Deutschlands Wirtschaft ist doch stärker eingebrochen
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Containerschiffe liegen im Waltershofer Hafen.
© Quelle: Christian Charisius/dpa
Das Bruttoinlandsprodukt ist die Kennzahl, auf die Ökonominnen und Ökonomen seit dem russischen Angriff auf die Ukraine noch genauer als sonst schauen - und im vergangenen Quartal ist es stärker gesunken, als bislang erwartet: Die preisbereinigte Wirtschaftsleistung nahm zwischen Oktober und Dezember nicht wie geschätzt um 0,2 Prozent, sondern um 0,4 Prozent ab, erklärte das statistische Bundesamt am Freitag.
„Die Dynamik der deutschen Wirtschaft hat sich zum Jahresende deutlich abgeschwächt“, teilte die Behörde aus Wiesbaden mit. Ausschlaggebend seien vor allem zwei Effekte gewesen: Die Konsumausgaben seien um ein Prozent gesunken. Zugleich halten sich Unternehmen und Privatleute bei Investitionen zurück. Die am Bau sanken um 2,9 Prozent, die in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge um 3,6 Prozent.
Folge des Kriegs in der Ukraine
Fachleute sind sich einig, dass der Rückgang Konsequenz des russischen Angriffs auf die Ukraine ist. „Zum Jahrestag des Ukrainekriegs sehen wir deutlich die Folgen für das Wachstum in Deutschland“, meint etwa Stefan Schneider, Chefvolkswirt für Deutschland bei der Deutschen Bank. So hatten die Energiepreise die Inflation zunächst hochgetrieben, die EZB sah sich zu massiven Zinserhöhungen gezwungen - was in Kombination mit hohen Rohstoffpreisen unter anderem die Bautätigkeit abwürgte.
Auch mussten Verbraucherinnen und Verbraucher ihr Geld für Energie ausgeben, anstatt beispielsweise einkaufen zu gehen. Hier zeichnet sich Besserung ab, der Konsumindex stieg zuletzt wieder deutlich. „Der Pessimismus der Verbraucher, der im Herbst des vergangenen Jahres seinen absoluten Höhepunkt erreicht hatte, schwindet zusehends“, sagte GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl am Freitag.
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Kommt eine Rezession?
Unklar ist, ob Deutschland nun in eine Rezession rutscht, dafür müsste das BIP per Definition ein weiteres Quartal lang schrumpfen. Nicht unwahrscheinlich, aber auch nicht ausgemacht sei das, meint Sebastian Dullien, der aktuell vergleichsweise optimistische Direktor am gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Schneider hingegen rechnet mit einem weiteren Rückgang des BIP um 0,25 Prozent, eine „kurze und flache Rezession“ wäre ihm zufolge die Folge.
Insgesamt ändern die revidierten Zahlen wenig an den verhaltenen Prognosen für das Gesamtjahr 2023: Im Jahreswirtschaftsbericht erwartet die Bundesregierung 0,2 Prozent Wachstum, der internationale Währungsfond prognostiziert ein Minus von 0,2 Prozent. DB-Ökonom Schneider geht von 0 Prozent Wirtschaftswachstum aus, auch Dullien vermutet Werte „nah an der Stagnationsgrenze“.
Besser als befürchtet
Weil die Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent gewachsen ist, sind die ökonomischen Folgen des Kriegs in der Ukraine überschaubarer als bei früheren Wirtschaftskrisen: Die Pandemie brachte 2020 ein Minus von 3,7 Prozent mit sich. Bei der Finanzkrise 2009 brach die Wirtschaft sogar um 5,7 Prozent ein, die geplatzte Dotcom-Blase schlug 2003 mit minus 0,7 Prozent zu Buche. „Insgesamt ist damit im Vergleich zu den Befürchtungen aus dem vergangenen Jahr die Rezession mild ausgefallen“, meint denn auch Dullien.
Ausschlaggebend war ihm zufolge einerseits die vergleichsweise erfolgreiche Beschaffung von Erdgas, sowohl durch den erst späten Lieferstopp aus Russland als auch durch Lieferungen aus anderen Ländern. Die mehr als 100 Milliarden Euro umfassenden Entlastungspakte hätten ebenfalls Wirkung gezeigt. „Das Ausbleiben einer tiefen Rezession ist damit nicht nur glücklichen Umständen, sondern auch einer umsichtigen und entschiedenen Wirtschaftspolitik der Bundesregierung geschuldet,“ ist Dullien überzeugt.
Die Hilfen hatten indes ihren Preis, wie aus den am Freitag ebenfalls veröffentlichten Zahlen zur Staatskasse hervorging: Während Sozialversicherungen, Länder und Gemeinden Finanzüberschüsse verzeichneten, verbuchte der Bund ein Defizit in Höhe von 129,2 Milliarden Euro. Weil das aber 32,9 Milliarden Euro weniger als im Vorjahr waren, hält Deutschland nun wieder die EU-Neuverschuldungsgrenze von 3 Prozent des BIP ein. Insgesamt liegt die Schuldenlast gerade bei etwa 66 Prozent des BIP. Das sind sechs Prozent mehr als die Maastrichtkriterien erlauben - aber wenig im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern.