Management schwer belastet

Malen nach Zahlen bei Wirecard – Kronzeuge gibt detaillierten Einblick in Betrugsmasche

Oliver Bellenhaus (im Vordergrund) ist Angeklagter und Kronzeuge zugleich im Wirecard-Prozess.

Oliver Bellenhaus (im Vordergrund) ist Angeklagter und Kronzeuge zugleich im Wirecard-Prozess.

München. Oliver Bellenhaus antwortet schon seit Stunden auf die Fragen von Richter Markus Födisch. Der will es genau wissen. „Auch wenn ich jetzt hartnäckig bin“, beginnt der Jurist, der am Ende ein Urteil fällen soll, mehrfach seine Nachfragen. Da macht es der Kronzeuge, der auch einer von drei Angeklagten ist, ausnahmsweise einmal einfach. „Das ist Malen nach Zahlen“, erklärt er das Prinzip des Betrugs bei Wirecard. Bei ihm, dem „Problemlöser“ mit IT-Expertise, seien immer wieder Umsätze und Gewinne bestellt worden. Die habe er dann gebastelt und gefälschte Buchungen für fiktive Geschäfte so lange aneinandergereiht, „bis es gepasst hat“. Auf diese wundersame wie kriminelle Weise wurden ambitionierte Geschäftsprognosen stets exakt erfüllt, wenn auch nur auf Papier.

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„Ich hatte eine Bandbreite von ein bis 2 Prozent, innerhalb der ich operieren konnte“, erklärt Bellenhaus. Reverse Engineering habe er betrieben. Das bilanzielle Ergebnis stand von Anfang an fest, soll das heißen. Um es zu erreichen, habe er nach Quartalsende dann Geschäfte frei erfunden und per ausgefeilter Fälschungen auch dokumentiert.

Ehemaliger Wirecard-Chef Markus Braun verantwortet sich vor Gericht
08.12.2022, Bayern, München: Der früheren Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sitzt zum Prozessauftakt auf der Anklagebank im Gerichtssaal. Verhandelt wird in einem unterirdischen Sitzungssaal neben der JVA München-Stadelheim. Knapp zweieinhalb Jahre nach dem Kollaps des Wirecard-Konzerns hat am Donnerstag der Strafprozess im mutmaßlich größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte begonnen. Foto: Peter Kneffel/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Zweieinhalb Jahre nach der Pleite des Finanzdienstleisters hat in München der Prozess gegen Ex-Chef Braun und zwei weitere frühere Manager begonnen.

Binnen ein bis drei Tagen habe die von ihm perfektionierte Betrugsmaschinerie regelmäßig Ergebnisse liefern müssen, schildert Bellenhaus den Zeitdruck und redet sich in Rage. Einmal hatte er eine gefälschte Buchhaltung fertig, da kamen aus München neue Anweisungen. „Mach 100 Millionen mehr Umsatz und 50 Millionen mehr Gewinn.“ Da habe er aufbegehrt, sagt der 49-Jährige. Mit schlechtem Gewissen oder Schuldbewusstsein hatte das aber nichts zu tun. „Ich musste wieder komplett von vorne anfangen“, sagt der Ex-Statthalter von Wirecard im arabischen Dubai empört.

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Er war eine Schlüsselfigur des Wirecard-Skandals, wo am Ende 1,9 Milliarden Euro angebliches Treuhandvermögen unauffindbar blieben. Das Geld hat nie existiert, sagen Bellenhaus und Ermittler. Es sei existent gewesen, aber von Bellenhaus und Konsorten geraubt worden, behauptet dagegen der mitangeklagte Markus Braun, der einmal Wirecard-Chef war. Auch der Ex-Chefbuchhalter Stefan E. als dritter Angeklagter des Mammutprozesses vor dem Landgericht München gibt sich unschuldig.

Vom Angeklagtentrio redet nur einer – Bellenhaus. Er sagt auch, wer Fake-Umsätze und Scheingewinne bei ihm bestellt hat. Immer wieder fallen dabei die Namen Stefan, Markus und Jan. Die ersten beiden sind seine beiden Mitangeklagten E. und Braun. Jan heißt mit Nachnamen Marsalek und ist der flüchtige Wirecard-Topmanager, den Ermittler in Moskau untergetaucht vermuten.

„Operative Säule des Betrugs waren Stefan und ich.“

Mit Stefan E. als direktem Vorgesetzten will Bellenhaus beim Betrug Hand in Hand zusammengearbeitet haben. Der bestreitet das. Der Kronzeuge beschreibt dagegen innige Kumpanei. „Die operative Säule des Betrugs waren Stefan und ich“, sagt er. Wenn man nicht mehr weiterwusste, habe Marsalek als Spiritus Rector Betrugsideen beigesteuert. Stefan E. und er seien sich auch einig gewesen, dass man es übertreibe. „Immer 20, 30 Prozent Wachstum, das ist nicht realistisch, das kann uns keiner glauben“, schildert Bellenhaus gemeinsame Bedenken.

Aber es wurde geglaubt. Zum anderen sei Stefan E. mit dem Einwand wiederholt bei Braun vorstellig geworden und stets mit klarer Ansage zurückgekommen. „Markus will das so. Dann haben wir das auch so gemacht“, beschreibt Bellenhaus die Hierarchien. Braun habe ganz oben alles bestimmt. Dann seien Marsalek und Ex-Finanzchef Burkhard Ley sowie E. und als Fünfter im Bunde er selbst gekommen. Diese Fünferbande sei das Kernteam gewesen. Wenn Wirtschaftsprüfer eine Dokumentation haben wollten, um einen Jahresabschluss von Wirecard zu bestätigen, habe er Verlangtes passgenau gebastelt von Luftbuchungen über fiktive Händlerlisten bis zu Protokollen über Managementsitzungen, die nie stattfanden.

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Prozess und Angeklagte

Über hundert Verhandlungstage bis ins Jahr 2024 hinein sind für den Wirecard-Prozess angesetzt, was ihn schon von daher außergewöhnlich macht. Wegen Untreue, Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation angeklagt sind drei Personen. Neben dem früheren Wirecard-Chef Markus Braun und dem als Kronzeugen fungierenden IT-Spezialisten Oliver Bellenhaus ist das der Ex-Chefbuchhalter Stefan E. Letzterer lässt den Prozess von einem Psychiater begleiten. Der soll am Ende dem Vernehmen nach klären helfen, ob E. als Autist für eventuelle Taten voll verantwortlich gemacht werden kann. Auch deshalb wurde Bellenhaus zur Person E. befragt. Er beschreibt ihn als hochkompetent in Finanzfragen, aber auch verbal laut und beleidigend. E. sei nahe dran am Choleriker und habe ihn öfter mal beschimpft.

Betrügerstolz blitzt auf. „Wirecard hat 6000 Leute gebraucht, um einen ähnlichen Umsatz zu machen wie ich“, sagt Bellenhaus. Er meint damit, dass am Ende die eine Hälfte aller Wirecard-Umsätze real waren und von der Belegschaft erwirtschaftet wurden. Die andere Hälfte hat er in Dubai erfunden. Diese Hälfte stand nur auf dem Papier, ebenso wie der gesamte Konzerngewinn. „Meine Fälschungen waren deutlich besser“, sagt Bellenhaus ein anderes Mal im Vergleich zu Mittätern. Nach Braun und Marsalek habe er in diversen brenzligen Momenten auch am coolsten reagiert. Manchmal klingt der 49-Jährige überheblich, aber stets authentisch.

Was die verschiedenen Wahrheiten angeht, die die Angeklagten präsentieren, steht Wort gegen Wort. Bellenhaus hat keine Daten gesichert, die seine Aussagen stützen. Seine Fakebuchungen hat er auf in der Internetcloud gemieteten Hochleistungsrechnern erstellt, zu denen es keinen Zugang mehr gibt. Sein Handy, auf dem er mit Marsalek, Braun und E. konspirativ gechattet haben will, ist spurlos verschwunden. Auf konfrontative Fragen der Anwälte seiner Mitangeklagten will Bellenhaus nicht antworten. Für die sind das Einfallstore, um Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen zu säen.

Der bleibt unbeirrt. Ganz am Ende habe Marsalek ihn vergeblich aufgefordert, Beweise verschwinden zu lassen. Mit E. habe er kurz vor der eigenen Verhaftung noch verabredet, dass sie beide zur jeweiligen Verantwortung stehen. Getan hat das bislang aber nur Bellenhaus.

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