Die Ideen für eine grüne Zukunft sind da – aber reichen die Rohstoffe?

Für die Umwelt eine Katastrophe: Riesige Salzwasserbecken für den Lithiumabbau entziehen der Region Calama in der chilenischen Atacamawüste kostbares Wasser.

Für die Umwelt eine Katastrophe: Riesige Salzwasser­becken für den Lithium­abbau entziehen der Region Calama in der chilenischen Atacama­wüste kostbares Wasser.

Hannover. Im Grunde scheint alles einfach. „Wir bauen die Kern­kompetenzen für Batterie­zell­technik auf“, sagt Herbert Diess in die Kamera. „Bei der Chemie, den Roh­materialien, beim Laden …“ Der VW-Chef hastet im Stakkato weiter durch die Konzernstrategie und ist über die Klippe, bevor jemand daran hängen bleibt: Roh­materialien. Sie sind knapp, teuer, oft von fragwürdiger Herkunft.

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Es wird überhaupt nicht einfach.

Viele Rohstoffpreise sind in der Pandemie extrem gestiegen, weil die Förderung nicht so schnell wieder in Gang kam wie die Nachfrage. Größtenteils dürfte sich das in den nächsten Monaten wieder einpendeln, aber einige werden nach Überzeugung von Experten oben bleiben.

„Die aktuelle Situation wirkt wie ein Brennglas auf die langfristigen Heraus­forderungen“, sagt Sarah Hillmann, Roh­stoff­expertin beim Bundes­verband der Deutschen Industrie (BDI). „Durch Digitalisierung, Energie­wende, E-Mobilität und weitere Zukunfts­technologien ändert sich der Roh­stoff­bedarf langfristig.“

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Grafit, Kobalt, Lithium – archaisch, schmutzig, begrenzt verfügbar

Viele Branchen stecken im gleichen Dilemma wie die Autobauer. Sie entwickeln Technologien für Klimaschutz oder Digitalisierung, entwerfen Visionen von himmelblauer Reinheit – und brauchen Stoffe wie Grafit, Kobalt oder Lithium. Ar­cha­isch, schmutzig, begrenzt verfügbar. „Bodenschatz – das sagt doch eigentlich alles“, sagt Thomas Seifert, Professor an der TU Bergakademie Freiberg: „Den gibt es einmal. Wenn er weg ist, ist er weg.“

Nach einer aktuellen Studie der Deutschen Roh­stoff­agentur (Dera) könnten Materialien der entscheidende Engpass für viele Zukunfts­technologien werden. Die Wissenschaftler haben mehrere Szenarien durchgerechnet und warnen, dass bei einem Dutzend Rohstoffen Mangel­wirtschaft drohe. Im Lauf der nächsten zwei Jahrzehnte könnte der Bedarf „deutlich über dem heutigen Produktions­stand liegen“.

„Die Liste der kritischen Rohstoffe wird immer länger“

Auf der Dera-Liste finden sich zum Beispiel Neodym und Disprosium, Metalle, die für Magnete gebraucht werden. Ohne dieses Allerweltsteil funktioniert kein Elektromotor und kein Generator, der hinter dem Windrotor Strom erzeugt. Neodym steckt auch in Sensoren für autonom fahrende Autos, der Bedarf dürfte sich verdoppeln.

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Auf der Suche nach dem „weißen Gold“: Ein Mitarbeiter der staatlichen Rohstoffagentur (Evaporiticos) analysiert in einer Pilotanlage im Salzsee von Uyuni (Bolivien) Rohstofflösungen. Bolivien hofft auf das große Geschäft mit Lithium.

Auf der Suche nach dem „weißen Gold“: Ein Mitarbeiter der staatlichen Rohstoffagentur (Evaporiticos) analysiert in einer Pilotanlage im Salzsee von Uyuni (Bolivien) Rohstofflösungen. Bolivien hofft auf das große Geschäft mit Lithium.

Für die Festplatten in Rechenzentren kommen Ruthenium und Platin zum Einsatz. Die Verfahren zur Wasser­stoff­elektrolyse, das ein Kernstück sauberer Energie­versorgung werden soll, verwenden zum Beispiel Iridium und Scandium. Überall wird sich der Bedarf an den kostbaren Metallen der Dera-Prognose zufolge in den nächsten 20 Jahren vervielfachen – je nach Stoff und Szenario auf das Doppelte oder auch das 19-Fache. „Die Liste der kritischen Rohstoffe wird immer länger“, sagt BDI-Expertin Hillmann.

Sogar Kupfer ist ein Thema

Dera-Chef Peter Buchholz rät den Unternehmen zur Wachsamkeit. Sie sollten ihre Liefer­beziehungen „durchleuchten, Schwachstellen identifizieren und mit den Zulieferern Strategien erarbeiten, wie sie sich vor Ausfällen und starken Preis­volatilitäten schützen können“.

Das gilt nicht nur für exotische Materialien. In Zukunft wird sehr viel mehr Strom transportiert – und der beste Stromleiter ist Kupfer. „Kupfer ist in der Tat ein Thema“, sagt Cornelia Müller vom Hamelner Maschinen­bauer Lenze. Angesichts der Knappheit sei oberstes Ziel, die Produktion langfristig zu sichern. Also werde schon der Bedarf bis 2022 bestellt, „trotz der höheren Kosten“.

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Der jahrelang relativ stabile Kupferpreis ist heute ungefähr doppelt so hoch wie vor der Corona-Krise. Der Preis von Lithium, das nicht an der Börse gehandelt wird, hat sich nach Angaben des Analysehauses CMC Markets seit dem Frühjahr 2020 verdreifacht und weit über dem früheren Niveau etabliert.

Die Kapitalanleger sind längst aufgesprungen, mit dem Stichwort Lithium kann man großen und kleinen Spekulanten derzeit viel verkaufen. Manche sehen schon den nächsten „Superzyklus“ kommen – Jahre, in denen mehr oder weniger alle Roh­stoff­preise nachhaltig steigen.

Rohstoffstrategie der Bundes­regierung

Der Rohstoffmarkt ist für seine Schwankungen bekannt. Doch der Bedarf der neuen Technologien gibt dem Thema eine strategische Dimension. Die Bundes­regierung hat 2020 ihre zweite Roh­stoff­strategie vorgelegt, auf die erste von 2010 geht die Dera-Gründung zurück. Die EU-Kommission hat im Herbst eine Roh­stoff­allianz geschmiedet. Doch die Möglichkeiten der Regierungen sind begrenzt. „Die Roh­stoff­versorgung ist primär eine Aufgabe der Wirtschaft“, sagt Hillmann. „Die Politik muss verlässliche Rahmen­bedingungen schaffen.“

Geklärt ist nun zumindest der Lithium­bedarf. Die EU hat ihre Klimapläne so forciert, dass sie nur mit Batterie­autos zu erfüllen sind, China ist auf dem gleichen Weg, die USA folgen gerade. Also übertreffen sich die Hersteller mit Ankündigungen zur Elektro­mobilität. Schon 2022 werden Millionen Batterie­fahrzeuge von den Bändern rollen, ab 2030 wird der Verbrennungs­motor zum Nischenprodukt.

Und in jedem Elektroauto steckt ein Lithium-Ionen-Akku.

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Ein Jahrhundert lang wurde Lithium im Auto nur an einer Stelle gebraucht: für die Herstellung der Glasscheiben. Nun wird es auch im Fahrzeug­boden lagern, wo meist die Batterie untergebracht ist. Nach Rechnung der Dera wird der Bedarf 2040 rund das Sechsfache der bisherigen Jahresproduktion ausmachen.

Niedersachsen, Salzgitter: Mitarbeiter von Volkswagen stehen in einem Reinraum zur Produktion von Batteriezellen im VW-Werk Salzgitter.

Niedersachsen, Salzgitter: Mitarbeiter von Volkswagen stehen in einem Reinraum zur Produktion von Batteriezellen im VW-Werk Salzgitter.

Was die Wissenschaftler vor wenigen Monaten noch als Maximum eingeschätzt haben, dürfte schon bald überholt sein. Allein in Europa hat das Center Automotive Research (CAR) im vergangenen November 20 geplante Batterie­fabriken gezählt – ebenfalls eine überholte Zahl. CAR-Chef Ferdinand Dudenhöffer sagt der Branche ernste Versorgungs­probleme voraus.

Verband der Automobil­industrie fordert eine neue „Roh­stoff­außen­politik“

Längst sind die Einkäufer im Auftrag der Weltkonzerne auf dem Globus unterwegs. Lithium ist nicht knapp, aber ungleich verteilt: Es lagert vor allem in australischem und süd­amerikanischem Boden. Größere Vorkommen und vor allem die Industrie für die Weiter­verarbeitung gibt es zudem in China. Nach einer Dera-Studie von 2017 hat China zwar nur 6 Prozent Anteil an der Rohstoff­förderung, aber 40 Prozent an der Weiter­verarbeitung.

Das schafft politische Abhängigkeiten. Eine neue „Rohstoff­außenpolitik“ wünscht sich Hildegard Müller, Präsidentin des Verbands der Auto­mobil­industrie, da. Doch auf die können die Hersteller ebenso wenig warten wie auf die Erschließung alternativer Quellen.

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Im erzgebirgischen Zinnwald etwa hat TU-Professor Seifert jahrelang ein Lithium­vorkommen untersucht, das die Deutsche Lithium GmbH bald ausbeuten will. Doch einen Starttermin gibt es noch nicht. „So ein Vorkommen gibt es wahrscheinlich in ganz Europa nicht noch einmal“, sagt Seifert. Die Förderung unter Tage wäre „umweltmäßig vorbildlich“.

Das ist das größte Manko der Vorkommen im „Lithium-Dreieck“ von Chile, Argentinien und Bolivien. „In Südamerika wird das wenige Wasser in der Atacama­wüste für die Lithium­gewinnung verbraucht, und uns verkauft man es dann als grüne Technologie“, sagt Seifert.

Eine Frage der Menschenrechte

Nichts fürchten die Auto­konzerne mehr als solche schmutzigen Flecken auf der sauberen Technologie. Ihre Lieferanten müssen Zertifikate über die Herkunft von Rohstoffen und die Produktions­bedingungen mitliefern, Standards zum Beispiel der Initiative for Responsible Mining Assurance müssen nachgewiesen werden. Spezialisierte Prüf­agenturen haben Hoch­konjunktur.

Denn Standards sind schnell aufgeschrieben, aber schwer zu kon­trol­lie­ren. „Wir beziehen direkt keine Rohstoffe“, sagt VW-Einkaufs­vorstand Murat Aksel, aber „bis hin zur Quelle“ werde die Lieferkette kontrolliert. Sie kann neun Stufen haben, und als der Konzern jüngst seine Rohstoff­versorgung unter die Lupe nahm, hörte er von mehr als 1000 Unternehmen in der eigenen Lieferkette zum ersten Mal.

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Im neuen Management­system werden 16 Rohmaterialien überwacht. Für die Batterie­produktion sind Kobalt, Lithium, Nickel und Grafit dabei. Es geht aber auch um sogenannte Konflikt­mineralien aus Bürger­kriegs­gebieten: Zinn, Tantalum, Tungsten, Gold. Kinder­arbeit, Unterstützung von Guerilla­gruppen, gefährliche Arbeits­bedingungen – die Liste der überwachten „Menschen­rechts­risiken“ ist lang.

In einem Fall scheint die Industrie keine Hoffnung mehr zu haben

Wer gegen Konzernregeln verstößt, soll zur Verhaltens­änderung gedrängt oder notfalls als Lieferant aussortiert werden. Noch laufen die Analysen, aber in einem Fall scheint die Industrie die Hoffnung aufgegeben zu haben. „Die Undurch­sichtigkeit der Kobalt­lieferkette stellt für sich genommen ein ernstes Risiko dar“, heißt es im VW-Rohstoff­report 2020.

Die weitaus größten Reserven liegen in der unruhigen Demo­kratischen Republik Kongo. Von Tesla über Daimler bis VW wollen deshalb alle Auto­hersteller den Kobalt­gehalt in den Batterien drastisch reduzieren. „Aber Lithium als Grund­baustein kann nicht ohne Weiteres reduziert werden“, sagt VW-Einkaufschef Aksel.

Seifert: Kreislauf­wirtschaft muss Ziel der EU-Politik sein

Wissenschaftler Seifert hält die Erschließung neuer Lager­stätten ohnehin nicht für den Königsweg. Er wünscht sich ein „riesengroßes Recycling­institut in Europa“, das die Wiederverwertung von Material aus Batterien, Solarzellen, Magneten, Computern und Windkraftanlagen voranbringt. „Langfristig muss eine Kreislauf­wirtschaft das Ziel der EU-Politik sein“, schreibt auch das Öko-Institut in einer Roh­stoff­studie.

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Auch hier suchen die Autohersteller Lösungen und versprechen für die Zukunft nahezu geschlossene Material­kreisläufe. Spezialisten wie der Recycling­konzern Umicore beherrschen die Technik, VW hat in Salzgitter bereits mit einem Pilotprojekt für Batterie­recycling begonnen.

Um Minen­rohstoffe im großen Stil zu ersetzen, fehlt allerdings das Nötigste: alte Batterien. Die kleinen Akkus aus Handys und Laptops landen zumeist im Müll. Und bis Autoakkus massenhaft ausrangiert werden, vergehe noch ein Jahrzehnt, sagt VW-Chef Diess.

Doch nach Seiferts Überzeugung führt kein Weg daran vorbei: „Wenn wir nicht umgehend ernsthaft recyceln, ist das Ganze für die kommenden Generationen ein Desaster.“

RND

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