Intel-Chefin: „Bei strategisch wichtigen Themen zu stark von Asien abhängig“

Christin Eisenschmid, Geschäftsführerin von Intel Deutschland

Christin Eisenschmid, Geschäftsführerin von Intel Deutschland

Frankfurt am Main. Die aktuelle Nachfrage nach Computerchips ist gigantisch – unter Lieferengpässen leiden derzeit vor allem die Autobauer. Auch in vielen hiesigen Werken wird derzeit Kurzarbeit gemacht, weil es an Halbleiterkomponenten fehlt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Christin Eisenschmid, Deutschland-Chefin von Intel, erwartet auch langfristig eine hohe Nachfrage. Für einen Ausbau der Halbleiterfertigung in Europa sei vor allem ein „günstiges Umfeld“ nötig. Gemeint sind damit vor allem staatliche Subventionen für den extrem aufwendigen Bau von Chipfabriken.

Eisenschmid, Jahrgang 1965, ist auch für die weltweiten Regierungsbeziehungen des Computerchip­herstellers verantwortlich – außer für China und die USA. Die studierte Betriebswirtin startete ihre Karriere 1991 in der Halbleitersparte von Siemens. Als dieses Geschäftsfeld im Jahr 2000 unter dem Namen Infineon aus dem Konzern herausgelöst wurde, ging sie mit. 2011 wechselte Eisenschmid von Infineon zu Intel. Der US-Konzern ist der Weltmarktführer in der Chipbranche. Bis Ende des Jahres soll die Entscheidung über den Bau einer Intel-Fabrik in Europa fallen. Laut Konzernchef Pat Gelsinger hat Deutschland gute Chancen.

Frau Eisenschmid, aus der Autobranche ist zu hören, dass der Tiefpunkt der Chipkrise erreicht ist. Weil es an Halbleitern fehlt, haben viele Werke Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Kurzarbeit geschickt. Können Sie den Beschäftigten und den Unternehmen Mut machen, dass die Krise bald überwunden wird?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Um die aktuelle Lage zu verstehen, muss die momentane Nachfrage beachtet werden, die in den letzten Monaten exponentiell aufgrund der Pandemie angestiegen ist. Dies wurde in dem Maß nicht vorhergesehen, und wir gehen davon aus, dass diese Nachfrage über Jahre anhalten wird. Alle Lebensbereiche werden weiter digitalisiert, ein Beispiel ist das autonome Fahren. Die Pandemie hat zudem Engpässe generiert – etwa bei Geräten, die fürs Arbeiten im Homeoffice benötigt werden. Diese Engpässe lassen sich auf die Schnelle nicht beseitigen. Bis sich auf der einen Seite die Nachfrage normalisiert und auf der anderen Seite die Lieferketten sich auf den generell höheren Bedarf einstellen, wird es noch weit bis ins nächste Jahr hinein dauern.

Dass die Digitalisierung kommt, wissen wir seit Jahren. Wer hat gepennt?

Ich will nicht unbedingt sagen, dass da jemand geschlafen hat, Covid hat vieles beschleunigt. Siehe Homeschooling: Nichts geht mehr ohne PC. Vielfach arbeiten zwei, drei Familienmitglieder gleichzeitig mit Computern. Wir sind schon davon überrascht worden, wie schnell das alles kam. Beim Thema autonomes Fahren und Elektrifizierung muss man sagen, dass die Autobranche erheblich konservativer – aufgrund längerer Zyklen – unterwegs ist als die Chiphersteller. Der Bedarf nach avancierten Halbleitern für Autos wird nun sehr viel früher kommen, als es heute erwartet wird. Wir sind bereits in einer Phase der sukzessiven Automatisierung des Fahrens. Mit Technik von unserer Tochter Mobileye ausgestattete autonome Testfahrzeuge sind seit Mitte vorigen Jahres in München im regulären Verkehr im Testbetrieb.

Werden Autobauer künftig zu Chipdesignern, die ihre Halbleiterkomponenten selbst entwickeln?

Die Idee ist gar nicht so exotisch. Chips werden in Autos zunehmend zu kritischen Komponenten, mit denen sich Autobauer differenzieren können. Mit eigenen Chips können sie zudem ihre Lieferkette resistenter und unabhängiger machen – Intel steht als Partner bereit. Es gehört zu unserer neuen Strategie, dass wir nicht nur unsere eigenen Chips fertigen, sondern auch im Auftrag für andere Unternehmen. Generell gilt, dass die Nachfrage nach Halbleitern auf absehbare Zeit das Angebot übersteigen wird. Daher ist in unserer Branche auch Platz für viele. Und die Autobauer erhalten dadurch gleichzeitig die Möglichkeit, nicht von einem Lieferanten abhängig sein zu müssen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

80 Prozent der Chipproduktion liegen in Asien

Aber Europa hinkt derzeit bei der Chipproduktion im Vergleich zu Asien weit hinterher.

Die gängige Zahl dazu ist, dass nur 10 Prozent der Halbleiterfertigung in Europa stattfinden. 80 Prozent finden in Asien statt.

Wie konnte es so weit kommen?

Da gibt es geopolitische Faktoren: Lange Zeit galt in der europäischen Politik das Paradigma, dass man die Chipfertigung im Rahmen eines arbeitsteiligen Prozesses nach Asien ziehen lässt. Das hat auch mit der Stärke der Automobilindustrie in Europa zu tun. In der Politik ist so zum Teil die Haltung entstanden, dass man die neuesten Halbleitertechnologien aufgrund der Globalisierung vor Ort nicht braucht.

Gefahren von Abhängigkeiten wurden lange übersehen

Also eine unheilvolle Allianz von Politikern und Autobauern?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nein, dies ist nicht der Fall. Die Automobilindustrie ist eher konservativ durch die längeren Herstellungsprozesse – wir sehen allerdings auch, wie schnell sich alles gerade ändert. Ein Beispiel: Bis vor vielen Jahren hat sie sich weniger mit der Batterietechnologie für Elektroautos befasst. Versäumtes wird jetzt erfolgreich nachgeholt. Beim Thema Halbleiter liegen die Dinge ähnlich. Wobei die Idee vom freien Welthandel das Konzept der internationalen Arbeitsteilung zusätzlich gestützt hat. Ich habe aber das Gefühl, dass das inzwischen bereut wird und auch als Fehler gesehen wird. Die Politiker auch hierzulande erkennen, dass wir bei strategisch wichtigen Themen zu stark von Asien abhängen. Die Gefahren dieser Abhängigkeiten wurden sehr lange nicht gesehen.

Jetzt hat die EU-Kommission die Parole ausgegeben, bis 2030 den Weltmarktanteil europäischer Chips auf 20 Prozent zu steigern. Ein realistischer Plan?

Die 20 Prozent sind ein sehr anspruchsvolles Ziel. Es ist eher eine wünschenswerte Marke. Die Umsetzung und was das genau bedeutet – wie zum Beispiel der konkrete Bedarf nach Fabriken – befindet sich gerade in Arbeit und wurde eventuell nicht von Anfang bedacht. Die 20 Prozent sollen vor allem heißen, dass dies nun ein Thema mit ganz, ganz hoher Priorität ist, das mit aller Kraft vorangetrieben werden soll.

Was muss konkret getan werden?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Es sollte ein günstiges Umfeld geschaffen werden, das es den Chipherstellern ermöglicht, mit einer Fertigung in Europa wettbewerbsfähig zu sein. Derzeit kann in Asien um 40 Prozent billiger als in Europa produziert werden. Der größte Teil davon kommt aus den massiven staatlichen Subventionen in Asien. Dies gehört dort seit vielen Jahren zur Industriestrategie der Regierungen. Eine ähnliche Förderpolitik ist auch maßgeblich, um in Europa mehr Halbleiter zu fertigen.

Plädoyer für europäische Fertigung von High-End-Chips

Sie fordern also schlicht milliardenschwere Subventionen für Ihre Branche?

Der Bau einer Chipfabrik ist extrem teuer. Deshalb wird wichtig sein: Wenn die EU mitzieht und wirklich viel Geld dafür ausgibt, dann muss sie sicherstellen, dass auch für Europa produziert wird. Dass der Bedarf auf dem Kontinent gedeckt wird, dass die Entwicklung von Chips und deren Design gefördert wird, denn am Ende sollen mit all dem ja Innovationen generiert werden. Und das muss auch der Zulieferindustrie zugutekommen, also den Firmen, die die Maschinen für die Chipfertigung herstellen. Da gibt es einige Unternehmen, die da weltweit führend sind. Carl Zeiss gehört unter anderem dazu. Von der Förderung müssen die EU insgesamt und ihre Innovationskraft profitieren.

An Wissen und an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mangelt es nicht?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Da ist Europa gar nicht so schlecht aufgestellt. Wir haben sehr gute Universitäten, die sich im internationalen Vergleich sehen lassen können. Wir haben hierzulande zum Beispiel auch die Fraunhofer-Institute, die die Brücke zwischen Universitäten und Unternehmen schlagen.

Intel will eine große neue Chipfabrik in Europa bauen. Was ist entscheidend für die Standortwahl?

Zum einen ist die Größe des Grundstücks signifikant. Wir wollen mit zwei Fabrikationsmodulen anfangen und dann über zehn bis 15 Jahre weiter ausbauen. Wir brauchen große Flächen, das ist nicht ganz trivial. Unsere Fabrik in New Mexico hat eine Fläche von 1,8 Hektar, und das ist nicht das größte Werk. Es gibt Angebote – nicht nur aus einem Land. Eine Entscheidung soll bis Ende des Jahres fallen.

Und was wird dann dort produziert?

Wir planen eine Auftragsfertigung für Produkte, die der aktuellen Nachfrage entsprechen. Aber eher auf der Seite der moderneren, komplexen Halbleiter. Die Idee ist dabei, Chips nicht ausschließlich für Autobauer oder für Smartphone-Hersteller zu fertigen, sondern verschiedene Branche zu beliefern und auch verschiedene Typen von Chips zu Paketen für die Kunden zu bündeln.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Will Intel sich dort auch an die heiß diskutierte Zwei-Nanometer-Technologie wagen, die noch einmal die Leistungsfähigkeit von Halbleitern in ganz neue Dimensionen katapultieren soll?

Wenn EU-Kommissar Thierry Breton davon spricht, dann sieht er das eher als Zukunftsthema für in zehn Jahren. Aber: Wenn Europa unabhängiger werden will, dann muss es in Europa perspektivisch genau um diese hochinnovativen Technologien gehen. Sofern Europa von der technologischen Entwicklung nicht abgekoppelt werden will.

Mehr aus Wirtschaft

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken