Stahlbranche: Der Boom hat seinen Höhepunkt bereits überschritten
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Heißes Eisen: Ein Mitarbeiter stempelt im Thyssenkrupp-Werk Rothe Erde einen glühenden Rohling.
© Quelle: Marcel Kusch/dpa
Frankfurt. Nach schweren Jahren sind bei der Industrieikone Thyssenkrupp die Geschäfte mit Stahl zuletzt so gut wie schon lange nicht mehr gelaufen. Auch der viel größere Konkurrent Arcelor-Mittal hat den höchsten Gewinn seit mehr als einem Jahrzehnt eingefahren. Doch es gibt einige Anzeichen, dass der Boom bereits seinen Höhepunkt überschritten hat.
Des einen Freud, des anderen Leid: Die Baubranche beklagt massive Preiserhöhungen. So ist Stahl, der zur Verstärkung von Bodenplatten, Decken und Wänden benötigt wird, im vorigen Jahr um mehr als 50 Prozent teurer geworden – das sei der höchste Anstieg seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1949, so das Statistische Bundesamt am Donnerstag. Profitiert davon haben die Erzeuger. Auch Deutschlands Nummer eins: Thyssenkrupp.
Ein Drittel mehr Aufträge, ein Viertel mehr Einnahmen
Der Gewinn der Stahlsparte aus der operativen Tätigkeit schoss in den drei Monaten von Oktober bis Dezember auf 124 Millionen Euro in die Höhe, in der von Corona geprägten Vorjahreszeit waren es nur 20 Millionen gewesen. Und das alles, obwohl die Rohstoff- und die Energiekosten deutlich gestiegen sind und trotz der „schwachen Kundenabrufe“ aus der Automobilindustrie, die eigentlich der wichtigste Abnehmer ist.
Finanzchef Klaus Keysberg sprach dennoch von einem guten Quartal. Ein Drittel mehr Aufträge sind im gesamten Konzern in den drei Monaten eingegangen. Die Einnahmen kletterten auf 9 Milliarden Euro, fast ein Viertel mehr. Thyssenkrupp produziert nicht nur Rohstahl, sondern auch eine Reihe von Produkten, die mit dem Grundstoff hergestellt werden – vom U-Boot bis zum Windradturm.
Schwung ließ schon im vorigen Jahr nach
Ähnlich ist die Lage bei Arcelor-Mittal, dem zweitgrößten Stahlkonzern der Welt. Unterm Strich blieb im Jahr 2021 ein Profit von 15 Milliarden Dollar (rund 13 Milliarden Euro) hängen. Das beste Ergebnis seit 2008. Doch die Aktie gab am Donnerstag spürbar nach.
Die Erklärung ist einfach: Die Aussichten sind längst nicht mehr so rosig, wie es noch vor wenigen Monaten aussah. Bis Mitte vorigen Jahres ging es steil bergauf. Das hatte nach dem Ende der Lockdowns vor allem mit dem ökonomischen Aufschwung zu tun, der stark von staatlichen Programmen getragen wurde, die nicht nur am Bau die Nachfrage erhöhten.
Doch schon in der zweiten Jahreshälfte ließ der Schwung nach. Das Geschäft mit Stahl erwies sich abermals als „zyklisch“, also stark abhängig vom Auf und Ab der Konjunktur. Hinzu kamen massive staatliche Eingriffe in China, dem weltweit größten Markt.
Auf Geheiß der Regierung wurde die Stahlproduktion gebremst, um den CO₂-Ausstoß der Volksrepublik zu mindern. Und die aufgeheizte Immobilienbranche wurde an die kurze Leine genommen. In der zweiten Jahreshälfte brach die chinesische Rohstahlproduktion im Vergleich zum ersten Semester um ein Fünftel ein. Im Gesamtjahr gab es erstmals seit 2015 ein Minus, und zwar von 3 Prozent.
Für dieses Jahr erwarten die Arcelor-Manager nun einen weltweiten Absatz, der nur noch zwischen 0 und 1 Prozent über 2021 liegt. Der Bedarf in China werde weiter schrumpfen, und das Nachfrageplus in Europa sowie in den USA soll sich im Lauf des Jahres abkühlen.
Stahlsparte stabilisiert Thyssenkrupp
Diese Ansagen zogen auch die Aktie von Thyssenkrupp am Donnerstag in die Tiefe. Der Essener Konzern mit der großen Tradition hat aber immerhin seine Prognosen für dieses Geschäftsjahr (bis Ende September) bestätigt. Der operative Gewinn soll spürbar auf 1,5 bis 1,8 Milliarden Euro steigen. Das Unternehmen will dafür an allen Ecken und Enden effizienter werden. Zugleich müsse mit vielen Unwägbarkeiten – vor allem höheren Kosten – gerechnet werden, heißt es.
In diesem Umfeld agiert die Konzernführung des Ruhrpott-Unternehmens derzeit mit großer Vorsicht. Die von Vorstandschefin Martina Merz ins Gespräch gebrachte Abspaltung der Stahlsparte ist jedenfalls für dieses Jahr vom Tisch. Zuletzt war von einem Börsengang von Steel Europe die Rede gewesen. Zuvor waren mehrere Versuche gescheitert, das einstige Kerngeschäft zu verkaufen. Man werde eine Entscheidung treffen, „wenn wir Klarheit über die Parameter haben“, sagte Merz kürzlich auf der jährlichen Hauptversammlung.
Insiderinnen und Insider vermuten, dass bei dieser neuen Zurückhaltung auch die aktuellen Gewinne eine Rolle spielen. Immerhin ist die Stahlsparte vom Sorgenkind zur Cashcow mutiert, die den gesamten Konzern stabilisiert. Und Keysberg machte darauf aufmerksam, dass nun untersucht werde, ob und wie die Trennung überhaupt machbar sei – angesichts der Transformation in Richtung grüne Stahlerzeugung. Investitionen von rund 7 Milliarden Euro seien nötig, um bis 2045 auf klimaneutrales Stahlkochen umzustellen, das mit grünem Wasserstoff funktionieren soll.