Jahrhundertbetrug vor Gericht

Geständiger oder schamloser Lügner: Wie glaubwürdig ist der Kronzeuge im Wirecard-Skandal?

Der frühere Wirecard-Manager und Kronzeuge Oliver Bellenhaus kommt zur Fortsetzung des Prozesses in den Gerichtssaal.

Der frühere Wirecard-Manager und Kronzeuge Oliver Bellenhaus kommt zur Fortsetzung des Prozesses in den Gerichtssaal.

München. Mehrere Verhandlungstage lang hat Oliver Bellenhaus im Betrugsprozess um Wirecard ausgesagt. Der mitangeklagte Ex-Statthalter des Skandalkonzerns in Dubai hat dabei ein facettenreiches Bild der von ihm dort maßgeblich betriebenen Betrügereien entworfen und dabei sich sowie seine Mitangeklagten Markus Braun und Stephan E. schwer belastet. Vieles klang sehr plausibel, was der Kronzeuge der Anklage von sich gab – mit einem Schönheitsfehler. Kritisch befragen lassen wollte sich der 52-jährige danach nicht von den Verteidigern des früheren Wirecard-Chefs Braun und des Ex-Chefbuchhalters E. Die schlagen nun zurück und lassen kein gutes Haar am Kronzeugen.

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„Bellenhaus ist ein professioneller Lügner“, legt Brauns Anwalt, Alfred Dierlamm, gleich im ersten Satz los. Was folgt, ist ein Gemenge aus harten Anschuldigungen, plausibel klingenden Einwänden, aber auch harten Fakten, die nur Bellenhaus selbst entkräften könnte. Aber der schweigt zu den Vorwürfen gegen seine Person und dem von ihm geschilderten Tatverlauf.

Braun-Anwalt Dierlamm: „Bellenhaus lebt bis heute in einer Lügenwelt“

Demnach hat es große Teile des Wirecard-Geschäfts nie gegeben. Vielmehr will Bellenhaus es auf Weisung von E. oder des flüchtigen Ex-Vorstands Jan Marsalek so trickreich wie frei erfunden haben. Davon gewusst habe Braun als Chef der Betrügerbande.

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Dierlamm verwendet dieses Eingeständnis von Bellenhaus, über das wahre Wesen von Wirecard jahrelang gelogen und betrogen zu haben, nun gegen ihn. Der vermeintliche Kronzeuge habe glaubhaft dargelegt, stets die nächste Lüge schon im Kopf zu haben, um Glaubwürdigkeit vorzutäuschen. Er sei in der Lage gewesen, Transaktionsdaten zu löschen, um so Beweismittel zu vernichten und habe das auch getan, um den wahren Tathergang zu verschleiern. „Bellenhaus lebt bis heute in einer Lügenwelt“, klagt Dierlamm an und untergräbt dessen Glaubwürdigkeit.

Ehemaliger Wirecard-Chef Markus Braun verantwortet sich vor Gericht
08.12.2022, Bayern, München: Der früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sitzt zum Prozessauftakt auf der Anklagebank im Gerichtssaal. Verhandelt wird in einem unterirdischen Sitzungssaal neben der JVA München-Stadelheim. Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Kollaps des Wirecard-Konzerns hat am Donnerstag der Strafprozess im mutmaßlich größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte begonnen. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Zweieinhalb Jahre nach der Pleite des Finanzdienstleisters hat in München der Prozess gegen Ex-Chef Braun und zwei weitere frühere Manager begonnen.

So habe der vermeintlich Geständige auf dem Weg zu seinem Geständnis gegenüber Ermittlern angeblich sein Handy im Hotelzimmer vergessen. Es ist bis heute verschwunden – mit mutmaßlich wichtigen Chatverläufen darauf. Spurlos verschwunden ist auch ein Datenstick, den er einem seiner Anwälte übergeben haben will. Server, deren Inhalte die Angaben von Bellenhaus hätten stützen können oder eben nicht, habe er selbst abgeschaltet oder in einem anderen Fall deren Daten gleich ganz gelöscht.

Bloße Zufälle oder systematisches Beseitigung von Beweismitteln?

Er glaube in diesem Mammutprozess, in dem wohl erst 2024 ein Urteil fällt, aber nicht an Zufälle und Versehen, betont Dierlamm. „Bellenhaus ist kein Aufklärer, sondern in Wirklichkeit eine Farce“, urteilt er. Der 52-Jährige habe gelogen, um Staatsanwälten nach dem Mund zu reden, die Braun als Chef einer Betrügerbande identifizieren und 1,9 Milliarden Euro Treuhandvermögen von Wirecard zur puren Erfindung erklären wollten. Das Geld habe aber existiert und sei von der wahren Bande um Bellenhaus und Marsalek ohne Wissen Brauns veruntreut worden, versichert dessen Starverteidiger.

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Aus dem Konzern ausgeschleust worden seien die immensen Summen über eigens geschaffene Veruntreuungsgesellschaften. Dierlamm nennt als Beispiel eine Firma namens Pittodrie. Allein über sie seien 340 Millionen Euro abgezogen worden. Das glaubt der Anwalt auch mit Buchungsbelegen beweisen zu können. An anderer Stelle ist er sicher, beweisen zu können, dass angeblich frei erfundene Geschäfte wirklich existiert haben. Der Verteidiger glaubt, ein Muster in den Aussagen von Bellenhaus zu erkennen.

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„Um einen wahren Tatsachenkern herum wird ein Lügengebäude aufgebaut.“ Vom Schattenreich, das Bellenhaus und Komplizen über Jahre hinweg innerhalb von Wirecard aufgebaut haben, habe sein Mandant nichts gewusst und sei so zum Opfer geworden. Selbst mit einem Datengenerator wäre es technisch unmöglich gewesen, Geschäfte in so großem Umfang zu erfinden, wie Bellenhaus das angeblich getan haben will.

Das Lügen sei bei ihm zur Lebenslüge geworden, malt Brauns Verteidiger an einem verstörenden Sittengemälde des Kronzeugen. Er macht auf Widersprüche in dessen Aussagen aufmerksam, zeigt auf, wo Spuren verwischt worden sein könnten und kritisiert eine Staatsanwaltschaft, die sich habe belügen lassen. Was Bellenhaus bisher ausgesagt hat, sei im Prozess nicht verwertbar, weil er sich keinen kritischen Fragen stelle. Bei seinem Mandanten werde das anders sein. Am Montag will der persönlich aussagen und sich danach allseits befragen lassen. Der Prozess steuert auf seinen nächsten Höhepunkt zu.

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