Katars WM-Maskottchen: Das fliegende Missverständnis
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La'eeb, das offizielle Maskottchen der Fußball-WM 2022, begegnet den Besuchern in Katar überall.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Man mag es kaum glauben, aber auf den ersten Blick hat Katar im Zuge der WM mal etwas richtig gemacht. Oder zumindest nichts falsch. Denkt man zumindest, wenn man sich das offizielle Maskottchen anschaut.
La‘eeb heißt es und erinnert an ein simples weißes Tuch mit Augen und Mund. Vorsichtig formuliert hielt sich der Gestaltungseifer der Designer in Grenzen.
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Zumindest im Vergleich der vorigen WM-Maskottchen, die halb realistisch der Tierwelt entlehnt wurden: ein russischer Wolf mit Skibrille, ein blaues brasilianisches Gürteltier, ein Leopard mit Hose (Südafrika), ein Löwe ohne Hose (Deutschland).
Gibt die katarische Fauna keine Tiermodels her? Die Arabische Oryx-Antilope, die Karettschildkröte? Auch der niedliche Honigdachs hätte mehr Eindruck gemacht als ein weißes Tuch – Plüschfaktor gleich null.
La‘eeb: Das erste „woke“ Maskottchen?
Es wirkt so, als hätten sich die WM-Organisatoren extra zurückgehalten, um bloß nicht wieder anzuecken. Weiß ist die Farbe der Unschuld oder die der Luxus-SUVs auf Dohas Straßen. Die einzige Gemeinsamkeit, die La‘eeb im Vergleich zu seinen Maskottchenkollegen aufweist: es kann mit seinen Zipfeln einen Ball kicken.
Neu ist dagegen, dass sich dem weißen Tuch scheinbar kein Geschlecht zuordnen lässt. Ganz im Gegensatz zu den meisten seiner WM-Vorgänger, die häufig kleine Jungen oder männlich gelesene Raubtiere symbolisieren.
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"Goleo" schaute im Zuge der WM 2006 auch beim Münchener Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) im Rathaus vorbei.
© Quelle: imago/Reinhard Kurzendörfer
Ein Tuch ist aber ein Tuch – ohne markantes Gesicht, ohne Figur und Frisur; so gesehen ist La‘eeb gewissermaßen geschlechtsneutral. Ein „wokes“ WM-Maskottchen für das 21. Jahrhundert?
Die Fifa bestärkt diesen Gedanken, in dem sie „La‘eeb“ wie folgt beschreibt: „Die Figur stammt aus einer unbeschreiblichen Parallelwelt – dem Maskottchen-Universum, das sich jeder in seiner eigenen Fantasie vorstellen kann.“ Jeder sei eingeladen zu interpretieren, wie La‘eeb aussieht. Eine geradezu revolutionärer Ansatz für einen Ausrichterstaat, der die Menschenrechte wie in einer Diktatur interpretiert.
Viel Interpretationsspielraum
Aber auch ein „Carte Blanche“ für Spekulationen. Der Nachteil an einem weißen Tuch ist, dass man alles hineinlesen kann. Einen Rochen zum Beispiel. Einen Lenkdrachen. Wingsuit und Schnuffeltuch. Alles schon als Beschreibung ins Internet getippt worden.
Der „Spiegel“ schickt drei weitere Bewerber-Titel ins Rennen: Tischdecke, fliegender Teppich, Bettvorleger. Etwas freundlicher, aber weitaus nebulöser spricht der SWR von einem „schwebenden Etwas“.
Am geläufigsten ist wohl die Bezeichnung als Gespenst – gerade, weil es in offiziellen Präsentationen wild durch die Luft saust. Auf Twitter fühlt sich manch einer an den Geist der toten Gastarbeiter erinnert, der durch das ganze Turnier spukt. Von hier aus ist der Vergleich zum Leichentuch nicht weit.
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Das ist aber schon das Fieseste, was La‘eeb bislang abbekommen hat. Einem weißen Tuch kann man nur schwer böse sein. Viel Empörung gab es also nicht, was für ein WM-Komitee, das mit Bierverbot und weltbester Bestechung verbunden wird, irgendwie auch ein Erfolg ist.
WM-Maskottchen: „La‘eebs“ denkwürdige Vorgänger
Und keineswegs selbstverständlich. Maskottchen sind für eine WM eigentlich ein bisschen egal. Die wichtigste Aufgabe besteht darin, bloß nichts falsch zu machen. Gute Laune verbreiten, Kinder bespaßen – Merchandise-Geld einbringen als Knuddeltier; das war‘s.
Anfangs hat das noch gut geklappt: 1966 brüllte „Willie“, ein Löwe mit Union Jack und Urahn aller WM-Maskottchen, die Engländer zum Titel.
Auch danach spiegelten die Maskottchen oft Klischees der Ausrichterländer: „Naranjito“ hieß die WM-Orange aus Spanien (1982), der großen Orangenexporteurnation. „Pique“ war eine Jalapeño-Schote aus Mexiko und trug Sombrero und Schnauzer (1986). In Frankreich krähte 1998 ein gallischer Hahn.
Dass ein Maskottchenentwurf aber auch daneben gehen kann, zeigte zuletzt Deutschland 2006 mit dem Löwen-Lulatsch Goleo. Kritisch war nicht, dass Löwen in deutscher Steppe eher selten gesehen werden; das Problem war, dass Goleo es eher locker angehen ließ und ohne Hose durch die Stadien schlurfte.
Zum optischen Reinfall wurde auch Gauchito, der bei Argentiniens WM 1978 im Cowboy-Outift mit Nackentuch und Peitsche strahlte, während zugleich unzählige politische Gefangene von der Militärjunta gefoltert wurden. Jüngst missglückt ist auch das Design der roten Zipfelmützen, die für die Olympischen Spiele in Paris werben sollen – Beobachter fühlen sich an die weibliche Klitoris erinnert.
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Die Präsentation der Olympia-Maskottchen im französsischen Saint- Denis in der Nähe von Paris.
© Quelle: IMAGO/PanoramiC
Auf den ersten Blick hat Katar mit La‘eeb also mal was richtig gut gemacht. Zumindest wenn man der Sieh-was-du-willst-Formel der Fifa glaubt. Aber auf den ersten Blick ist in Katar ja alles zu schön, um wahr zu sein.
Denn die Vorstellung der Fifa von La‘eeb als einer Figur aus einem Paralleluniversum, in dem man der Fantasie freien Lauf lassen kann, stimmt nur bedingt; während das Emirat zweifellos ein Paralleluniversum ist, in dem Bürger kaum Steuern zahlen und vieles bezahlt bekommen, ist ihr WM-Maskottchen dennoch katarisch und vor allem maskulin geprägt.
Die Wiederauferstehung von Goleo
So symbolisieren die Farben und das unscheinbare florale Muster am Tuchende die Flagge Katars. Und La‘eeb trägt keine komplette Gespensterglatze, sondern einen Kordelring. Zusammen mit dem weißen Tuch erinnert es an die traditionelle arabische Kopfbedeckung.
Und die tragen im Mittleren Osten eben Männer. Offiziell übersetzt die Fifa das arabische La‘eeb zudem mit „supertalentierter Spieler“. Und in einem Promo-Film spricht das Tuch mit einer eher jungenhaften Stimme.
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Der absurde Clip lässt alle Vorgänger von La‘eeb wiederauferstehen. Goleo läuft gewohnt ungeniert durchs Bild, die spanische Orange Naranjito prallt gegen einen Wasserhydranten. Und Argentiniens Gauchito tanzt Limbo mit dem italienischen Strichmännchen von 1990 und dem bauchfreien „Juanito“ aus Mexiko (1970). Auch die deutschen Bauchfrei-Jungs „Tip und Tap“ von der WM 1974 sind dabei. Im Vergleich dazu wirkt La‘eebs-Design geradezu angenehm zurückhaltend.
Auch wenn seine Erkennungsmerkmale eher dezent eingearbeitet wurden – kulturell geprägt ist Katars Maskottchen dennoch. Und so ist der von der Fifa ausgerufene Interpretationsspielraum doch wieder begrenzt.
Einen großen Vorteil hat La‘eeb trotzdem noch. Bisher, so scheint es, ist das fliegende Kopftuch vor allem virtuell unterwegs. Man kann nur hoffen, dass das so bleibt. Und kein schlecht bezahlter Mensch im heißen Katar in einem weißen Kostüm über die Strandpromenade schweben muss. Goleo hätte das nicht überlebt.