Urlaub mit Impfung für 1999 Euro – was ist dran am umstrittenen Angebot?

Ein Flugzeug beim Landeanflug über Touristen mit Sonnenliegen und Sonnenschirmen.

Ein Flugzeug beim Landeanflug über Touristen mit Sonnenliegen und Sonnenschirmen.

Während in Deutschland und anderen europäischen Ländern nach wie vor nicht absehbar ist, wann die jüngere und reisewillige Bevölkerung geimpft werden kann, glauben Reiseveranstalter ein neues Geschäftsmodell entdeckt zu haben: Das Nützliche mit dem Schönen verbinden. „Lassen Sie sich im Urlaub gegen Corona impfen“ – mit diesem und ähnlichen Slogans werben Veranstalter aktuell für Impfreisen. Zunächst waren die Vereinigten Arabischen Emirate, Israel und die Seychellen als mögliche Ziele angepriesen worden. Doch daraus wurde bislang nichts. Stattdessen werden nun Reisen nach Russland durchgeführt.

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Impfung mit Sputnik V in Russland – samt Pauschalurlaub in der Türkei

Der in Deutschland bisher eher unbekannte norwegische Reiseveranstalter World Visitor wirbt damit, „als erster Veranstalter konkrete Impfreisen“ anzubieten. Drei Angebote seien auch ab Deutschland buchbar. Zur Auswahl stehen ein dreiwöchiger Kuraufenthalt in der Nähe von Moskau für 2999 Euro, Impfung im Transit und Weiterflug zur Pauschalreise die Türkei für 1499 Euro, oder zwei Kurztrips nach Moskau oder St. Petersburg mit Übernachtungen im Transithotel für 1999 Euro. Während dieser „Spritztouren“ sollen Reisende den Impfstoff Sputnik-V erhalten. Zuvor steht ein ärztliches Beratungsgespräch an, nachdem sich die Urlauber entscheiden, ob sie sich tatsächlich impfen lassen wollen.

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Dutzende deutsche Touristen haben bereits eines der Angebote wahrgenommen und ihren ersten Piks in Moskau erhalten. Russland hat am 1. April die Grenzen für deutsche Bürgerinnen und Bürger geöffnet, die Einreise per Flugzeug ist wieder möglich. Benötigt werde eine Einladung der Klinik, mit dieser könnte das Visum beantragt werden. Das dauere etwa drei Tage, sagt Marketingdirektor Albert Sigl von World Visitor AS. Trotzdem gibt es gleich mehrere Haken an diesem Angebot.

Erster Haken: In Deutschland ändert sich für Geimpfte erstmal wenig. Gesundheitsminister Jens Spahn hat zwar Erleichterungen bei den Testpflicht- und Quarantäne-Regelungen angekündigt. Allerdings ist Sputnik V noch nicht von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen. Das könnte sich aber ändern, denn derzeit prüft die EMA den Impfstoff für eine mögliche Zulassung in Europa.

Enno Lenze aus Berlin hat sich in Moskau den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V verabreichen lassen. Kurz nach der Injektion gab er Interviews. Er gehört einer Gruppe Deutscher an, die extra wegen der Impfung nach Moskau gekommen sind.

Enno Lenze aus Berlin hat sich in Moskau den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V verabreichen lassen. Kurz nach der Injektion gab er Interviews. Er gehört einer Gruppe Deutscher an, die extra wegen der Impfung nach Moskau gekommen sind.

Zweiter Haken: Die Beschaffung des Dolmetschers und der Impfung liegen beim Kunden. Die Impfung sei gewissermaßen gar nicht Teil der Reise, sondern nur die Garantie eines Impfangebotes, heißt es in der Pressemitteilung von Word Visitor. Die Kosten für Arzttermine liegen nach Angaben der Webseite meine-impfreise.com bei etwa 300 Euro.

Dritter Haken: Es gilt eine deutsche Reisewarnung für Russland, was eine zehntägige Quarantäne nach der Rückkehr in Deutschland zur Folge hätte. Außerdem muss bereits vor dem Rückflug der Nachweis über einen negativen Corona-Test vorgelegt werden. Um die Quarantäne zu verkürzen, wäre ein zweiter Corona-Test ab Tag fünf in Deutschland nötig.

Trotzdem: Der Veranstalter kann sich eigenen Angaben zufolge trotzdem kaum vor Anfragen retten. Derzeit lägen 600 feste Anmeldungen vor, das Angebot soll ausgeweitet werden.

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Andere Reiseveranstalter planen keine Impfreisen mehr

Andere Veranstalter hingegen ziehen ihr geplantes Angebot zurück. So hatte Fit Reisen als erster deutscher Anbieter im Februar angekündigt, zeitnah Impfreisen nach Israel, Großbritannien, auf die Seychellen oder in die Vereinigten Arabischen Emirate anbieten zu wollen. Drei bis vier Wochen Gesundheitsurlaub samt Aufklärungsgespräch mit einem Arzt sollten es werden, ein Piks zu Beginn, einer am Ende der Reise. Kosten: 2000 bis 3000 Euro, zuzüglich Arztbesuche und Impfstoff.

Doch inzwischen hat der Veranstalter sein Angebot wieder von der Webseite genommen. Momentan verfolge man „keine weiteren Pläne, einen Impfurlaub ins Ausland anzubieten“, ist stattdessen dort zu lesen.

Als Grund dafür schreibt Fit Reisen: „Mit der größeren Verfügbarkeit von Corona-Impfstoffen und dem für April geplanten starken Anstieg der Liefervolumina, gehen wir nun aber davon aus, dass diese Impfreisen keinen bedeutenden Beitrag zur hiesigen Pandemiebekämpfung leisten können.“

Auch der österreichische Verleger Christian W. Mucha bietet bislang keine der geplanten Russland-Impfreisen an, für die er mit dem Slogan „First come. First go. Freedom for you.“ auf seiner Website Impfreisen.at wirbt. „Unser Reiseveranstalter-Partner hat uns – nach rechtlicher Prüfung – jedoch mitgeteilt, dass er eine Veranstaltung von Impfreisen nur dann abwickeln wird, wenn wir Impfstoff zur Verfügung haben, der von der Europäischen Union anerkannt, attestiert, begutachtet und freigegeben ist“, schreibt Mucha zur Begründung.

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Unverbindliche Reservierungen werden aber weiterhin entgegengenommen – mehr als 5000 seien nach Muchas Angaben bereits eingegangen. Gehen könne es beispielsweise nach Serbien. Dort werde der derzeit in der EU noch nicht zugelassene Einmalimpfstoff von Johnson & Johnson verabreicht – was zu einem schnellen Impfkurztrip für circa 3000 Euro führen könnte, heißt es auf der Website. Auch Länder, in denen russische oder chinesische Impfstoffe zugelassen seien, kämen infrage.

Sind Impfreisen rechtlich erlaubt?

Das Angebot von Impfreisen ist durchaus umstritten, verboten ist es aber nicht: „Nach deutschem Recht ist es grundsätzlich erlaubt, sich im Ausland ärztlich untersuchen, behandeln oder impfen zu lassen“, schreibt dazu beispielsweise die Anwaltskanzlei Kempgens-Brunnengräber. Patienten würden nicht selten für Operationen ins Ausland reisen, die entweder nicht von der deutschen Krankenversicherung übernommen werden oder im Ausland billiger seien. Wichtig sei aber, dass im Zielland keine behördlichen oder gesetzlichen Vorschriften missachtet werden.

Solange Impfstoffe in den Zielländern nicht für Privatzahler und Touristen angeboten werden, sind solche Angebote nicht legal. Länder wie Israel bieten zwar inzwischen Impfungen für Staatsbürger, die im Ausland leben, an. Sie bekommen den Impfstoff im Transitbereich des Airport Tel Aviv gespritzt, dann geht es zurück in die Heimat. Drei Wochen später gibt’s den zweiten Piks. Das Außenministerium habe zudem für rund 700 Diplomaten und Botschaftsangestellte Flüge nach Tel Aviv organisiert, berichtet das „Handelsblatt“. Alle anderen Touristen dürfen aber nicht für den Piks anreisen.

Karl Lauterbach hält Impfreisen für ein „unethisches Geschäftsmodell“

Am Ende bleibt die ethische Frage: Ist es okay, für den Piks ins Ausland zu reisen, weil man es sich finanziell und zeitlich leisten kann? Der Veranstalter World Visitor scheibt dazu, dass Russland den Impfstoff Sputnik V ja bereits in 31 andere Länder exportiere beziehungsweise Lizenzen dafür vergebe. Tatsächlich wird das Vakzin – inzwischen von der WHO empfohlen – von Russland-affinen Staaten wie Serbien und Ungarn bereits eingekauft und verimpft.

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Für viele Kritiker ist das aber kein Argument. So sagte SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach beispielsweise dem WDR, er halte solche Impfreisen für ein „unethisches Geschäftsmodell“. Die Dosen sollten lieber ärmeren Ländern, die sich die Impfungen nicht leisten könnten, zur Verfügung gestellt werden. Kritik kommt auch vom Gesundheitsministerium in Österreich, das steht dem Vorhaben des Verlegers Christian W. Mucha laut „Der Standard“ skeptisch gegenüber, die Impfreisen würden die Problematik mit der Impfstoffknappheit nur verlagern. Zudem heißt es, „dass im Fall von Vakzinen, die in der EU nicht zugelassen sind, kein Anspruch auf Entschädigung laut Impfschadengesetz gegeben wäre.“

Reisebranche hofft durch Impftourismus und mehr Geimpfte auf Aufschwung

Verwunderlich ist es trotzdem nicht, dass die Reisebranche den Impftourismus zumindest in Betracht zieht. Seit mehr als einem Jahr befindet sich der Tourismus größtenteils im Stillstand, zahlreiche Anbieter kämpfen um die Existenz. Auf den Impfstoffen ruhen Hoffnungen, bald wieder unbeschwert durch die Welt reisen zu können.

Bereits jetzt genießen geimpfte Touristen in einigen Ländern Vorteile und können Reisebeschränkungen umgehen: Unter anderem auf den Seychellen, in Island und auf Madeira müssen Geimpfte nach der Einreise nicht mehr in Quarantäne.

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