Der Soli für Reiche ist verfassungskonform
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/HG3HQE4HO5EE3CDWLMBVSN7E2Y.jpeg)
Das Ehepaar Margarete und Andreas Berberich hat gegen den Solidaritätszuschlag geklagt und verloren.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
München. Es ist ein Richterspruch, der Reiche und Vermögende, den Fiskus und den sozialen Frieden gleichermaßen betrifft. „Der Solidaritätsbeitrag 2020 und 2021 ist rechtmäßig und verstößt nicht gegen die Verfassung“, urteilte der Präsident des Bundesfinanzhofs (BFH), Hans-Josef Thesling am Sitz des obersten deutschen Finanzgerichts in München (Aktenzeichen IX R 15/20). Eine Vorlage des Falls an das Bundesverfassungsgericht (BVG) sei deshalb nicht geboten. Gegen eine Erhebung des Soli durch das Finanzamt Aschaffenburg in den beiden Jahren geklagt hatte mit Unterstützung des Bunds der Steuerzahler ein über 70-jähriges, vermögendes Ehepaar aus Bayern. Sie sind dabei auf ganzer Linie gescheitert, können aber selbst noch vor das Verfassungsgericht ziehen.
„Ich bin bereit eine Verfassungsbeschwerde vorzubereiten“, erklärte der vor dem BFH für sie auftretende Steuerberater Roman Seer. Seine Mandanten müssten das nun binnen vier Wochen entscheiden. Mit Blick auf das Alter der beiden betagten Kläger sei die Entscheidung offen. „Das Urteil ist enttäuschend, aber nicht überraschend“, kommentierte der Steuerrechtler. Er habe im Vorfeld mit einer 50-zu-50-Chance gerechnet.
Finanzminister Lindner hält Senkung der Einkommensteuer für angebracht
Finanzminister Christian Lindner hält angesichts der aktuellen Wirtschaftslage eine Senkung der Einkommensteuer für angebracht.
© Quelle: dpa
Theslings jetziger Spruch lässt allerdings an Klarheit nicht zu wünschen übrig. Jedenfalls in den beiden beklagten Jahren 2020 und 2021 sei der Soli „noch“ verfassungskonform, erklärte der Finanzrichter. Zwar sei 2019 auch der Solidarpakt II ausgelaufen, dessen erste Fassung 1995 eingeführt wurde. Der unter Steuerzahlern oft nur Soli genannte Zuschlag auf die Einkommensteuer, Kapitalerträge und die Körperschaftssteuer wurde eingeführt, um die Zusatzkosten der deutschen Wiedervereinigung finanziell abzufedern. Ab 2021 mussten ihn nur noch die etwa 10 Prozent einkommensstärksten Deutschen aufbringen. Auch nach dem Solidarpakt II habe weiter ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes bestanden, weshalb der den Soli auch nach 2019 noch erheben durfte, stellte Thesling nun klar.
Verfassungswidrig aber wäre der Soli 2020 und 2021 nur gewesen, wenn sich die ihm zu Grunde liegenden Verhältnisse grundsätzlich verändert hätten, erklärte der Richter. Eine Ergänzungsabgabe wie der Soli müsse zwar zeitlich befristet sein. Aber die deutsche Wiedervereinigung sei eine Generationenaufgabe, die sich über rund 30 Jahre erstrecke. So gerechnet hätte der Soli noch bis einschließlich 2024 eine grundsätzliche Daseinsberechtigung.
Auch der Gleichheitsgrundsatz ist nicht verletzt
Weil er damit weiter gerechtfertigt ist, sei es auch nicht relevant, ob eventuell eine Zweckentfremdung vorliegt, sagte Thesling. Die Kläger hatten vorgebracht, dass der Soli eine Art Etikettenschwindel darstellt, der zusätzliche Finanzbedarfe durch die Pandemie oder aktuell die Energiekrise begleichen helfe. Ob eine solche Umwidmung ohne neues Gesetz möglich sei, lässt der BFH nun ausdrücklich offen.
Farbe bekennt er dagegen in einem anderen und dem möglicherweise wichtigsten Punkt des Urteils. Denn das Ehepaar aus Bayern hatte auch wegen Ungleichbehandlung einen Verfassungsbruch erkannt. Seit 2021 wird die Abgabe nur noch von dem Zehntel der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen erhoben. Deshalb wurde er zuletzt oft verkürzend als Reichensteuer bezeichnet. Aus der Solidarität aller sei die Solidarität weniger geworden, argumentiert das Klägerehepaar.
Kurze Geschichte des Soli
Der Solidaritätszuschlag wurde 1995 eingeführt, um die Sonderkosten der deutschen Wiedervereinigung abzufedern. Seitdem hat er dem Fiskus rund 400 Milliarden Euro eingebracht. Seit 2020 wird er nur noch vorläufig erhoben und seit 2021 auch nur noch von einem kleinen Teil der Erwerbsbevölkerung. Seit 2020 hat der Fiskus noch rund 40 Milliarden Euro durch den Soli eingenommen. Gegen ihn wurde bereits vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) Klage eingereicht. Kläger ist der FDP-Politiker Florian Toncar, der noch als damaliger Oppositioneller das BVG angerufen hat. Heute ist Toncar pikanterweise Finanzstaatssekretär im von Christian Lindner geführten Bundesfinanzministerium. Auch Lindner ist gegen den Soli für Reiche. Die Beteiligung seines Ministeriums an der Seite des beim BFH beklagten Finanzamts Aschaffenburg hat er zurückziehen lassen, was bei vielen Finanzbeamten in ganz Deutschland für Befremdung gesorgt hatte.
„Die Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt“
„Der Gleichheitsgrundsatz ist nicht verletzt, die Ungleichbehandlung ist gerechtfertigt“, stellte dagegen Richter Thesling klar. Bei der Ausgestaltung einer solchen Abgabe dürfe der Gesetzgeber soziale Gesichtspunkte berücksichtigen. Die Reduzierung des Soli auf das einkommensstärkste Zehntel der Bevölkerung sei eine Berücksichtigung des Umstands, dass der Finanzaufwand für die Wiedervereinigung tendenziell über die Jahre sinkt. „Folgerichtig wurde mit dem Einstieg in den Ausstieg begonnen“, erklärte Thesling das Aus des Soli für 90 Prozent der Bezieher von Einkommen. Das Sozialstaatsprinzip rechtfertige ein solches Vorgehen.
In der Bundespolitik stieß das Urteil erwartungsgemäß auf unterschiedliche Reaktionen. FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer erklärte, die FDP-Fraktion bleibe bei ihrer Position, dass der Soli keine Rechtsgrundlage mehr besitze und daher baldmöglichst abgeschafft werden müsse. Ähnlich äußerte sich die Union. SPD und Grüne zeigten sich hingegen zufrieden. Der SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi sagte, der BFH habe den Solizuschlag als „zentrales Element einer gerechten Finanzierung der deutschen Einheit“ bestätigt. Grünen-Vizefraktionschef Andreas Audretsch erklärte: „Es wäre absurd gewesen, die reichsten 10 Prozent des Landes zu entlasten, während viele Menschen kaum noch wissen, wie sie am Ende des Monats ihre Rechnungen bezahlen sollen.“
Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Florian Köbler, forderte die Politik auf, verfassungsfeste Lösungen zu suchen. Das Urteil enthalte einen „Fingerzeig an den Gesetzgeber, dass es Zeit wäre, sich über die Zukunft der derzeitigen Ergänzungsabgabe Gedanken zu machen“, sagt er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Schließlich gebe es im Zuge der Corona-Krise oder des Ukraine-Krieges auch weiter einen erhöhten Finanzbedarf. Den Soli mit der Begründung „Wiedervereinigungskosten“ werde es wohl aber nicht mehr allzu lange geben. „Es muss bald ein Plan her, wie der Soli in Zukunft gestaltet werden kann“, so Köbler.