Hertha BSC: Der steinige Weg zum „Big City Club“

Jürgen Klinsmann, Fußballtrainer von Hertha BSC.

Jürgen Klinsmann, Fußballtrainer von Hertha BSC.

Berlin. Die „Hertha“ liegt in der Werft. Das 143 Jahre alte Ausflugsschiff wartet, geschützt unter einer Plane, auf seine Sanierung. Der alte Dampfer ist für Hertha-Traditionalisten wie Ingmar Pering ein Heiligtum – denn der erst 16-jährige Vereinsgründer Fritz Lindner lieh sich 1892 den Klubnamen von dem Dampfer, auf dem er kurz zuvor einen Haveltörn gemacht hatte. Pering, Anwalt und Hertha-Präsidiumsmitglied, kaufte vor drei Jahren mit Fangeldern das Schiff. Nun muss es noch auf den aktuellen Sicherheitsstand für die Berliner Gewässer gebracht werden. „2020 geht es los“, verspricht Pering.

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Mit dem umtriebigen Hertha-Großinvestor Lars Windhorst verbindet den Traditionsfan Pering nun, dass sie beide Schiffseigner sind. Nur: Die „Hertha“ ist 22 Meter lang und soll von einer dreiköpfigen Hobbybesatzung betrieben werden. Die 90-Millionen-Euro-Jacht „Global“ von Windhorst schippert mit 80 Metern Länge und 27 Mann Besatzung über die Weltmeere.

Gerade lag sie in Saint Petersburg in Florida am Kai, und Windhorst begrüßte sein bisher spektakulärstes Investment an Bord: die Profimannschaft von Hertha BSC und den neuen Trainer Jürgen Klinsmann, die eine Woche im Trainingslager in Orlando verbrachten. Jungkeeper Luis Klatte setzte sich an den bordeigenen Flügel und spielte „Für Elise“. Klinsmann schwäbelte nach der Rückkehr im „Fan-Talk“, einer regelmäßigen Facebook-Fragestunde, davon, man sei „mal gemeinsam aufs Boot gegangen vom Lars Windhorst“.

Neuberliner gehen nur dann ins Stadion, wenn Hertha gegen ihre Heimatklubs antritt

Das klang beiläufig, als wäre nicht gerade die Revolution ausgerufen bei der alten Dame Hertha, und als wäre er, Klinsmann, nicht im Zentrum davon. Windhorst hat mit seiner Investmentgruppe Tennor für 224 Millionen Euro 49,9 Prozent der Hertha erworben und Klinsmann den Trainerposten angetragen.

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Windhorst wie Klinsmann sind bekannt, hoch zu pokern und hin und wieder spektakulär zu scheitern. Damit sind sie das Gegenteil der Altberliner Hertha, die sich im Mittelfeld der Liga eingerichtet hat und sich standhaft weigert, zum Metropolenklub zu werden. Die hippen Neuberliner gehen nur dann ins zugige Olympiastadion, wenn die Hertha in der Bundesliga gegen ihre Heimatklubs antritt, in den Fußballkneipen der Innenstadtkieze laufen die Spiele von Bremen, Freiburg oder St. Pauli.

Die Eisbären und Alba sind deutlich erfolgreicher als die beiden Fußballklubs

Windhorst und Klinsmann aber wollen die Hertha zum „Big City Club“ machen, zu Chelsea Charlottenburg, Real Ruhleben oder Westend Saint-Germain. London, Madrid, Paris – Berlin möchte als Stadt so gern in der Metropolenliga spielen, und die Hertha soll es nun auch.

Die Unterstützung der Berliner Politik ist mäßig. Im Senat und selbst im Verein stimmen nicht alle Klinsmann zu, der ein neues Stadion für „überfällig“ hält, damit Hertha aus der als Stimmungs­töter wahrgenommenen Olympiaschüssel herauskommt. Sportsenator Andreas Geisel (SPD) findet, Berlin spiele schon „in einer Liga mit London und Los Angeles“ – und schaut auf die Breite, nicht die Spitze. 90 Erstligisten und 74 Zweitligisten, von American Football bis Wasserball, gibt es in der Hauptstadt; die Füchse (Handball), Eisbären (Eishockey), Alba (Basketball) und Berlin Volleys sind in ihren Ligen deutlich erfolgreicher als die beiden Fußballklubs.

Auch zum Rückrundenauftakt werden alle Kameras auf Klinsmann gerichtet sein

Aber ein Klinsmann überstrahlt denn doch alles. Im Windschatten von Windhorst übernahm er zunächst als Aufsichtsrat und drei Wochen später, Ende November, als Trainer bei den Berlinern. Das öffentliche Interesse ist seither gewaltig, auch internationale Medien widmen den Berlinern plötzlich Artikel – der Name Klinsmann hat Klang im Weltfußball.

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Wenn Klinsmann seine Trainerlizenz in seinem „Häuschen in Kalifornien“ vergisst, ist das plötzlich eine internationale Nachricht. Und der Wahlamerikaner bringt ein Stück große Sportwelt nach Berlin. Während sich sein Assistent Alexander Nouri der nationalen Presse stellt, grinst „Klinsi“ in eine Webcam – via Facebook beantwortet er die Fragen der Hertha-Fans aus aller Welt. Das macht sonst niemand in der Bundesliga. Auch zum Rückrundenauftakt werden wieder alle Kameras auf ihn gerichtet sein, wenn er mit Hertha am Sonntag (15.30 Uhr) Rekordmeister Bayern München im Olympiastadion empfängt – genau den Verein, bei dem Klinsmann in der Saison 2008/2009 krachend gescheitert ist.

Mit ein bisschen Größenwahn

Auch damals machte er vieles neu, vieles anders. Bei der Hertha installierte er nun in Windeseile ein komplett neues Trainerteam, darunter Arne Friedrich, Klinsmanns Rechtsverteidiger bei der Weltmeisterschaft in Deutschland, dem Sommermärchen 2006. Bei der Hertha ist der 40-Jährige Performance-Manager und sagt Sätze wie: „Wir wollen uns größenwahnsinnige Ziele stecken.“ Für jeden Bereich einen Spezialisten zu installieren und selbst nur den Beobachter zu spielen – auch das hat Klinsmann aus den USA importiert. In den Topligen von Football, Eishockey oder Basketball ist dies seit Jahren Alltag.

Hertha-Präsidiumsmitglied Ingmar Pering glaubt eher, dass die Windhorst-Truppe eine größenwahnsinnige Rendite will. „Es geht ihm darum, das Ding schnell an die Börse zu bringen“, sagt er düster. „Und dann hat Hertha nichts mehr. Wie werden unsere Fans reagieren, wenn Hertha an der Börse ist und nicht mehr ihr Verein?“ Einen „Big City Club“ schaffe man nicht auf dem Reißbrett, meint Pering, der seit 13 Jahren in der Vereinsführung sitzt. „Da ist jede Stadt einzigartig.“

Hertha versucht, das Image der grauen Maus abzustreifen

Im Facebook-Talk spricht Klinsmann diese Woche wenig von Größenwahn. Fragen nach spektakulären Neuzugängen in der Winterpause blockt er ab. Klangvolle Namen wie Mario Götze und Julian Draxler werden gehandelt, auch Nationalspieler Emre Can oder der kürzlich zu Benfica Lissabon gewechselte Julian Weigl. Und auch von den mittelfristigen Zielen – Europa League, Champions League – ist keine Rede mehr. „Klassenerhalt“ gibt Klinsmann als Saisonziel aus. „Wir sind im Abstiegskampf, wir müssen punkten.“ Es ist ein langer, mühsamer Weg zum Weltklub.

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Bei den Hertha-Heimspielen ist das Olympiastadion nicht selten nur halb voll. Das Image der grauen Maus haftet der Hertha schon länger an, seit ein paar Jahren versucht sie, es abzustreifen. Paul Keuter, ein ehemaliger Manager beim Kurznachrichtendienst Twitter und Ex-Freund von Barbara Schöneberger, ist seit 2016 für die digitale Transformation verantwortlich.

„Nur Geld schießt keine Tore“

Slogans wie „We try, we fail, we win“ („Wir versuchen es, wir scheitern, wir gewinnen“), pinke Auswärtstrikots und ein symbolischer Kniefall, um sich mit US-Sportlern zu solidarisieren, die sich gegen Diskriminierung wehren, stießen auf viel mediale Aufmerksamkeit – und auf wenig Gegenliebe bei den Fans. Keuters Haus wurde mit dem Spruch „@Paul: Ist Hertha hier zu Hause???“ beschmiert, einige Fans zeigten das geschmacklose Drohplakat: „Keuter, dein Ende naht!“

Die Frage ist: Kann man mit viel Geld und Marketing aus einem eher durchschnittlichen Bundesliga-Klub etwas Außergewöhnliches erschaffen?

„Ich finde es schön, dass es endlich Geld gibt“, sagt Ex-Trainer Pál Dárdai angesichts der horrenden Investitionen. „Aber leider kannst du mit Geld nicht alles einkaufen. Hoffenheim hat das geschafft, RB hat das geschafft, aber viele haben es nicht geschafft. Es ist eine Herausforderung.“ Ingmar Pering hält sich an den Fotos vom Traditionsschiff fest und sagt mit Überzeugung den ältesten Satz, seit Investoren in den Fußball drängen: „Nur Geld schießt keine Tore.“

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Zu wenig Geld für die Spitze

Klinsmann, der die Hertha auf Rang 15 von Ante Covic übernahm und in fünf Partien acht Punkte holte, klingt weitaus vollmundiger. Hertha sei „das spannendste Fußballprojekt in Europa“ und „Berlin hat einen Megaklub verdient. Das ist unsere Hauptstadt. Berlin und Deutschland haben das verdient.“ Wobei anzumerken ist: Laut „Kicker“ haben die Berliner 90 Millionen Euro Schulden. Und mit den 224 Millionen Euro, die Windhorst für 49,9 Prozent der Anteile an der Hertha BSC Kommanditgesellschaft auf Aktien überwiesen hat, spielt man nicht in der europäischen Spitzenklasse. 222 Millionen Euro hat Paris allein für Neymar bezahlt.

Klinsmann, der bei seinem Sieben-Monate-Trainerjob rund 2 Millionen Euro verdienen soll, betont, dass Hertha für ihn auch eine Herzensangelegenheit sei. Sohn Jonathan, ein 22 Jahre alter Torwart, spielte von 2017 bis 2019 bei den Berlinern. Seit 2004 ist Jürgen Klinsmann Ehrenmitglied, bekam die Mitgliedsnummer 18 – seine Rückennummer aus Spielerzeiten. Bis heute ist der 55-Jährige bei keinem anderen Verein Mitglied. Das erste Bundesliga-Spiel, das Klinsmann – Sohn eines Brandenburgers und Hertha-Fans – als Achtjähriger sah, war eine Auswärtspartie der Hertha beim VfB Stuttgart, mit blau-weißer Fahne stand er bei der 0:4-Niederlage im Neckarstadion.

Bei so viel Verbundenheit stellt sich die Frage, ob Klinsmann auch länger als bis Sommer 2020, bis zum Enddatum seines Trainervertrags, an der Seitenlinie stehen wird. Und wie sich bis dahin das Verhältnis der Neueinsteiger zu den Alteingesessenen entwickelt.

„Lars Windhorst ist herzlich eingeladen, sich die ‚Hertha‘ mal anzuschauen“, sagt Ingmar Pering und meint das Schiff in der Oranienburger Werft. Dass der Investor bald Zeit dafür findet, glaubt der Traditions-Herthaner aber nicht.

RND

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