Dank Kaufprämie sind E-Autos beliebter denn je – doch bleibt der Hype?
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In Deutschland legten Bundesregierung und Hersteller gemeinsam eine Prämie für Elektroautos auf, die man in der Branche „schön“, „massiv“ oder schlicht „extrem“ findet – bis zu 9000 Euro pro Auto gibt es.
© Quelle: imago images/Panthermedia
Hannover. Sie hatten abgeschlossen mit diesem Corona-Jahr 2020. Gestoppte Produktion, lahmgelegte Händler, Lockdowns mal hier und mal da – rund um den Globus hatte die Autoindustrie Produktion und Verkauf runtergefahren, Lieferströme umgelenkt, Hygienekonzepte aufgesetzt. Was sollte in den letzten paar Wochen noch kommen?
Es kamen Kunden. In China erholte sich der Markt. In vielen Ländern beschlossen die Regierungen Kaufprämien. Und in Deutschland legten Bundesregierung und Hersteller gemeinsam eine Prämie für Elektroautos auf, die man in der Branche „schön“, „massiv“ oder schlicht „extrem“ findet – bis zu 9000 Euro pro Auto gibt es.
Jeder siebte Neuwagen war E-Auto
„In Deutschland gibt es einen Boom der Elektrofahrzeuge aufgrund der Kaufprämie“, sagt Harald Proff, bei der Unternehmensberatung Deloitte für den Automobilsektor verantwortlich. Inzwischen ist auch Tesla hoffähig geworden, die Akzeptanz für E-Autos allgemein wächst. „Die Leute grinsen, wenn sie nach der Probefahrt aussteigen“, will ein Händler beobachtet haben. So wurde es noch „ein unerwartet positives viertes Quartal“, sagt Proff.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland dreieinhalbmal so viele Elektrofahrzeuge verkauft wie 2019 – während der Rest des Marktes dramatisch einbrach. Fast 400.000 E-Autos gingen an die Kunden, das war jeder siebte Neuwagen – je zur Hälfte reine Batterieautos und Plug-in-Hybride, die sowohl mit ihrem Verbrennungsmotor als auch mit der Elektromaschine fahren können.
Und die Kurve steigt: Im Dezember war es schon jeder vierte Neuwagen in Deutschland, in den großen Märkten Westeuropas insgesamt jeder fünfte. Das alte Ziel, im Jahr 2020 eine Million E-Autos auf deutschen Straßen zu haben, galt lange als utopisch. Doch mit nur einem Jahr Verspätung wird es 2021 wohl erreicht.
Weckruf für die Autobauer
Es hätte so schön sein können. Doch die Hersteller seien „ein bisschen überrascht vom Prämieneffekt“, sagt ein Insider. Opel zeigte Bilder seines neuen Mokka-e, und es hagelte Bestellungen für die Elektroversion des schicken SUV für die Stadt. Jetzt reichen die Lieferzeiten ins Jahr 2022, und in Internetforen berichten Kunden, dass Opel Kaufverträge storniert habe – mangels Lieferfähigkeit.
Nicht nur bei den Opelanern in Rüsselsheim ist der Umbruch Fluch und Segen zugleich. Auch die Hybridversion des Ford Kuga verkaufte sich glänzend – bis Probleme mit den zugelieferten Akkus zu Austausch und Lieferstopp zwangen. Und natürlich VW: Die ersten paar Tausend ID.3 fuhren wegen Softwareproblemen nicht vom Band – sie mussten geschoben werden. Als dann zum Jahreswechsel noch Mikrochips für die Produktion fehlten, „war wirklich Feuer unterm Dach“, sagt ein Insider.
Renault wagte sich früh nach vorne
Andere haben noch nicht ihre Modelle für den Boom im Programm. Bei Ford etwa steht das erste rein elektrische Auto, der Mustang Mach E, gerade erst in den Startlöchern. Ein massentauglicheres Modell soll 2023 auf den Markt kommen – mit Volkswagens Elektroantrieb unter dem Blech. Gebaut wird der Wagen in Europa, und die Zeichen mehren sich, dass er aus dem Kölner Ford-Werk kommt.
Neben Tesla wagte sich nur Renault früh nach vorn: „Die waren sehr gut“, gibt der VW-Händler zu. „Renault war uns mit dem Zoe weit voraus.“ Aber reine E-Modelle sind immer noch knapp, vor allem bezahlbare. „Wo sind die Autos, die gewünscht werden?“, fragt auch Deloitte-Berater Proff. „Es gibt noch nicht viele, die massentauglich sind. Das Angebot an Elektrofahrzeugen ist noch nicht da, wo es hingehört, aber die Hersteller haben den Weckruf verstanden.“
Auch im Krisenjahr keine Kaufprämie für alle Autotypen
Gut ein Jahrzehnt ist es her, dass Politik und Industrie in Berlin die große Elektrooffensive ausriefen. Und trotzdem ist mancher jetzt überrascht, denn zwischendurch kam der große Beschleuniger: der Dieselskandal.
Die staatliche Förderung hätte vor 2015 sicher anders ausgesehen. Doch im Krisenjahr 2020 schafften es nicht einmal mehr die Industrie, ihr Verband VDA und die Gewerkschaften gemeinsam, eine allgemeine Kaufprämie für alle Autotypen durchzusetzen.
CO₂-Ausstoß: Kommen die Milliardenstrafen?
Und auch die EU-Kommission schlug nach dem Dieselskandal einen anderen Ton an. „Einige Hersteller haben das Thema massiv unterschätzt“, sagen Proff und ein Topmanager unisono. Der alte Plan der Industrie, die CO₂-Grenzwerte mit Dieseln und ein paar technischen Winkelzügen einzuhalten, zerfiel zu Staub. VW hat 2015 nach Auffliegen des eigenen Betrugs die Entwicklung der neuen Elektromodelle gestartet und es mit knapper Not bis 2020 geschafft.
Das war das Ziel, denn jetzt zählt die EU erstmals für jeden Hersteller den CO₂-Ausstoß seiner verkauften Autos zusammen. Wer am Ende der komplizierten Rechnung das Ziel von durchschnittlich rund 95 Gramm pro Kilometer reißt, zahlt teuer dafür. Seit Monaten sagen Modellrechnungen Milliardenstrafen voraus. Umgekehrt kann man bei Unterschreiten der Grenze Emissionsrechte an andere verkaufen – für E-Autopionier Tesla eine wichtige Einnahmequelle.
VW legte ordentlich an E-Fahrzeugen zu
Entsprechend drückten die Hersteller trotz der Schwierigkeiten kurz vor Jahresschluss noch alles in den Markt, was summt. Bei Verbrennern wurden die Rabatte zurückgefahren, damit die Kaufprämie bei den E-Modellen voll wirkt. VW griff zu „Last-Minute-Maßnahmen“, wie es in Wolfsburg heißt, und verordnete Tausenden Dienstwagenfahrern Elektro- oder Hybridautos. Das zweite neue E-Modell, der ID.4, sei schon vor dem Marktstart „massiv“ für die Straße zugelassen worden, berichtet ein Händler: „Die haben alles getan, um die Dinger auf die Straße zu bekommen.“
Am Ende meldete VW teilweisen Vollzug: Die Marke sei unter den neuen CO₂-Grenzen geblieben, der Konzern nur knapp darüber. Dazu musste der CO₂-Ausstoß der Neuwagen europaweit immerhin um ein Fünftel gesenkt werden. Ähnliches ist auch BMW und Daimler gelungen – nachdem das Ziel jahrelang unerreichbar schien.
Plug-in-Hybrid: Funktioniert als reiner Benziner noch zu gut
Das Wundermittel heißt Plug-in-Hybrid: Die Kombination aus Verbrennungs- und Elektromotor ermöglicht einen extrem niedrigen Normverbrauch. So weist Porsche für den Cayenne E-Hybrid lediglich 2,5 Liter Sprit auf 100 Kilometer aus und weniger als 60 Gramm CO₂ pro Kilometer – ganz im Einklang mit der Abgasnorm WLTP. Denn die tut so, als würde der elektrische Zusatzmotor intensiv genutzt – der 340 PS starke Sechszylinder also oft untätig spazieren gefahren.
Das Prinzip gilt für alle Plug-ins: Wie nah die Realität den Normwerten kommt, hängt mehr denn je von der Nutzung ab. Fahren die Hybridbesitzer erst einmal die Batterie mit meist 50 bis 80 Kilometern Reichweite leer, bevor der Benziner anspringt? Laden sie stets wieder auf? Mit Ökostrom? Eher nicht, sagt die Erfahrung. Der Ehrgeiz erlahmt oft schnell, und das Auto funktioniert ja auch als reiner Verbrenner wunderbar. Es schleppt allerdings verbrauchssteigernd das Gewicht von Batterie und Elektromotor mit.
Elektrifizierte Klassiker müssen es reißen
„Verbrauchertäuschung“ und „Schaufahren gegen den Klimaschutz“ sieht Jürgen Resch, Chef der Deutschen Umwelthilfe, der ein Ende der Förderung verlangt. „Plug-in-Hybride leisten nachweislich einen wichtigen Beitrag zu effektivem Klimaschutz“, hält VDA-Präsidentin Hildegard Müller dagegen und spricht von „Wegbereitern für die Elektromobilität“. Wenn es noch an den reinen E-Autos auf eigens entwickelten Plattformen mangelt, müssen es eben die elektrifizierten Klassiker reißen. Auf die lässt sich die Produktion auch leichter umstellen.
Hohe Nachfrage trifft auf unvorbereitete Industrie
„Die kommenden Monate werden enorm hart für die Branche“, sagt Peter Fuß, Autoexperte bei der Unternehmensberatung EY. Die Industrie steckt in der Zerreißprobe zwischen stürmischer Nachfrage bei den Elektronischen und Flaute am großen Rest des Marktes. In einer VDA-Umfrage berichteten jüngst 40 Prozent der Zulieferer, dass der Elektroboom an ihnen vorbeigehe – auch, weil sie nicht darauf vorbereitet sind. „Einige Hersteller haben sehr fahrlässig in Richtung der Lieferanten kommuniziert“, sagt ein Topmanager.
Doch es lag nicht auf der Hand, dass plötzlich die Batterie das Maß der Dinge sein würde. Der Hybridpionier Toyota etwa wollte direkt zum Wasserstoff übergehen – ohne Zwischenstopp beim Batteriespeicher. Doch die strikte Regulierung lässt keine Wahl: So schnell, wie die Emissionen jetzt sinken müssen, wird die Brennstoffzelle nicht massentauglich. So öffnen sich die Japaner nun ebenfalls der Batterietechnik, die sie eigentlich für unausgegoren halten.
Sie sind damit nicht allein. Auch beim Zulieferer Continental warnte man lange Zeit vor ungeklärten Fragen zu Themen von Ladenetz über Batterieentsorgung bis zum Kohlestrom. Jetzt muss Continental kämpfen, um noch die Kurve zu bekommen. Fabriken werden geschlossen und wie bei vielen anderen Zulieferern Tausende Jobs gestrichen. Die Hoffnung, eine schonende Transformation zu organisieren, erfüllt sich für viele nicht.
Unternehmen werden nervös
Entsprechend nervös reagieren die Unternehmen auf Pläne der EU-Kommission, das Tempo noch zu erhöhen. Zwar wird der Green Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gelobt, aber die ersten Konzepte für die 2025 geplante Abgasnorm Euro 7 verbreiteten blankes Entsetzen: Niedrigste Emissionen soll das Auto in jeder Lebenslage erreichen – auch beim Anfahren am Berg in Eiseskälte mit Anhänger. „Das kommt faktisch einem Verbot des Kolbenmotors gleich“, sagt VDA-Chefin Müller und fordert eine Überarbeitung.
2025 ist nicht mehr weit. So schnell könnten die Betriebe samt Arbeitsplätzen nicht umgestellt werden, fürchtet auch die IG Metall. Berater Proff warnt vor Überforderung: „Es ist nichts gewonnen, wenn wir in Europa eine sehr strenge CO₂-Regulierung haben, die Autos aber aus China kommen.“ Er fordert statt höheren Drucks mehr Investitionen in die Forschung für saubere Antriebe.
Experten bremsen Erwartungen
So schnell scheinen aber auch die Kunden nicht mitzuziehen. In den östlichen EU-Ländern etwa spielt Elektroantrieb bisher praktisch keine Rolle. Mit den dortigen Durchschnittseinkommen sei die teure Technik unbezahlbar, erklärt der europäische Branchenverband Acea.
Selbst für Deutschland bremst Proff die Erwartungen. Die Masse der deutschen Autokäufer sei eher konservativ. Er schätzt „verhältnismäßig vorsichtig“, dass selbst 2030 erst gut ein Drittel der Neuwagen in Deutschland mit E-Antrieb oder Plug-in-Hybrid verkauft werden. Im Moment entfache die hohe Prämie vor allem ein „Strohfeuer“. Und auch ein großer Händler fürchtet „ein böses Erwachen“ nach ihrem Ende. Wohl deshalb wurde sie schon bis 2025 verlängert.