Warum das Geschäft mit Biolebensmitteln schrumpft – und die Branche trotzdem zuversichtlich ist
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Biolebensmittel haben 2022 als Inflationsbremse gewirkt und sich deutlich weniger verteuert als konventionell erzeugte Ware.
© Quelle: Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/dp
Nürnberg. Tina Andres spürt den frischen Wind eines nahenden Frühlings. „Die Läden füllen sich, das Verbraucherverhalten wird wieder normal“, sagt die Chefin des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (Bölw) in Nürnberg zum Auftakt der weltgrößten Branchenschau für Bioware Biofach. Sie spricht von Bioläden.
2022 hat für erfolgsverwöhnte Biohändler in Deutschland jedoch eine Delle gebracht, wie Andres den ersten Umsatzrückgang ihrer Zunft seit Jahren bezeichnet. Um 3,5 Prozent auf 15,3 Milliarden Euro ist das Geschäft mit Biolebensmitteln bundesweit geschrumpft, hat die Agrarmarkt Informationsgesellschaft (AIM) ermittelt. Dabei habe sich Bio aber als vergleichsweise krisenresistent erwiesen, betont AIM-Marktanalystin Diana Schaack.
Der Preis von Bio und Nicht-Bio nähert sich immer mehr an
„Bio und konventionelle Lebensmittel haben sich 2022 im Preis stark angenähert“, sagt sie und nennt Beispiele. Während Biomilch im Vorjahr um im Schnitt knapp 15 Prozent teurer geworden ist, waren es bei konventioneller Milch satte 26 Prozent. Konventionell erzeugte Eier haben sich mit 18 Prozent dreimal so stark verteuert wie ihre Biovariante. Biofrischeprodukte mit 6,6 Prozent nur halb so kräftig wie ihr konventionelles Pendant.
Den Grund dafür sieht Andres zum einen darin, dass die Biobranche ohne teure Pestizide und vor allem ohne Kunstdünger auskommt, der sich in der jüngsten Energiekrise massiv verteuert hat. „Bioprodukte sind preisstabiler“, stellt sie klar. Zudem verfüge ihre Branche per regionaler Kreislaufwirtschaft über stabile Lieferketten. „Unsere Regale waren zu jeder Zeit gefüllt, der Biomarkt ist resilienter“, betont die Verbandschefin und sieht darin einen Fingerzeit für die Politik. Die müsse endlich eine „eklatante Wettbewerbsverzerrung“ zum Nachteil der Biobranche beenden.
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Die entstehe durch Umweltfolgekosten konventioneller Bauern von jährlich 90 Milliarden Euro, die in Deutschland weiterhin stillschweigend vergesellschaftet würden. Die Kosten hat die Boston Consulting Group in einer Studie berechnet. Dagegen seien umweltschonende Biolebensmittel im Regal zu Normalzeiten systembedingt teurer als konventionell erzeugte Ware, bedauert Andres und denkt an ihre eigene landwirtschaftliche Erzeugergemeinschaft.
Dort sei der Energieverbrauch so niedrig, dass dieser Betrieb auf einem Niveau wirtschafte, das gerade mal 1,3 Grad Erderwärmung nach sich ziehe. Das sei per Zertifikat auch belegbar. Ihre Biobauern wirtschaften also 0,2 Grad Celsius unter dem maximalen Klimaziel von 1,5 Grad. Zugleich könnten konventionell arbeitende Landwirte ihre klimagefährdende Ware billiger anbieten.
Bioanbaufläche hinkt hinter Zielen her
In diese Kerbe schlagen auch der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) und das Bündnis für eine enkeltaugliche Landwirtschaft (BeL). Die haben ermittelt, dass Biobauern wegen Pestiziden aus der konventionellen Landwirtschaft, die auf ihre Bioäcker wehen, jährlich gut 100 Millionen Euro an Folgekosten schultern müssen. Dafür sorgten sonst unnötige Rückstandsanalysen, Ernteverluste durch Abdriftschäden und Kosten für Reklamationen wegen ungewollt belasteter Bioware. „Bio findet nicht unter einer Glasglocke statt“, ärgert sich BeL-Vorstand Niels Kohlschütter.
Um für gleiche Wettbewerbsbedingungen zu sorgen, fordert der Bölw unter anderem eine Absenkung der Mehrwertsteuer auf Biolebensmittel. Ernährungssouveränität, die Biolandwirtschaft biete, sei ein wichtiges Gut, wie jüngste Krisen zeigten. Ohne politisches Engagement sei zudem das Ziel von 30 Prozent Bioanbaufläche in Deutschland bis 2030 gefährdet, warnt Marktanalystin Schaack. Zwar sei die 2022 von 10,8 auf 11,3 Prozent gestiegen. „Aber die Umstellungsdynamik flacht ab“, stellt die Expertin klar. Um das 30‑Prozent-Ziel zu erreichen, bräuchte es die nächsten Jahre jeweils ein Vielfaches der Umstellungsrate von 2022.
Biobauern, Verbraucher und Preise
In Deutschland werden mittlerweile 36.548 Bauernhöfe und damit jeder siebte Betrieb ökologisch bewirtschaftet. Im Vorjahr kamen 784 Höfe dazu, was nun eine gesamte Bioanbaufläche von knapp 1,9 Millionen Hektar ergibt. Das ist ein Plus im Vergleich zu 2021 von mageren 3,7 Prozent. Im Vorjahr betrug die Wachstumsrate noch knapp 6 Prozent. Verbraucher sind Bio 2022 weitgehend treu geblieben. Den moderaten Umsatzrückgang erklärt die Branche damit, das Verbraucher vermehrt günstigere Bioeinstiegsprodukte gekauft haben oder ihr Müsli eben selbst aus billigeren Einzelzutaten gemischt haben als relativ teueres Fertigmüsli zu kaufen. Im Vergleich zu 2019 liegt der Umsatz mit Biolebensmitteln in Deutschland zudem immer noch um ein Viertel höher. Preislich sind Biolebensmittel übrigens 2022 im Biofachhandel kaum teuerer geworden. Weit kräftiger haben Discounter in ihren Bioabteilungen die Preise erhöht und damit teils über Gebühr abkassiert, sagen Experten. Bedingt waren diese Aufschläge auch dadurch, dass konventionell erzeugte Lebensmittel sich so stark verteuert haben, dass Bioware ohne entsprechende Preispolitik teils günstiger gewesen wäre.
Das laufende Jahr werde wohl noch einmal ein erneut schwieriges für die Biobranche, schätzt Schaack. Um die Delle für ihre Branche möglichst rasch wieder auszubügeln, fordert Verbandschefin Andres die Politik deshalb auf, in Kantinen von Polizei, der Bundeswehr oder Krankenhäusern für eine Bioquote von 50 Prozent zu sorgen. Derzeit liegt das Bioangebot in Mensen, Kantinen und Restaurants bei mageren 2 Prozent. Es brauche auch mehr Forschungsgelder für Biolandwirtschaft, fordert die Branchenlobby.
Die Biofach und ihre Schwestermesse Vivaness für Naturkosmetik haben in Nürnberg ihre Pforten bis einschließlich Freitag geöffnet. Die Messen finden erstmals seit 2020 wieder im Februar statt, nachdem sie 2021 coronabedingt ganz ausgefallen waren. 2022 wurden sie auf den Sommer verschoben. Gegenüber dieser Sommerausgabe sind die Ausstellerzahlen wieder um ein Fünftel auf knapp 3.000 für beide Messen angestiegen.