Das Milliarden-Geschäft mit dem American Football
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Knapp 4,8 Milliarden Dollar könnten die Amerikaner beim diesjährigen Superbowl wetten.
© Quelle: imago/UPI Photo
Hannover/Minneapolis. Nur das Ergebnis tippen? Wäre zu einfach. Wer vor dem 52. Super Bowl am Sonntag eine besondere Wette abschließen möchte, tippt auf die Farbe des isotonischen Getränks, mit dem der Trainer der Siegermannschaft nach der Partie übergossen wird. Die letzten Jahre waren es Orange, Blau und Lila, und nur zweimal in der vergangenen Dekade korrespondierte die Flüssigkeit mit den Vereinsfarben der Gewinner, 2009 bei den Pittsburgh Steelers in Gelb, vor drei Jahren musste sich Cheftrainer Ben Belichick nach dem Sieg seiner New England Patriots mit passend blauer Plörre duschen lassen. Im Land der unbegrenzten Sportstatistiken wird natürlich auch über so etwas Buch geführt.
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Alles geht: 400 Wetten zeigt das Wettboard für das Spiel der Patriots gegen die Eagles.
© Quelle: GETTY IMAGES NORTH AMERICAGETTY IMAGES NORTH AMERICA
Man kann auch auf die Zahl der Tweets wetten, die Donald Trump während des Spiels absetzt. Ob er sich abfällig über die National Football League äußert, mit der er sich im Hymnenstreit, dem öffentlichen Spielerprotest gegen Rassendiskriminierung, angelegt hatte. Man kann Geld auf die Länge setzen, die Sängerin Pink vor der Partie für das Absingen des „Star Spangled Banner“ braucht. Oder ob ein Tänzer bei der Halbzeitshow Feuer fängt.
Mehr als ein schnödes Endspiel
Dass mit solchen Gaga-Wetten nicht nur lustige Schlagzeilen, sondern auch fette Geschäfte gemacht werden, zeigt die erwartete Summe von knapp 4,8 Milliarden Dollar, die die Amerikaner rund um den Super Bowl LII einsetzen werden. Ein bisschen crazy ist schließlich nicht genug, wenn das Ereignis ansteht, auf das sich die allermeisten Amerikaner einigen können: der Super Bowl, das Finale der US-Football-Profiliga NFL, der jährliche Sport-Geld-Show-Big-Bang, für den das schnöde Wort Endspiel immer schon drei Nummern zu klein war. Welcome to the Party!
Die Party steigt in der Nacht zu Montag unserer Zeit. Im erst 2016 eröffneten, 70 000 Zuschauer fassenden Hallenstadion der Vikings in Minnesota – passenderweise der Form eines Wikingerschiffes nachempfunden – treffen die Philadelphia Eagles auf die in Boston beheimateten New England Patriots.
Oder ob den Eagles der Überraschungstriumph gelingt, der den Atlanta Falcons im vergangenen Jahr schon fast geglückt war – bevor Brady seine Truppe in der größten Aufholjagd der Super-Bowl-Geschichte nach 3:28-Rückstand noch in die Verlängerung führte und schließlich zum Sieg. Das alles wird von Bedeutung sein und bis ins kleinste Detail in die Annalen der NFL eingehen.
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Superstar des Super Bowl: Tom Brady, Quarterback der Patriots und Nationalheld, will seinen sechsten Finalsieg erspielen.
© Quelle: dpa
Aber ebenso geht es längst darum, wer in der Halbzeitshow auftritt. Diesmal ist es Justin Timberlake, der mit der Freilegung von Janet Jacksons rechter Brust vor 14 Jahren an gleicher Stelle weltweit mehr Aufmerksamkeit erregte als jeder Touchdown vor- und nachher. Im großen Rest der Welt ist American Football nach wie vor eine Randerscheinung mit komischen Klamotten und komischen Regeln, eine amerikanische Marotte zwischen Sport, Show und Snickers-Werbung.
Fünf Millionen Dollar für 30 Sekunden Werbung
Selbst in Deutschland, wo es – auch dank einer kleinen, enthusiastischen, sonntäglichen TV-Guerillatruppe von „ranNFL“ auf ProSieben und ProSieben Maxx – immer mehr Fans und Spieler gibt, bleibt die Einstiegsdroge der Super Bowl. Obwohl die Einschaltquoten zuletzt sanken, werden am Sonntag mehr als 100 Millionen Amerikaner zuschauen, fast eine Milliarde Menschen sollen es weltweit sein. 30 Sekunden Werbung während des Spiels kosten fünf Millionen Dollar. Selbst die Spots, zumeist extra für dieses Event gefertigt, sind Teil der großen Show.
Das heißt aber noch lange nicht, dass so etwas auch hierzulande funktioniert. Deutschland ist kein Cheerleader-Land. In den Ablegern der US-Sportarten gehört das Animationsprogramm zur Folklore, im Boxen hat man sich an Einlaufmusik und Nebelmaschine gewöhnt. Aber Fußball funktioniert anders.
So richtig in die Hose ging ein Halbzeitshowversuch beim letztjährigen DFB-Pokalfinale. Deutschlands Schlagerpopkönigin Helene Fischer ging im vereinten Pfeifkonzert beider Fanlager aus Dortmund und Frankfurt unter. Die Pfiffe galten nicht einmal so sehr der Sängerin, für die Fans war das Spektakel vielmehr ein weiterer plumper Funktionärsversuch, den Fußball glamourmäßig durchzustylen.
Der deutsche Fan ist bescheiden
Ein heikles Thema. Der deutsche Fan will in der Halbzeit aufs Klo gehen, Bier holen und über die Szene in der 33. Minute diskutieren. Er will keine Show, kein Feuerwerk, er will auch keine Klatschpappen vom Hauptsponsor, keine VIP-Logen und keine Business Seats. Er will nicht absteigen, und wenn er es doch muss, will er es wenigstens anständig beweinen und sich nicht dem nächsten funkelnden Event zuwenden.
In der NFL kann man nicht absteigen. Wie die anderen US-Profisportligen NBA (Basketball), NHL (Eishockey), MLB (Baseball) und MLS (Fußball) ist die NFL ein geschlossenes System von Franchises, das vom Geschäftsmodell mehr mit McDonalds oder Fressnapf zu tun hat als mit der Fußball-Bundesliga.
Während in Deutschland gerade emotional über Besitzverhältnisse der Klubs und Mitbestimmung („50+1“), explodierende Ablöse- und Gehaltssummen sowie Kommerzialisierung des Stadionerlebnisses diskutiert wird, werden US-Profimannschaften von milliardenschweren Besitzern beherrscht, für deren Profite der sportliche Erfolg nur eine Nebenrolle spielt. TV-Verträge, Stadiondeals und Merchandising bringen in der krisensicheren NFL-Blase sichere Gewinne.
Im Vergleich zum deutschen Fußball herrscht in den USA ein absurdes Szenario
Der Ölunternehmer Jerry Jones beispielsweise kaufte die Dallas Cowboys 1989 für 140 Millionen Dollar, heute gibt Forbes den Wert des Teams mit gut 4 Milliarden Dollar an – gefolgt von den Patriots sowie den anderen 30 NFL-Konkurrenten und jeder anderen Sportmannschaft weltweit.
An die letzte Super-Bowl-Teilnahme der Cowboys 1995 können sich in Dallas hingegen nur noch die Älteren erinnern. Der US-Sportjournalist Spencer Hall beschreibt die Riege der Besitzer als „fett, faul und in einem Businessmodell gefangen, das ihnen keinen Anlass gibt, irgendetwas zu ändern, auch wenn die TV-Quoten sinken“.
Die Besitzer entscheiden, was mit dem Team passiert – und in welcher Stadt es spielt. So wechselten die kompletten Truppen der Rams (2016) aus St. Louis und der Chargers 2017 aus San Diego den Standort. Beide spielen nun in Los Angeles. Die Oakland Raiders stehen vor einem Wechsel nach Las Vegas, weil Las Vegas Profisport in der Wüste von Nevada haben möchte und dem nagelneuen Eishockey-Team der Golden Knights eine weitere Attraktion in die Spielerstadt folgen soll.
Ein im deutschen Lieblingssport geradezu absurdes Szenario: „Stellen Sie sich vor, der FC Bayern würde künftig in Nürnberg spielen oder Hannover in Lüneburg – undenkbar“, sagt Horst Heldt, Manager bei Hannover 96.
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Hannover 96-Manager Horst Heldt steht vor der Frage, wie weit ein Verein seine eigene Kommerzialisierung auf die Spitze treiben sollte.
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Auf den Wiederaufsteiger 96 schaut gerade ganz Fußball-Deutschland. Und das nicht nur wegen einer sportlich sehr ordentlichen Saison. Die sonst so lautstarken Ultra-Fans in Hannover protestieren seit Saisonbeginn bei den Spielen schweigend gegen die Pläne von Klubchef Martin Kind, die Mehrheit im Verein zu übernehmen, weil für sie die Folgen unklar sind. Der Bundesligist liefert damit gerade das plakativste Beispiel für ein Dilemma zwischen Fankultur und Unternehmerdenken, in dem der Profifußball steckt.
Volkssport mit Millionengehalt
Spätestens seit dem Wechsel des Brasilianers Neymar für 222 Millionen Euro von Barcelona nach Paris scheint sich der Profifußball in ein Paralleluniversum verabschiedet zu haben, das mit ganz realen Vorstellungen von Arbeit und Bezahlung nichts mehr zu tun hat.
„Wir müssen eine Balance finden“, sagt Heldt, „einerseits dürfen wir die Basis nicht verlieren, der Fußball muss Volkssport bleiben. Andererseits müssen wir einen Weg finden, konkurrenzfähig zu sein.“ Natürlich seien die derzeitigen Ablösesummen „der Wahnsinn“, aber „wir bewegen uns nun mal in diesem Hamsterrad“.
Und man könne sich nicht über die Kommerzialisierung beschweren und gleichzeitig darüber, dass die deutschen Vereine in den europäischen Wettbewerben so schlecht abschneiden. Für den 48-jährigen Ex-Profi tut eine Lösung not: „Wir müssen jetzt eine Grundsatzdiskussion darüber führen, wo der deutsche Fußball hinwill.“
Gehaltsdeckel von 167 Million Dollar
Kann das Modell USA ein Vorbild sein? Um die Liga sportlich einigermaßen ausgeglichen und somit attraktiv zu halten, gibt es dort den sogenannten Salary Cap, eine Gehaltsdeckelung pro Team (in der NFL derzeit 167 Millionen Dollar) und das Draftsystem, also Rekrutierungssystem, das den schwächeren Mannschaften der Vorsaison den ersten Zugriff auf die besten Nachwuchsspieler gestattet. Spieler gegen Geld zu transferieren ist unüblich, es werden Spieler gegen Spieler getauscht oder gegen bessere Draft-Ziehungsrechte.
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Beim Super Bowl wird das ganz große Spektakel abgebrannt. Hier laufen die New England Patriots auf das Feld ein. Ihre Gegner waren im vergangenem Jahr die Atlanta Falcons.
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„Keine Option für den Fußball“, sagt allerdings Bundesliga-Manager Heldt, „die NFL ist ein geschlossenes System, Fußball ist eine globale Erscheinung. Wenn es in Deutschland eine Gehaltsdeckelung gibt, verlagert sich das Interesse der Spieler eben in andere Nationen.“
Wer im American Football was werden will, kann dagegen nur ein Ziel haben. Auch finanziell: Der Topverdiener der Liga, Quarterback Matthew Stafford von den Detroit Lions, kassiert in den nächsten fünf Jahren insgesamt 135 Millionen Dollar. Quoten hin oder her. Geld ist genug da. Was sollte man also ändern?
In einer Hinsicht immerhin muss sich die NFL was einfallen lassen: Bislang war es den Schiedsrichtern verboten, sich während der laufenden Saison im Zockerparadies Las Vegas aufzuhalten – der vielen Verlockungen wegen. Wenn die Raiders nun in die Wüste geschickt werden, wird der Verband eine Lösung finden. Darauf kann man wetten. Leichter jedenfalls als auf die Farbe der Trainerdusche morgen.
Von Uwe Janssen/RND