Dehoga-Chefin: “Wir brauchen einen Rettungsfonds für die Gastronomie”
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Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands, fordert einen Rettungsfonds mit direkten Finanzhilfen für notleidende Unternehmen.
© Quelle: DEHOGA Bundesverband/Svea Pietschmann
Hannover. Für knapp zwei Monate mussten Cafés und Restaurants ihre Türen schließen – der Super-GAU für die kundenabhängige Branche. Auch Hotels und Eventcaterer sind teilweise seit Anfang März ohne Aufträge. Nach und nach dürfen Gastronomen nun wieder unter strengen Auflagen öffnen. Dennoch, wie viele Unternehmen die Pandemie überstehen werden, ist noch unklar. “Die Situation ist dramatisch und die Verzweiflung wächst von Tag zu Tag”, fasst die Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Ingrid Hartges, die aktuelle Situation zusammen. Deshalb hat sie klare Forderungen an die Politik – und die Wissenschaft.
Frau Hartges, trotz Wiedereröffnungen hat die Gastronomie mit großen Problemen, vor allem finanzieller Art, zu kämpfen. Welche Forderungen haben Sie an die Politik?
Unsere Branche spielt eine wichtige gesellschaftliche Rolle in unserem Land. Wir sind sozusagen das öffentliche Wohnzimmer der Gesellschaft. In den letzten zehn Jahren haben wir 300.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Jetzt ist die Situation dramatisch, wie die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen. Im Februar waren nur 173 Arbeitnehmer in unserer Branche in Kurzarbeit, am 30. April waren es 1.025.000 – das entspricht mehr als 95 Prozent der Beschäftigten.
Die Betriebe haben hohe laufende Fixkosten und die meisten seit neun Wochen keine Einnahmen. In der Phase der Wiedereröffnung unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen – also etwa die gebotenen 1,5 Meter Abstand – rechnen wir mit Umsatzverlusten von 50 bis 70 Prozent. Deshalb ist es jetzt notwendig, einen Rettungsfonds mit direkten Finanzhilfen für die notleidenden Unternehmen zu schaffen.
Wie groß ist der Unmut in der Branche über die verschiedenen und teils unklaren Verordnungen?
Es ist, nett formuliert, eine bunte Verordnungswelt, mit einigen herausfordernden Schmankerln – und das ist nicht gerade fröhlich. Ich hoffe sehr, dass aus diesem Ideenwettbewerb jetzt gelernt wird. Wir müssen in den nächsten Wochen schauen, was sich in der Praxis bewährt und was nicht. Ich erwarte, dass bei der nächsten Wirtschaftsministerkonferenz zumindest der Versuch unternommen wird, einige Nachbesserungen vorzunehmen.
Nachvollziehbar ist, dass abhängig vom Infektionsgeschehen unterschiedliche Öffnungstermine in den Bundesländern gewählt wurden. Aber warum es jetzt in einigen Bundesländern eine Belegungsquote für Hotels gibt, in einigen Ländern die Maskenpflicht für Mitarbeiter oder eine Registrierungs- sowie Reservierungspflicht besteht und in anderen nicht, ist nicht nachvollziehbar.
In diese Ideenwelt hat sich zuletzt auch der bekannte Virologe Christian Drosten eingeschaltet, der sich wünscht, dass Gastronomen ihren Außenbereich vergrößern dürfen, indem die Bestuhlung beispielsweise auf die Bürgersteige ausgeweitet wird. Der Außenbereich wird nämlich als sichere Zone eingestuft. Wie bewerten Sie solche Aussagen?
Wie sollen wir einfach Tische und Stühle auf die Bürgersteige stellen und uns ausdehnen, wenn dann eine saftige Strafe vom Ordnungsamt verhängt wird? Außenbereiche werden teilweise nach Zentimetern abgemessen. Natürlich würden wir es begrüßen, wenn die Ordnungsämter großzügiger vorgehen würden, aber das ist dann im Einzelfall abzuklären.
Wir treffen keine Aussagen zu wissenschaftlichen Ausführungen, ich würde mir aber im Gegenzug wünschen, dass die Wissenschaft stärker mit einer Stimme spricht und sich nicht so oft widerspricht, denn das schafft Verunsicherung, die gerade jetzt nicht hilfreich ist. Dabei geht es ja nicht nur um unsere Unternehmer, sondern um alle Bürger im Land. Die Experten der Wissenschaft müssen sich ihrer großen Verantwortung bei ihrer Kommunikation bewusst sein.
Ist die Verunsicherung auch bei den Gästen zu spüren? In den letzten Tagen waren die Besucherzahlen in Restaurants ja eher bescheiden.
Wir haben ja noch nicht viele Restaurants und Cafés geöffnet, da muss man jetzt einfach mal abwarten. Aber die widersprüchlichen wissenschaftlichen Ausführungen sind wirklich nicht hilfreich, um den Menschen Orientierung zu geben. Wir appellieren an die Unternehmen, alle empfohlenen und vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen umzusetzen. Auf unserer Seite www.dehoga-corona.de veröffentlichen wir alle Vorschriften der Bundesländer, wichtige Piktogramme und eigens erstellte Checklisten. Wir versuchen jetzt, die Seite immer zu aktualisieren, um den Unternehmen möglichst viel helfen zu können. Wichtig ist allerdings auch, dass die Gäste die neuen Spielregeln beachten und insbesondere den Mindestabstand einhalten. Wir werden diese Zeit nur gemeinsam meistern können.
Ist es um die Betriebe in ländlichen Regionen möglicherweise etwas besser bestellt als um jene in der Stadt?
Die Mehrzahl der Gastronomiebetriebe und Hotels in den Innenstädten sind Pachtbetriebe, sie haben dadurch hohe Fixkosten. In vielen Fällen sind die Verpächter den Betrieben mit der Miete nicht entgegengekommen. In der Krise zeigt sich, wer Charakter hat – je größer die Vermieter, desto weniger zeigte sich die Bereitschaft, den Pächtern entgegenzukommen und sich das Risiko zumindest zu teilen. In ländlichen Regionen finden sich eher Eigentümerbetriebe. Auf dem Land lebt es sich im Moment einfach ein bisschen besser. Wenn man dort während der Corona-Krise mit dem Fahrrad durch die Felder fährt, ist das einfach etwas anderes, als wenn ich hier, in Berlin, aus dem Büro komme und die ganzen geschlossenen Hotels und Restaurants sehe. Das ist einfach nur traurig, ja am Abend nahezu gespenstisch.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Wir müssen jetzt alle zusammenhalten. Es ist schön, dass unsere Betriebe teilweise wieder öffnen dürfen – doch wir müssen verantwortungsvoll damit umgehen. Unternehmer, Mitarbeiter und Gäste müssen die geltenden Schutzmaßnahmen befolgen.
Wir können alle nicht in die Glaskugel gucken. Auf die Frage, ob eine zweite Welle kommt, habe ich natürlich keine Antwort. Deshalb geht es konkret darum, nur auf Sicht zu fahren und das Beste aus der Situation machen. Von der Wissenschaft wünsche ich mir dazu Klarheit. Es braucht Orientierung, keine weitere Verunsicherung. Von der Politik erwarte ich jetzt schnelle und wirksame Unterstützung in Form eines Rettungsfonds, sonst werden Zigtausende Unternehmer die Krise nicht überleben und Hunderttausende Arbeitsplätze verloren gehen.