Die Vorfreude der Anderen: So blickt die Welt auf die Fußball-WM in Katar
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Fans machen vor dem Schriftzug „Fifa World Cup Qatar 2022" Fotos.
© Quelle: picture alliance/dpa
Politische Debatten dämpfen die WM-Vorfreude vor dem Start des umstrittenen Fußballturniers in Katar an diesem Sonntag (17 Uhr). Die Menschenrechtsverletzungen im Gastgeberland sind weltweit Thema in der Berichterstattung und bei den Fans – mal mehr, mal weniger. Ein Überblick.
Großbritannien: Mehrheit ärgert sich über Katar
Großbritannien gilt als fußballbegeisterte Nation. Wenn es um Katar als Austragungsort für die diesjährige Fußball-WM gilt, hört für viele Britinnen und Briten jedoch der Spaß auf. Knapp zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger sind überzeugt, dass man sich aufgrund der dort geltenden Rechtslage gegenüber Homosexuellen gegen Katar hätte entscheiden sollen, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Public First ergab. 39 Prozent der Befragten meinten gar, dass die englische Fußballnationalmannschaft und die walisische deshalb nicht an dem Turnier in dem Wüstenstaat teilnehmen sollten.
„Die klare Botschaft der Öffentlichkeit an die Fifa ist, dass bei der Wahl von zukünftigen Austragungsorten von Turnieren Menschenrechte im Vordergrund stehen sollten“, sagte Luke Tryl, der britische Direktor von „More in Common“, der gemeinnützigen Organisation, die die Befragung in Auftrag gegeben hatte. Damit teilen viele Menschen auf der Insel die Ansicht des Labour-Oppositionschefs Keir Starmer. Dieser betonte, dass weder er noch seine Parteikollegen nach Katar reisen werden, selbst wenn die englische Fußballnationalmannschaft das Finale erreicht. „Die Menschenrechtslage lässt das nicht zu. Das ist die Position der Labour-Partei“, sagte er.
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Sieht die WM in Katar kritisch: Englands Fußball-Legende Gary Lineker.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
Der konservative Außenminister James Cleverly hingegen forderte homosexuelle Fans kürzlich dazu auf, „die Kultur des Gastlandes zu respektieren“. Der TV-Experte und frühere Fußballer Gary Lineker kritisierte ihn dafür. „Was auch immer Sie tun, tun Sie nichts Schwules. Ist das die Botschaft?“
Frankreich: Sarkozys schweres Erbe
Die Fußball-WM boykottieren oder nicht? Die Leistungen der Bleus, der französischen Nationalmannschaft, verfolgen, so als handele es sich bei Katar um einen Ausrichtungsort wie jeden anderen? Darüber debattiert auch Frankreich kontrovers. Beim aktuellen Weltmeister trüben Meldungen über Menschenrechtsverletzungen und den ökologischen Widersinn des Sportevents in dem Wüstenstaat die Vorfreude ein. Demgegenüber hat Mannschaftskapitän Hugo Lloris dazu aufgerufen, dem organisierenden Land gegenüber Respekt zu zeigen, auch wenn man nicht dieselben Werte teile. Anders als geplant wird er nun doch kein Regenbogenarmband als Symbol der Solidarität mit der LGBTQ+ Szene tragen.
Präsident Emmanuel Macron, selbst ein erklärter Fußballfan, wehrte sich gegen Kritik für seine Ankündigung, nach Katar zu reisen, sollte die französische Nationalmannschaft das Halbfinale oder gar das Finale erreichen. Man dürfe „den Sport nicht politisieren“, mahnte er. „Diese Fragen sollte man sich bei der Zuteilung des Events stellen.“
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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will nach Katar zu reisen, sollte die französische Nationalmannschaft das Halbfinale oder das Finale der WM erreichen.
© Quelle: picture alliance / AA
Hierbei spielte sein Vorgänger Nicolas Sarkozy möglicherweise eine entscheidende Rolle: Kurz vor der WM-Vergabe im Dezember 2010 organisierte der damalige französische Präsident ein Treffen zwischen Vertretern Katars, deren Bewerbung er unterstützte, und dem damaligen Uefa-Präsidenten Michel Platini im Élysée-Palast. In der Folge wechselte der einflussreiche Platini seine Meinung und stimmte für den Wüstenstaat statt die USA. Frankreich wiederum erhielt lukrative Industrieaufträge aus Katar, welches außerdem den Hauptstadtklub Paris Saint-Germain kaufte. Die Justiz ermittelt wegen des Verdachts der Korruption – was zusätzlich ein zwielichtiges Licht auf diese beginnende WM wirft.
Spanien: Gespaltenes Verhältnis zu Katar
Ibai Llanos ist ein Streamer mit Millionen Anhängern, laut „Forbes“ ein „König des Internets“, und er hat keine Lust, nach Katar zu fahren. „No me sale de los cojones“, sagt er zur Begründung (was sich nicht übersetzen lässt, nur annäherungsweise: „Ich habe echt keinen Bock drauf“). Mit gutem Willen kann man das als politische Stellungnahme interpretieren. Der (argentinische) Trainer des Sevilla FC, Jorge Sampaoli, wird ein klein wenig deutlicher: „Die Fifa hat beschlossen, an einem Ort zu spielen, an dem man nicht hätte spielen sollen, und zu einem Datum, an dem man nicht hätte spielen sollen. Alles wegen der Kohle, alles wegen des Geschäfts.“
Das war‘s mit den relevanten Katar-Protesten in Spanien. Im Netz wird viel über das WM-Gastgeberland geschimpft, vor allem auf Twitter, hat das Medienanalyseunternehmen Simbiu festgestellt. Von 142.700 spanischen Fundstellen im Netz, die sich in den vergangenen drei Monaten mit der Fußball-WM befassten, hatte ein Drittel einen kritischen Tenor, ein Viertel erwähnte die Menschenrechtslage in Katar. Doch aus dem Grummeln im Netz ist keine deutlich hör- und sichtbare Bewegung geworden. Wenn die spanischen Medien über Boykottaufrufe berichten, dann über die aus anderen Ländern. Die Nachfrage nach der Installation von großen Wandfernsehern sei in den vergangenen Wochen in die Höhe gesprungen, berichtet eine Netzplattform für die Vermittlung von Handwerkern. Die Einschaltquoten werden zeigen, wie stark das Interesse der Spanier an dieser WM denn wirklich ist.
Auch die Kritiker müssen sich Kritik anhören. Katar ist ja kein Neuling im Fußballgeschäft. Als Messi im vergangenen Jahr bei Paris Saint Germain anheuerte, machte sich Streamer Ibai Llanos bedenkenlos auf den Weg zur Präsentation des ehemaligen Barça-Stars im neuen PSG-Trikot, ohne sich am Klubbesitzer, der Qatar Sports Investments, zu stören – die sich gerade auch mit 22 Prozent beim portugiesischen SC Braga eingekauft hat. Der Club-Präsident António Salvador hofft, damit vielleicht „auch auf sportlicher Ebene wettbewerbsfähiger“ zu werden. Fußball im 21. Jahrhundert.
Italien: Unfreiwilliger Boykott
Es war die Stunde Null im italienischen Fußball: Am 24. März dieses Jahres verloren die Azzurri in den Playoff-Halbfinals der WM-Qualifikation in Palermo gegen Nordmazedonien 0:1 durch ein Gegentor in der 92. Minute. Gegen Nordmazedonien! In einem Heimspiel! Der vierfache Weltmeister und amtierende Europameister war damit ausgeschieden - und das zum zweiten Mal in Folge. Schon die WM 2018 in Russland mussten die Azzurri am Fernseher mitverfolgen, nachdem ihnen zuvor in der Barrage gegen Schweden in 180 Spielminuten kein Tor gelungen war. Ein nationales Drama - mit der Folge, dass in Italien derzeit eine ganze Generation von „ragazzi“ aufwächst, die in ihrer ganzen Jugend an einer WM-Endrunde ihrer Mannschaft noch nie die Daumen drücken konnten.
Mit der erneuten Nicht-Qualifikation der Squadra Azzurra hat sich für die Verantwortlichen des italienischen Fußballverbands wenigstens die Frage nach einem Boykott der EM-Endrunde von selber erledigt. Ein schwacher Trost, auch für die Tifosi. Andererseits: Ein wenig Linderung verschaffen die Korruptionsskandale der Fifa, die Berichte über Menschenrechtsverletzungen und tote Stadionarbeiter in Katar schon. Entsprechend ausgiebig werden die Missstände in den italienischen Medien und in der Öffentlichkeit diskutiert. Dass man bei dieser perversen Wüsten-WM im Winter nicht dabei ist: Das scheint den meisten Tifosi letztlich verkraftbar. „Wann wurde denn in Katar schon einmal Fußball gespielt? Und wo? Etwa auf den Ölfeldern?“ fragte in dieser Woche der Komiker und Fernsehstar Rosario Fiorello.
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Italiens Domenico Berardi nach der Niederlage im entscheidenden Qualifikationsspiel.
© Quelle: picture alliance / Pressebildagentur ULMER
Viele italienische Fans sind derzeit noch unschlüssig, ob sie sich die WM-Spiele ansehen werden. „Eigentlich hätte ich Lust, die Übertragungen zu boykottieren“, sagt etwa der Frisör Paolo Corazza aus der Küstenstadt Gaeta südlich von Rom. Aber er räumt ein, dass er sich sehr wahrscheinlich doch die eine oder andere Partie ansehen werde: „Ich liebe den Fußball viel zu sehr, ich werde kaum widerstehen können“, sagt Paolo, der selber in einem Verein der Kreisliga Fußball spielt. So wie ihm geht es den meisten Tifosi: Der „calcio“ ist einfach zu schön und zu wichtig, um freiwillig auf eine WM zu verzichten. Selbst wenn die Azzurri nicht mit um den Titel kämpfen können.
Hinzu kommt: Dutzende ausländische Stars der Serie A werden an der WM mitspielen. Allein Juventus Turin schickt elf Spieler nach Katar - eine ganze Mannschaft. Drei von ihnen - Danilo, Alex Sandro und Gleison Bremer - sind Brasilianer, und so wird wohl ein erklecklicher Teil der insgesamt elf Millionen Juve-Fans in Italien statt mit der abwesenden eigenen Mannschaft einfach mit der „Selecao“ mitfiebern. Von den beiden Mailänder Top-Vereinen Inter und AC Mailand werden je sieben Spieler um den WM-Titel kämpfen, vom Tabellenführer Neapel reisen sechs ausländische Kicker nach Katar. Sogar drei Spieler aus Serie-B-Vereinen werden an der WM-Endrunde vertreten sein. Mit anderen Worten: Italien ist zwar abwesend – aber trotzdem irgendwie dabei.
Die große Anzahl ausländischer Spieler, die den Vereinen während der WM nicht zur Verfügung stehen werden, ist auch der wichtigste Grund dafür, dass der Spielbetrieb der Serie A während der Endrunde unterbrochen bleibt – die nationale Meisterschaft wird erst am 4. Januar wieder aufgenommen. Die Tifosi haben dafür zwar Verständnis – aber bitter ist es dennoch für sie: Eine derart lange Pause ohne Fussball mussten die Fans noch nie verkraften. „Werden wir alle sterben?“ fragte der Schriftsteller und Kellner Sandro Bonvissuto in diesen Tagen in der Zeitung „La Repubblica“ ironisch. Und antwortete gleich selber: „Nein, wir werden leben. Aber wir werden fast zwei Monate lang ohne Liebe und Leidenschaft auskommen müssen.“
Russland: Demonstratives Desinteresse
Wenn am Sonntag um 19 Uhr Moskauer Zeit das Eröffnungsspiel der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 zwischen Gastgeberland Katar und Ecuador angepfiffen wird, wird das im russischen Alltag kaum auffallen.
In Russland ist es stärker noch als in Deutschland üblich, in Gaststätten und Bierkneipen Fußball zu schauen, allerdings fiebern die Menschen dabei oft nicht mit, sondern nehmen den Spielverlauf eher am Rande zur Kenntnis. Die Partie Katar gegen Ecuador wird also sicher über einige Bildschirme flackern, aber auf sehr viel größeres Interesse als irgendein russisches oder anderes europäisches Ligaspiel, das auf einem anderen Bildschirm womöglich in Wiederholung gezeigt wird, wird sie nicht treffen. Auch den anderen WM-Spielen wird in Russland wenig Aufmerksamkeit zuteilwerden.
Das liegt zuvorderst daran, dass die russische Nationalmannschaft, die sich bei der WM-Qualifikation in die Play-Off-Spiele gekämpft hatte, Ende Februar von der Fifa und Uefa wegen der militärischen Eskalation in der Ukraine aus allen internationalen Wettbewerben der Verbände ausgeschlossen wurde. Während in Deutschland das erste WM-Spiel des DFB-Teams gegen Japan am 23. November inzwischen als Termin gesetzt ist, fehlt in Russland ein vergleichbares Thema für den Einstieg in die WM.
In den russischen Nachrichten findet die WM daher kaum statt, was vielleicht auch daran liegt, dass man den Ausschluss der russischen Nationalmannschaft nun mit demonstrativem Desinteresse quittiert. Gleichzeitig bedeutet das, dass die Diskussion über Menschenrechte und Korruption, die in Deutschland im Zusammenhang mit der WM in Katar geführt wird, ebenfalls ausfällt.
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Der katarische Emir Tamim bin Hamad Al Thani traf unlängst Russlands Präsidenten Wladimir Putin.
© Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS
Hinter den Kulissen stößt die WM in Katar in Russland allerdings auf freundliche Zugewandtheit: Bei einem Treffen mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani sicherte Präsident Wladimir Putin im Oktober Hilfe bei der Organisation des Turniers zu: „Alles, was wir an Erfahrung bei der Vorbereitung auf eine Fußball-WM weitergeben können, machen wir“, sagte Putin, der als Ausrichter der WM 2018 auf eigene Erfahrungswerte zurückgreifen kann und darauf sichtlich noch immer stolz ist.
USA: Thanksgiving ist erstmal wichtiger
Wenn es um Sport geht, dann kommt für Amerikaner nach Baseball, American Football und Basketball lange nichts. So beschäftigen sich viele US-Bürgerinnen und -Bürger gerade deutlich mehr mit der Planung für das am Donnerstag anstehende Thanksgiving-Fest als mit der Fußball-Weltmeisterschaft.
Doch die Menschenrechtsverstöße des Emirats stoßen auch in den USA auf Protest, obwohl die Biden-Regierung den Golf-Staat aus geopolitischen Erwägungen offiziell in die prestigeträchtige Gruppe der wichtigsten Nicht-Nato-Verbündeten aufgenommen hat. Organisationen wie Human Rights Watch rufen zu Protesten auf. „Die Weltmeisterschaft ist spannend, lukrativ und tödlich“, sagt deren Aktivistin Minky Worden mit Blick auf die katastrophale Lage der Gastarbeiter vor Ort.
Die amerikanische Fußball-Nationalmannschaft hat für das Ereignis ihre Trikots ändern lassen. Unter dem USA-Schriftzug im Wappen sind die sieben normalerweise roten Streifen nun in Regenbogenfarben eingefärbt. Damit soll gegen die Diskriminierung der Angehörigen der LGBTQ-Gemeinde protestiert werden. „Wir sind eine Mannschaft, die an Inklusivität glaubt“, sagte Torhüter Sean Johnson, ein Afroamerikaner: „Wir werden diese Botschaft weiterverbreiten.“
Allerdings dürften die Trikots wegen der FIFA-Regularien nur im Trainingsstadion getragen werden. Bei den offiziellen Spielen werden die Amerikaner im gewohnten Trikot auflaufen.
Argentinien und Brasilien: Nach dem ersten Spiel wird gestreikt
Auch in Südamerika ist diesmal alles anders: Vor allem in Argentinien freuen sich die Fans auf eine Sommer-WM in den Parks, Cafes und Restaurants. Normalerweise frieren die argentinischen Fans im Winter, wenn die WM in der europäischen Sommerpause stattfindet. So wird es in Buenos Aires oder Rosario eine ganz neue, sommerliche WM-Erlebnisse geben. Für das erste Spiel der „Albiceleste“ gegen Saudi-Arabien ist sogar ein Streik angekündigt. „Erst unterstützen wir unsere Nationalmannschaft, dann marschieren wir“, heißt es in einem Aufruf für einen höheren Mindestlohn. Um 7 Uhr spielt Argentinien, anschließend geht es gemeinsam zum Arbeitsministerium.
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Fußballfans jubeln beim Public Viewing in Buenos Aires - in diesem Jahr erstmals im Sommer.
© Quelle: picture alliance / Photoshot
In Rio de Janeiro ist an der Copacabana ein großes Fanfest geplant, zumindest wenn die Selecao spielt. In Brasilien wie in Argentinien wird in den Medien zwar auch für Themen wie Homophobie oder Wüstentemperaturen berichtet, die Debatte hat aber bei weitem nicht das Ausmaß wie in Deutschland. Ein Boykott ist kein Thema. Das liegt vielleicht auch daran, dass ganz Argentinien endlich wieder Weltmeister werden will und Lionel Messi die Krönung seiner Karriere wünscht. Außerdem wollen die Argentinier gemeinsam mit Uruguay, Paraguay und Chile die WM 2030 ausrichten, da kommt Kritik an der FIFA nicht so gut an.
Brasilien hofft auf die späte Wiedergutmachung nach der Schmach von 2014 gegen Deutschland, der letzte WM-Titel liegt nun auch schon 20 Jahre her und wird in den Streamingdiensten noch einmal ausführlich aufgearbeitet. Und vielleicht kann ein WM-Titel auch helfen, die polarisierte Gesellschaft nach einem hässlichen Wahlkampf wieder ein wenig zu versöhnen.
Japan: Konzentration auf das Sportliche
Wer in Japan nicht aktiv nach Informationen sucht, wird nur wenig darüber erfahren, wie kontrovers die WM in Katar anderswo diskutiert wird. Die führenden japanischen Medien fokussieren sich meist auf das rein Sportliche. So handelten die letzten Artikel im „Asahi Shimbun“, einer durchaus kritischen Zeitung mit der zweihöchsten Auflage im Land, eher von Vorfreude. „Mit der Rekordzahl von sechs Mannschaften setzt Asien seine WM-Ziele neu“, lautete etwa eine Überschrift im Juni.
Kurz darauf handelte ein Artikel von der Japanerin Yoshimi Yamashita, die als eine von nur wenigen Frauen zum offiziellen WM-Schiedsrichtergespann zählen wird. Auch andere Medien interessieren sich kaum für Politik oder behandeln diese Dimension mit großer Vorsicht. Der öffentlich-rechtliche Sender NHK berichtete Ende etwa September davon, dass Katar zur WM neue Einreisebeschränkungen beschlossen hat.
Und was den Umgang mit Gastarbeitern angeht, zitierte NHK zuletzt bezeichnenderweise den englischen Fußballverband, der Entschädigungszahlungen für die Familien derer fordert, die sich im Zuge der Bauarbeiten verletzt haben oder starben. Den japanischen Fußballverband hätte man zum Thema nicht zitieren können. In Japan schaut man bei der politischen Dimension des Turniers eher weg.
Das Turnier gilt eher als Sportturnier wie jedes andere. In Medien erfährt man dieser Tage, dass Trainer Hajime Moriyasu trotz der harten Gruppenauslosung mit den Gegnern Deutschland, Spanien und Costa Rica das Viertelfinale anpeilt. Zu mehreren Verletzten gesellte sich vor kurzem noch der Verteidiger Wataru Endo, dessen Fitness dadurch fraglich wurde. Und das macht dann mehr Sorgen als alles andere.
Australien: Kein Blatt vor dem Mund
In Australien ist das Interesse am Fußball grundsätzlich eher gering. Hier begeistern Rugby, Australian Football und Cricket die Massen. Außerdem hat man Down Under ein wenig einen sauren Beigeschmack, denn eigentlich wollten die Australier selbst die Fußball-WM 2022 austragen. Doch die Fifa gab 2010 den Zuschlag an Katar. Deswegen nehmen sich manche Kolumnisten australischer Tageszeitungen derzeit auch kein Blatt vor den Mund. So schrieb Darren Kane im „Sydney Morning Herald“ beispielsweise, dass es ja wohl „lächerlich“ sei, dass das „Juwel in der Krone des Weltsports an einem Ort ausgetragen wird, der halb so groß ist wie Wales und mit dem gleichen sportlichen Erbe wie Guantanamo Bay“. Außerdem sei es „entsetzlich“, dass einem Land, das seine Bevölkerung so misshandele wie Katar, eine solche Plattform zugesprochen werde, um für sich selbst zu werben.
16 australische Fußballer konnten dann auch nicht „ihren Mund halten“. Sie machten in einem gemeinsamen Video ihrem Unmut darüber Luft, wie sehr die Gastarbeiter wohl leiden mussten und dass Vertreter der LGBTQ+-Gemeinde in Katar nicht den Menschen lieben dürften, den sie lieben möchten.
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Ganz ernst nahmen die katarischen Organisatoren die Kritik aus Down Under aber wohl nicht, was durchaus auch daran liegen kann, dass das Land selbst auch nicht die beste Bilanz beim Thema Menschenrechte hat. Man „lobte“ die Spielergruppe dafür, das Bewusstsein für Probleme im Vorfeld des Turniers geschärft zu haben und beließ es mit den salbungsvollen Worten: „Kein Land ist perfekt“.
Afrika: Lauter Abschied im Senegal, erschütternde Berichte aus Kenia
Im Senegal wurde eine Woche vor dem Spiel gegen die Niederlande die Nationalmannschaft mit Trommeln und Tanz verabschiedet. Daneben qualifizierten sich vier weitere afrikanische Länder. „Wir können es kaum erwarten, unsere Mannschaft willkommen zu heißen“, strahlte ein marokkanischer Fan in Katar. Selbst in Südafrika, das keine Mannschaft schickt, planen laut einer Umfrage zwei Drittel der Befragten, die WM anzuschauen.
Stimmung herrscht auch in Liberia – allerdings überwiegt hier der Ärger über den fußballverrückten Präsidenten. George Weah, im früheren Leben Spieler bei AC Milan und Chelsea, will neun Tage in Katar verbringen. Dort plant er, seinen Sohn Tim anzufeuern: Weah junior spielt für die US-Mannschaft. Wie viel die Steuerzahler des verarmten Landes für die Reise ausgaben, bleibt ein Geheimnis.
Auch Afrika diskutiert über Menschenrechtsverletzungen und Ausbeutung im Gastgeberland. Kenianische Arbeiter erzählen von zwölfstündigen Arbeitstagen, nach denen sie in Kakerlaken-verseuchte Baracken zum Kochen und Schlafen zurückkehren. „Wir arbeiten bei 52 Grad in der prallen Sonne“, so einer der Arbeiter. Kenias Regierung kündigte diese Woche an, „safe houses“ in Golfstaaten einrichten zu wollen, um gestrandeten und ausgebeuteten Arbeitsmigranten zu helfen. „Viele Familien“ hätten einer örtlichen Zeitung nach bereits ihre Söhne in Katar verloren. Auch Ugandas Regierung vermutet 80.000 seiner Bürger als Gastarbeiter im Nahen Osten, darunter Katar.