Eigentlich war die Cum-Ex-Masche gar nicht so kompliziert
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Die komplizierten Börsengeschäfte waren bei Cum-Ex nur das technische Vehikel, um ein schlecht organisiertes Verwaltungsverfahren auszutricksen.
© Quelle: dpa
Die Cum-Ex-Geschäfte umgibt ein Mythos. Schon der Name ist kryptisch, und das wird durch Varianten wie Cum-Cum und neuerdings Cum-Fake nicht besser. Nur Experten verstehen wirklich, was Banker und Juristen da finanztechnisch ausgeknobelt haben, um wohlhabenden Geldanlegern ihren Gewinn zu sichern. Leerverkäufe, Optionen, Sicherungsgeschäfte, Dividendenrechte – da ist der Laie schnell raus. Das ist einer der Gründe, warum es diese Geschäfte so lange geben konnte und die Aufklärung zäh war. Aber es ist leider nicht der einzige.
Seit Mittwoch arbeitet sich am Landgericht Bonn erstmals eine Strafkammer an dem Finanzskandal ab. Weitere Prozesse dürften folgen, denn auf der Anklagebank sitzen vorerst nur zwei von branchenweit wohl Hunderten Beteiligten. Hinzugezogen sind fünf von Dutzenden Geldhäusern, die solche Geschäfte machten. Es geht um den Verdacht der schweren Steuerhinterziehung von 447 Millionen Euro – nachdem die Cum-Ex-Geschäfte und ihre Verwandten den Fiskus insgesamt wohl einen zweistelligen Milliardenbetrag gekostet haben.
Auch vor Gericht wird man sich wieder in die komplizierten Wertpapiergeschäfte vertiefen. Man wird über den Unterschied zwischen Besitz und Eigentum philosophieren und der Frage nachgehen, ob ein Wertpapier für einen Moment mehreren Leuten gleichzeitig gehören kann. Den Juristen bleibt nichts anderes übrig, es dient der Urteilsfindung. Aber der Rest der Welt sollte sich davon nicht abschrecken lassen.
Der Dieselskandal lässt grüßen
Denn im Kern läuft es auf etwas sehr Einfaches hinaus: Spezialisten haben mit großem Aufwand Geschäfte konstruiert, um dem Staat – also den Steuerzahlern – Geld aus der Tasche zu ziehen. Es wurden Steuern erstattet, die niemand je gezahlt hatte. Die komplizierten Aktiengeschäfte waren nur das technische Vehikel, um ein schlecht organisiertes Verwaltungsverfahren auszutricksen. Man muss sie nicht verstehen, um die betrügerische Absicht und Wirkung zu sehen. Man muss auch nicht den Softwarecode einer Motorsteuerung lesen können, um den Dieselskandal zu begreifen.
Es ist nicht die einzige Parallele. In beiden Fällen ging es darum, Regeln zu brechen, ohne gegen deren Buchstaben zu verstoßen. Cum-Ex wurde damit gerechtfertigt, dass keiner der einzelnen Schritte rechtswidrig sei. Und die Autohersteller hielten jede Regel für Prüfstandstests ein – wohl wissend, dass deren Ergebnisse mit der Realität nichts zu tun hatten.
Die Politik ist zu zögerlich
Die einen nutzten die Unzulänglichkeit von Abgastestverfahren, die anderen die des Steuerverfahrens. In beiden Fällen kann nur ein kleiner Kreis von Fachleuten die Tricks nachvollziehen. Immer fanden sich Experten, die es buchstabengetreu für rechtmäßig erklärten. Aufsichtsbehörden, die man spontan für zuständig hielte, ließen die Spezialisten machen und trugen nichts zur Aufdeckung bei – ob Kraftfahrt-Bundesamt oder Bafin. Und in beiden Fällen zögerte die Politik mit der Aufarbeitung: Beim Diesel geht es um den Kern der deutschen Industrie, bei Cum-Ex um Banken, die man erst vor ein paar Jahren als „systemrelevant“ gerettet hat. Wer wünscht ihnen Ärger?
Konstellationen wie diese gibt es umso öfter, je mehr sich Technik und Abläufe dem allgemeinen Verständnis entziehen. Es ist eine Binsenweisheit, aber deshalb nicht falsch: Die Welt wird immer komplizierter. Technologie, Naturwissenschaft, Finanzmärkte – immer größer werden die Gebiete, auf denen sich nur noch ein Kreis von Wissenden zurechtfindet.
Nicht abschrecken lassen!
Die absurde Folge: Die Spezialisten können nur noch mit ihrer eigenen Hilfe kontrolliert werden, weil kaum jemand anders die Abläufe durchschaut. Sie sind bestens bekannt mit ihren formalen Kontrolleuren, haben oft die gleiche Ausbildung und das gleiche Denken. Im Kraftfahrt-Bundesamt unterzeichnete der Präsident „mit industriefreundlichen Grüßen“, im Finanzministerium schrieb der Bankenverband an Gesetzen mit.
Wachere Aufseher mit mehr Distanz zu Lobbygruppen und mehr Schutz für Whistleblower, für Experten, die auspacken – das sind offensichtliche und notwendige Lehren aus diesen und anderen Skandalen. Eine andere ist weniger bequem: Lassen wir uns nicht so schnell abschrecken von angeblich hochkomplizierten Zusammenhängen. Nicht selten sind es Nebelwände, hingestellt von interessierten Kreisen. Je genauer man hinsieht, desto einfacher kann es werden.