Corona-Krise: Lässt sich die Weltwirtschaft einfrieren?
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Das Volkswagenwerk Zwickau: Alle Räder stehen still – wie lange geht das gut?
© Quelle: imago images/STAR-MEDIA
Herr Straubhaar, dürfen wir mit einer für einen Ökonomen sicher schrecklich naiven Frage beginnen?
Nur zu.
Da jetzt wirklich alle Länder von dieser Krise betroffen sind: Ließen sich Wirtschaft und Finanzmärkte nicht für die Dauer dieser Pandemie einfrieren, gleichsam in einen Winterschlaf versetzen? So, dass alle Aktivitäten gestoppt wären – und man hinterher so weitermachte, als wäre nichts geschehen?
Das ist keineswegs eine naive Theorie. Das entspricht einerseits der politischen Praxis und auf der anderen Seite genau dem, was letztlich auch geschieht, nämlich dass die Wirtschaft in den Winterschlaf geschickt wurde und der Staat an ihrer Stelle dafür sorgt, dass die Menschen Einkommen und die Unternehmen Liquidität und Kredite erhalten, also zahlungs- und kreditfähig bleiben.
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Professor Thomas Straubhaar lehrt Volkswirtschaft an der Universität Hamburg und ist spezialisiert auf internationale Wirtschaftsbeziehungen.
© Quelle: imago stock&people
Das Bild passt also?
Ja, die Metapher ist nicht schlecht. Die Frage ist nur, ob und vor allem wie lange es funktioniert. Jeder Winterschlaf wird ja vorbereitet von den Tieren, die sich ein Fettpolster anfressen für diese Zeit. Das ist bei der Wirtschaft nicht viel anders. Ein Einfrieren für eine gewisse Zeit führt nicht zum Tod der Wirtschaft. Aber die Frage ist: Wie gut waren wir vorbereitet auf diesen Winterschlaf? Da würde ich sagen: eher schlecht.
Um im Bild zu bleiben: Wir haben nicht genug Nüsse gesammelt?
Ja, in dem Sinne, dass wir es offensichtlich nicht geschafft haben, uns auf so eine Pandemie vorzubereiten. Das beginnt beim Gesundheitswesen, das in vielen Ländern unfassbar schnell an seine Grenzen gerät. Wir haben das Gesundheitswesen in der Vorbereitung nicht entsprechend gemästet, mit Medikamenten, Schutzeinrichtungen, Intensivbetten und allem, was es im Krisenfall so braucht. Es geht aber weiter, von Toilettenpapier und Nudeln bis zu anderen Notvorräten. Und da zeigt sich das Ende Ihrer Metapher: Was Menschen konsumieren wollen, muss auch von jemandem produziert werden.
Exakte Prognosen: “Schräg und unsachgemäß”
Das Problem ist nicht globale Einigkeit, sondern der Mangel an Vorräten?
Das hängt in dem Sinne zusammen, als die mangelnde Vorratshaltung eine Konsequenz globaler Märkte ist. Wir haben uns so an die globalisierte Wirtschaft gewöhnt, dass wir in der Regel von der Hand in den Mund leben, weil wir uns bei Mangel rasch irgendwo auf der Welt Nachschub holen konnten. Die globalen Wertschöpfungsketten haben im Prinzip die Lagerhaltung übernommen, weil global immer ein Überschuss verfügbar war. Der Unterschied ist, dass es jetzt eine Pandemie weltweiten Ausmaßes gibt und weltweit keine Atemschutzmasken und Beatmungsgeräte verfügbar sind.
Wie lange darf so ein Winterschlaf dauern?
In so disruptiven Zeiten wie heute eine exakte Prognose abgeben zu wollen halte ich für schräg und unsachgemäß.
Was halten Sie dagegen?
Alles, was wir tun können, sind grobe Überschlagsrechnungen. Damit können wir abschätzen, was passiert, wenn wir den Lockdown lange aufrechterhalten. Wenn das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland ungefähr 3,5 Billionen Euro beträgt, kommt man im Monat auf knapp 300 Milliarden Euro Wertschöpfung. Wenn wir annehmen, dass die Hälfte der Wirtschaft noch funktioniert, werden momentan monatlich etwa 150 Milliarden Euro an Werten nicht hergestellt. Das ist ungefähr die Summe des Nachtragshaushalts der Bundesregierung.
Wenn es also länger wird als diesen einen Monat, dann wird es wieder 150 Milliarden Euro kosten, oder die ersten Betriebe werden aufgeben müssen. Dann wird die Beschäftigung sinken, der Konsum geringer, und die Ängste der Menschen werden größer. Mit jedem Monat wird das deutlicher und teurer. Daher: Den ersten Monat Winterschlaf kann man wegstecken. Ein zweiter ist so eine Art Vabanque. Aber dann geht es wirklich ans Eingemachte.
“Diese Diskussion zu unterbinden ist der falsche Weg”
Was ist, wenn die Wirtschaft wieder aufstehen möchte, das Virus aber noch grassiert?
Wenn der Virologe sagt, dass uns das Virus noch eine lange Weile beschäftigen wird, sagt der Ökonom, dass wir genau deswegen eine Strategie entwickeln müssen, die länger als vier Wochen ins Auge fasst. Das kann nur eine Strategie sein, die rasch und wohl stufenweise nach einem Verfahren, das wir noch finden müssen, größere Gruppen von Menschen in eine Normalität zurückführt.
Halten Sie es für falsch, wenn etwa die Kanzlerin sagt, wir dürften über einen Ausstieg jetzt gar nicht reden?
Ja. Wobei ich natürlich verstehe, warum Frau Merkel und andere diese Diskussion unterbinden: weil die bereits beschlossenen, außerordentlich einschränkenden Maßnahmen jetzt noch breit akzeptiert sind und es die Sorge gibt, diesen Konsens zu gefährden. Auch ich würde an den drei Wochen bis Ostern festhalten. Aber diese drei Wochen müssen wir viel intensiver für die Suche nach einer Exitstrategie nutzen. Da müssen Virologen, Juristen, Ökonomen und Statistiker zusammensitzen und klären, wie wir einen Exit vollziehen können, der Gerechtigkeits- und Gesundheitsgründen genauso genügt wie dem ökonomischen Überleben. Diese Diskussion jetzt zu unterbinden ist genau der falsche Weg.
“Schulen rasch flächendeckend wieder öffnen”
Ihr Vorschlag läuft darauf hinaus, dass die Jüngeren eher raus dürfen.
Absolut. Ich würde die Schulen so rasch wie irgendwie möglich wieder flächendeckend öffnen. Ich möchte dabei auch noch mal die Virologen mit deren eigenen Erkenntnissen provozieren: Der schwedische Chefvirologe erklärt, dass der WHO bisher kein einziger belegbarer Fall bekannt sei, dass ein Kind einen Erwachsenen angesteckt habe.
Was die Forschung möglicherweise noch widerlegt.
Das ist natürlich nicht auszuschließen. Dennoch müsste viel intensiver nachgeforscht werden, ob sich Schulen tatsächlich als Verbreitungshotspots für das Virus erweisen und ob nicht Schulen wieder öffnen sollten, selbstverständlich mit Schutzmaßnahmen für Lehrerkollegien. Dann sollten zeitnah auch die Universitäten zum Normalbetrieb zurückkehren und so viele Firmen wie möglich mit dem gewohnten Arbeitsleben wieder beginnen. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die besonders Gefährdeten auch besonders zu schützen sind, damit ihnen nichts passieren kann.
“Gerade um Menschenleben zu schützen, brauchen wir eine starke Wirtschaft”
Kritiker werden Ihnen vorwerfen, dass die Isolierung der Alten eine unmäßige Härte darstellt – und dass Sie die Wirtschaft über den Schutz des Lebens stellen.
Beide Argumente sind komplett falsch. Es hilft doch niemandem, wenn aus lauter Solidarität mit den besonders Gefährdeten gleich alle isoliert werden. Es geht mir nicht um eine Bestrafung der Alten, sondern um den besonderen Schutz jener, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben zu erkranken – was eigentlich sowohl dem gesunden Menschenverstand als auch der alltäglichen Praxis entspricht. So wird auch nicht die gesamte Bevölkerung gegen Bluthochdruck behandelt, sondern primär jene, die besonders gefährdet sind. Das ist für mich Teil einer smarten, einer kontrollierten Rückkehr zur Normalität.
Eine Normalität, in der ökonomische Interessen schwerer wiegen als das Leben Einzelner?
Das wäre in der Tat unmoralisch und unethisch. Aber diesen Konflikt gibt es so nicht. Es geht nicht um Leben oder Wirtschaft. Was wir schaffen müssen, ist Sowohl-als-auch-Strategien zu finden. Auf längere Sicht kann nur eine gesunde Wirtschaft auch ein langes und gesundes Leben für die Masse der Bevölkerung gewährleisten. Gerade um Menschenleben, auch bei Schwersterkrankung, nachhaltig zu schützen, brauchen wir eine starke Wirtschaft – die es zum Beispiel schafft, Intensivstationen nach höchsten Standards ausstatten zu können. Je leistungsfähiger eine Wirtschaft ist, desto höher ist im Normalfall die Lebenserwartung.
“Den Bonus mit den südeuropäischen Ländern teilen”
Wie weit reicht das Geld eigentlich?
Es ist das deutsche Privileg, dass sich der Staat verschulden kann, ohne dass er dafür was bezahlen muss. Eine paradiesische Situation. Bislang erhält der deutsche Staat dafür sogar Geld, einen Bonus, dass er den Gläubigern dieser Welt das Geld in Sicherheit hütet. Jetzt muss er einen Teil dieses Bonus an die Bevölkerung geben, um die Schäden der Pandemie zu mindern. Und das ist eine sehr vernünftige Politik.
Das können Spanien oder Italien nicht.
Genau. Deshalb wird in diesen Ländern neben der menschlichen Tragödie auch eine Wirtschaftskrise die Folge sein. Sie werden noch auf Jahre hinaus den Strafzoll dieses Winterschlafs bezahlen müssen. Das zeigt, dass wir hier im Sinne der europäischen Solidarität gut beraten wären zu überlegen, wie wir den Bonus mit den südeuropäischen Ländern teilen. Dann kommt man rasch auf die Corona-Bonds, die nichts anderes wären, als dass wir für eine bestimmte Summe X auf den Bonus verzichten und damit die teuren Kredite anderer Länder verbilligen.
“Menschlichkeit darf keine Grenzen kennen”
Es sollte diese Bonds geben?
Ja. Und wer mir Zynismus vorwirft, weil ich danach frage, wie man Menschen UND Wirtschaft gesund erhält, der widerspricht sich selbst, wenn er oder sie Länder wie Italien oder Spanien mit diesen Schulden sich selbst überlässt. Menschlichkeit darf keine Grenzen kennen – in Notzeiten erst recht nicht.
Sie treten seit Langem für ein Grundeinkommen ein. Ist dessen Chance jetzt gekommen?
Ich bin dagegen, dass jetzt alles mit der Corona-Krise begründet wird. Nach der Krise aber wird mehr denn je die Diskussion über “bedingungslose” Sozialhilfe Aufwind kriegen. Wir sehen jetzt, dass in vielen Bereichen so etwas wie ein Grundeinkommen genutzt wird, um schnell und unbürokratisch Hilfe leisten zu können. Was man auch sieht, ist, dass diese Bedingungslosigkeit eine Stärke ist, weil viele an sich ja gesunde Betriebe jetzt ohne eigenes Verschulden in die Krise kommen. Das zeigt doch, dass die Bedingungen von gestern in einer Welt der Disruption morgen nicht mehr weiterhelfen.