein zwingendes Stichwort – CDU und CSU haben sich darüber nahezu komplett entzweit.
Nicht zurückblicken, findet Merkel, sondern nach vorne. Insbesondere in der Flüchtlingspolitik sei das so. „Manchmal diskutieren wir das Thema so als lebten wir noch im Sommer 2015.“ Und sie mahnt, sich vor den anstehenden Landtagswahlen nicht zu zerlegen: „Wir sollten uns an die Wähler wenden und nicht miteinander Fingerhakeln.“
Die Junge Union macht es Merkel nicht besonders schwer. „Don’t stop believing“ spielt sie zu Merkels Einzug in die Halle – „Hör nicht auf zu glauben.“ Der gerade wiedergewählte JU-Chef Paul Ziemiak merkt zwar an: „So wie die Koalition sich in den letzten Monaten dargestellt hat, darf es nicht weiter gehen.“ Er lobt aber auch ausdrücklich die Arbeit der Kanzlerin und fragt höflich: „Wie geht es weiter?“
„Frauen bereichern das Leben nicht nur im Privaten“
Die Delegierten fragen nach Rentenkonzepten, der Abschaffung des Solidarbeitrags und nach den Strompreisen für die Industrie. Viele Details lässt Merkel auf sie herabregnen. Nebenbei kritisiert sie das mangelnde umweltpolitische Profil der Jungen Union und kommentiert süffisant den nur mit Männern besetzten Vorstand der JU: „Frauen bereichern das Leben nicht nur im Privaten. Keine Angst – Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.“
Ein Delegierter aus Bayern stellt die Führungsfrage: „Wie beabsichtigen Sie, politische Führung wieder herzustellen. Ich glaube nicht, dass es ihnen noch möglich ist.“ Es gibt vereinzelte Klatscher. Merkel weist ihn für einen anderen Teil seines Statements zurecht. Eine „Herrschaft des Unrechts“ habe die Flüchtlingspolitik der vergangenen Jahre nicht begründet, alles sei rechtlich einwandfrei. Da bekommt sie Applaus.
Zum Abschied Wandersocken und Regenjacke
Zum Abschied bekommt die Kanzlerin wie alle anderen Redner ein Paar Wandersocken und eine gelbe Regenjacke. „Ich schließe daraus, dass sie mich nicht im Regen stehen lassen“, sagt sie fröhlich.
Als sie aus dem Saal ist, stimmt der Parteinachwuchs dafür, die Amtszeit von Bundeskanzlern zu begrenzen.
Ein paar Stunden später zieht Jens Spahn in den Saal ein, der sich als einer von Merkels Erben in Position gebracht hat. „Ich spring von Level zu Level, bis der Endboss kommt“ singt der Deutsch-Rapper Marteria dazu vom Band. Spahn spricht über Gräben, die die überwunden werden müssten, über „Moralkeulen überall“ in den politischen Debatten und darüber, dass es „nicht darum geht, Sitzungen zu leiten, sondern das Land zu regieren“. Der Applaus ist freundlich. „Das Beste kommt noch“, sagt Spahn zum Schluss. „Vieles ist gerade im Rutschen.“
Von Daniela Vates/RND