Audi-Prozess: „Oberster Abgasbehandler“ spricht von „kollektivem Verlust des moralischen Kompasses“

Audi-Prozess: In der Kronzeugenaussage wird schnell klar, dass es sich beim Dieselskandal um kollektiven Betrug gehandelt haben muss.

Audi-Prozess: In der Kronzeugenaussage wird schnell klar, dass es sich beim Dieselskandal um kollektiven Betrug gehandelt haben muss.

München. Wenn ein Angeklagter in einem deutschen Gerichtssaal mehrtägig eine Powerpoint-Präsentation vorträgt, handelt es sich um keinen normalen Prozess. Verhandelt wird in dem Fall der Dieselbetrugsskandal bei der VW-Tochter Audi. „Ich habe 150 Folien, viel Technik und viele Details gezeigt“, sagt Henning L. am Ende seines Gewaltmarsches durch Abgas-Know-how und die Audi-Welt vor gut zehn Jahren. Der Mitangeklagte im ersten deutschen Strafprozess zum Dieselbetrug fasst zusammen, was ihm wichtig ist. „Es gab eine Angstkultur, wo Fehler vertuscht wurden und Chefs nichts von Problemen wissen wollten, wo nach oben gebuckelt und nach unten getreten wurde.“ Henning L. stand in dieser Hierarchie ziemlich weit unten.

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Der Mann, der sich als „oberster Abgasbehandler“ von Audi bezeichnet, wirkt erleichtert, nachdem er das im Gerichtssaal der Münchner Justizvollzugsanstalt Stadelheim gesagt hat. Er ist der Kronzeuge unter den vier Angeklagten und der iEnzige des Quartetts, der nie in Untersuchungshaft musste. Sein Ex-Vorgesetzter Giovanni P., der ehemalige Audi-Motorenchef Wolfgang Hatz und der langjährige Audi-Chef Rupert Stadler saßen als Mitangeklagte schon jeweils einige Monate hinter Gittern. Stadler und Hatz weisen bis heute jede Mitschuld von sich.

Wenn jeder Bescheid weiß, hat es nichts Anrüchiges mehr.

Henning L.

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Sound-System war wichtiger als ein größerer Tank zur Abgasreinigung

Henning L. war von Anfang an geständig. In seinem Team wurde die Betrugssoftware erfunden, die Dieselmotoren auf dem Prüfstand sauber gemacht, aber auf der Straße die Abgasreinigung abgeschaltet hat. Was er und der teilgeständige Giovanni P. in den vergangenen sechs Prozesstagen gesagt haben, macht verständlich, wie und warum es dazu gekommen ist. VW wollte ab 2008 mit aller Macht in den USA mit sauberen Dieselmotoren punkten. Schnell musste es gehen und kundenfreundlich sollte es sein.

Letzteres heißt, US-Autofahrern sollte nicht zugemutet werden, selbst regelmäßig Adblue nachzutanken. Dieses Gemisch, das zur Abgasreinigung nötig ist, sollte nur bei der Wartung von Werkstätten nachgefüllt werden, was große Adblue-Tanks voraussetzt. Die wurden aber vom Audi-Management verboten, weil Platz in einem Auto begrenzt ist und anderem der Vorzug gegeben wurde. Ein Sound-System sei wichtiger gewesen als ein größerer Tank zur Abgasreinigung, hatte Giovanni P. erzählt. „Kundenfreundlichkeit schlägt Emission“, sagt Henning L. dazu.

E-Mails: „Ganz ohne Bescheißen“ ist es nicht möglich

Die Bühne zum Abgasbetrug war damit gerichtet. Schwieriger zu beantworten ist die entscheidende Frage, wer darauf die handelnden Akteure waren. Auf Ebene von Technikern und Ingenieuren war früh klar, dass die Vorgaben des Managements und das Verbot großer Adblue-Tanks in Betrug münden müssen. Henning L. präsentiert dazu E-Mails, die keinen Zweifel lassen. „Ganz ohne Bescheißen“ werde man es nicht schaffen, heißt es in einer klipp und klar. Das habe er auch nach oben kommuniziert, sagt der oberste Audi-Abgasbehandler. Wie genau, will Richter Stefan Weickert wissen. Nicht in dieser Wortwahl, räumt Henning L. ein.

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Er präsentiert die Folie einer E-Mail mit dem Satz „In den USA höchst kritisch“. Von Betrugssoftware oder Beschiss ist nicht ausdrücklich die Rede. Aber dass US-Behörden im Gegensatz zu denen in der EU oder Deutschland genauer hinsehen, wenn es um Abgaswerte auf der Straße geht, das sei jedem bei Audi bekannt und klar gewesen.

Management verlor jegliche Moral

Der Hinweis auf die USA sei deshalb eine „Bombe“ gewesen, sagt Henning L. Seine Chefs bis hinauf zu Hatz hätten das verstehen und die Reißleine ziehen müssen, was aber nicht geschah. „Stattdessen gab es einen kollektiven Verlust des moralischen Kompasses“, sagt der Kronzeuge. Der habe sich in Mannschaft und Management ausgebreitet. „Wenn jeder Bescheid weiß, hat es nichts Anrüchiges mehr“, sagt Henning L. Einen rauchenden Colt, wie es in der Ermittlersprache heißt, einen schlagenden Beweis, dass Topmanager genau von der Betrugssoftware wussten, liefern aber die 150 Folien des Powerpoint-Vortrags nicht.

Als Nächstes will Hatzl seine Unschuld erklären

Hatz und Stadler wirken entspannt. Letzterem wird im Gegensatz zu den anderen drei Angeklagten keine aktive Mitwirkung am Betrug angelastet. Stadler muss sich dafür verantworten, dass er manipulierte Audis verkaufen hat lassen, als der Betrug auch ihm nachweisbar bekannt war. Richter Weickert lässt noch nicht erkennen, wie er die Sache sieht. „Es ist erstaunlich, wie detailliert alles erörtert worden ist“, sagt er lediglich an einer Stelle. Als Nächster will Hatz das Wort ergreifen und über voraussichtlich drei Prozesstage hinweg, wenn auch ohne Powerpoint-Präsentation, erklären, warum er sich unschuldig fühlt. Danach will dann auch Stadler aussagen.

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