Wertvollster Dax-Konzern

Russland-Sanktionen bedrohen Jobs bei Linde

Die Sanktionen gegen Russland treffen bei Linde vor allem das Geschäft mit dem Bau von Industrieanlagen.

Die Sanktionen gegen Russland treffen bei Linde vor allem das Geschäft mit dem Bau von Industrieanlagen.

München. Beim wertvollsten Dax-Konzern Linde könnten Russland-Sanktionen schon sehr bald eine noch unabsehbare Anzahl von Stellen kosten. Betroffen ist der im Münchner Vorort Pullach beheimatete Konzernteil Anlagenbau des weltgrößten Herstellers von Industriegasen.

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Mit Bangen sehen die dort rund 2.300 Beschäftigten einer für diesen Donnerstag angesetzten Betriebsversammlung entgegen, wo Manager zu negativen Auswirkungen der Russland-Sanktionen auf die Beschäftigung in Deutschland Stellung nehmen wollen. Bis dahin verkneifen sich Betriebsrat und IG Metall jeden Kommentar. Aus gut informierten Kreisen ist aber zu erfahren, dass der Auftragsbestand im Linde-Anlagenbau zu 60 Prozent aus russischen Aufträgen besteht, was nun Makulatur ist.

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Darüber habe der für den Anlagenbau zuständige Linde-Vorstand Jürgen Nowicki Mitte voriger Woche in einer Videobotschaft informiert. Sanktionsbedingt seien die Arbeiten an allen Russland-Projekten sehr kurzfristig bis Ende voriger Woche zu beenden gewesen, sagt ein Insider. An zehn solcher Russland-Projekte habe Linde zuletzt gearbeitet. Der bedeutendste Hauptkunde ist dabei der russische Staatskonzern Gazprom, für den Linde Gasverarbeitungsanlagen baut. Der Konzern agiert dabei vor allem als Planungsunternehmen und nur in geringem Umfang als Produzent von Anlagenteilen.

Allein das Volumen von zwei erst vorigen November erhaltenen Gazprom-Aufträgen beträgt 6 Milliarden Dollar. Ersatz dafür ist auf die Schnelle schwer an Land zu ziehen. Aufträge für Anlagenbau haben langen Vorlauf, sagen Kenner der Materie. Linde stehe deshalb in dieser Sparte nun vor einer Durststrecke, obwohl Anlagen etwa zur Gasverflüssigung derzeit sehr gefragt sind. Insgesamt beschäftigt Linde in der Sparte deutschlandweit rund 3.300 Leute. Weltweit sind es etwa 7.500 Beschäftigte.

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Das Linde-Hauptgeschäft mit Industriegasen ist vom Russland-Konflikt dagegen kaum betroffen. Nur etwa ein Prozent aller Konzernumsätze im Gasgeschäft entfallen auf das Land. Im Linde-Anlagenbau, der auch in der Wasserstofftechnolologie aktiv ist und deshalb an sich vor einer vielversprechenden Zukunft steht, ist das anders. Hier dominiert das Russland-Geschäft – zumindest bis Ende voriger Woche. An dessen Wiederbelebung glaubt in Pullach niemand mehr.

Opfer der EU-Sanktionen

„Hier rechnet keiner damit, dass die Sanktionen bald enden, das Russland-Geschäft ist für immer weg und das von jetzt auf gleich“, spricht ein Lindeaner aus, was auch viele Kollegen dächten. Beschäftigte in Pullach erwarten, dass chinesische Konkurrenten demnächst ihre Russland-Projekte übernehmen und weiterführen. „Wir sind Opfer der EU-Sanktionen“, sagt ein Beschäftigter ausdrücklich, ohne die damit infrage stellen zu wollen.

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Noch hofft die Belegschaft glimpflich davon zu kommen, weil die Geschäftsperspektiven speziell im Bau von Gasanlagen eigentlich gut sind. Den Personalstand halten und eventuell Kurzarbeit zur Überbrückung zu nutzen bis neue Aufträge kommen, gilt als Ziel. Aber wenn fast zwei Drittel des Auftragsbestands über Nacht wegbrechen, kann es auch schlimmer kommen.

Unikum Linde

Linde ist ein Unikum unter den Dax-Konzernen. Das deutsche Traditionsunternehmen hat 2019 mit dem kleineren US-Konkurrenten Praxair angeblich auf Augenhöhe fusioniert und ist seitdem nur noch sehr bedingt deutsch. Der juristische Sitz wurde ins EU-Land Irland verlagert. Der Aufsichtsrat trifft sich in Woking bei London, von wo aus auch offiziell berichtet wird. Das Top-Management wiederum sitzt in den USA in der früheren Praxair-Zentrale. Aus deutscher Perspektive erhalten geblieben ist vor allem der Name Linde und der Sitz der Anlagensparte in Pullach bei München. Da Entscheidungen von Tragweite aber nun in den USA fallen, sind das nicht die besten Voraussetzungen, wenn es um Arbeitsplätze in Deutschland geht. US-Manager sind in dem Punkt selten zimperlich. Linde-Chef ist seit März der Inder Sanjiv Lamba, dessen erste größere Bewährungsprobe nun das Russland-Problem ist.

Der Konzern selbst will die Vorgänge vorerst nicht kommentieren und verweist auf jüngste Aussagen zum Russland-Geschäft. Bei der Vorlage von Quartalszahlen Ende April hatte Linde Russland-Aufträge im Anlagenbau von rund 2 Milliarden Dollar als risikobehaftet bezeichnet und angekündigt, ab dem zweiten Halbjahr 2022 keinerlei Umsätze in Russland mehr zu machen.

Linde hat Prognosen zuletzt erhöht

Da Aufträge im Anlagenbau über mehrere Jahre verteilt in die Bücher fließen, gehen damit in Folgejahren weitere Milliardensummen verlustig, was für den Gesamtkonzern mit zuletzt 29 Milliarden Euro Jahresumsatz und gut 150 Milliarden Euro Börsenwert aber leicht zu verkraften ist. Zum ersten Quartal 2022 hatte Linde trotz der Probleme mit Russland seine Jahresprognose sogar erhöht, weil das dominierende Gasgeschäft alles überstrahlt.

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Für die Belegschaft im Anlagenbau, zu der neben der Zentrale in Pullach weitere Standorte im bayerischen Schalchen und in Dresden kommen, sieht die Welt allerdings komplett anders aus. Am Donnerstag könnte klar werden, wie hart es für sie kommt.

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