Tausende weitere Stellen gestrichen: Thyssenkrupp sucht die Zukunft
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Nach einem Milliardenverlust im abgelaufenen Geschäftsjahr soll der Stellenabbau noch einmal massiv ausgeweitet werden: Zusätzlich 5000 Arbeitsplätze stehen auf der Kippe.
© Quelle: imago images/Horst Galuschka
Frankfurt am Main. Wer die Website von Thyssenkrupp aufruft, bekommt die Zukunft in leuchtenden Farben geschildert. Unter dem Motto: „Der Weg des grünen Wasserstoffs“. Die Gegenwart sieht hingegen stockfinster aus. Nach einem Milliardenverlust im abgelaufenen Geschäftsjahr soll der Stellenabbau noch einmal massiv ausgeweitet werden. Zusätzlich 5000 Arbeitsplätze stehen auf der Kippe. Die ganz bittere Nachricht überbrachte am Donnerstag Personalchef Oliver Burkhard: „Betriebsbedingte Kündigungen sind nach wie vor die Ultima Ratio. Wir können sie im Moment aber nicht ausdrücklich ausschließen.“
IG Metall kündigte bereits Widerstand an
Das war ein Tabubruch. Bislang galt, dass Belegschaften „sozial verträglich“ verkleinert werden. Keine Entlassungen, sondern Vorruhestand, Altersteilzeit und Ähnliches. Die IG Metall wurde nun kalt erwischt. Prompt kündigte Jürgen Kerner, IGM-Hauptkassierer und Vizechef des Aufsichtsrats, Widerstand an. Kostenreduzierungen, die sich auf Personalabbau konzentrierten, seien nicht akzeptabel. Ein solches Vorgehen sei kontraproduktiv für die Motivation im Unternehmen, deshalb würden konzernweite Abbauprogramme abgelehnt, sagte er der „Rheinischen Post“.
Verlust von mehr als 5 Milliarden Euro macht wenig Hoffnung
Doch Konzernchefin Martina Merz macht den Beschäftigten wenig Hoffnung: „Wir werden noch weiter in den roten Bereich gehen müssen, ehe wir Thyssenkrupp zukunftsfähig aufgestellt haben.“ Dabei ist das Ruhrpott-Unternehmen, das sich gerne als Industrie-Ikone titulieren lässt, schon jetzt in der tiefroten Zone. Im Geschäftsjahr, das am 30. September endete, kam ein Verlust von 5,5 Milliarden Euro zusammen. Allein rund 3 Milliarden machen Abschreibungen aus, also Wertminderungen für die verschiedenen Sparten des Konzerns.
Am stärksten schlagen Einbußen im Kerngeschäft durch, das immer noch in der Gewinnung des industriellen Grundstoffs besteht. In der betrieblichen Tätigkeit (vor Steuern und Zinsen) kam ein Verlust von 946 Millionen Euro zusammen. Die Stahlsparte hat das Konglomerat in eine seit Jahren währende Dauerkrise gedrückt. Der Versuch, auf dem amerikanischen Markt als Lieferant für Autobauer Fuß zu fassen, endete aufgrund von Missmanagement in einem Totaldesaster, das wirkt noch immer nach. Es folgten Sanierungsprogramm auf Sanierungsprogramm. Manager gaben sich reihenweise die Klinke in die Hand.
Aktie verliert 2020 zwei Drittel ihres Werts
Ein Dauerstreit mit aktivistischen Großaktionären, die eine Zerschlagung forderten, verschärfte die Krise. Zumal die Stahlsparte seit Jahren unter notorischen Überkapazitäten leidet. 2020 kam hinzu, dass die Autokonjunktur, von der Thyssenkrupp massiv abhängig ist, schon vor der Corona-Krise heftig ins Stottern kam. Mit der Pandemie verschärfte sich die Lage noch einmal extrem. Investoren haben sich abgewandt. Die Aktie hat in diesem Jahr zwei Drittel ihres Werts verloren. Die Industrie-Ikone ist inzwischen an der Börse nur noch etwas mehr als 3 Milliarden Euro wert. Gestern gab das Papier bis zum Nachmittag noch einmal um 6,5 Prozent nach. Das hat vor allem damit zu tun, dass Merz im neuen Geschäftsjahr, das im Oktober begann, abermals damit rechnet, dass Geld im großen Stil verbrannt wird – genauer gesagt, 1,5 Milliarden Euro.
11.000 Jobs werden gekappt
Die Chefin wollte eigentlich einen gründlichen Umbau ohne Hektik angehen, die Stahlerzeugung sollte als Zentrum allen Tuns gestärkt werden. Mit rund 17 Milliarden Euro im Rücken, die der Verkauf der Aufzugssparte gebracht hat – diese Erlöse wurden beim aktuellen Jahresfehlbetrag nicht berücksichtigt. Inzwischen spricht Merz davon, dass man sich auf Geschäfte konzentrieren wolle, die „schnelle Ergebnisverbesserungen“ bringen. Und das ohnehin schon stramme Sparprogramm wird noch einmal verschärft.
Bereits im Mai wurde der Abbau von 6000 Stellen binnen drei Jahren angekündigt. Jetzt sollen weitere 5000 Jobs gekappt werden. Das macht 11.000. 3600 Arbeitsplätze wurden bereits gestrichen. Es stehen also noch 7400 Stellen zur Position. Davon befinden sich mehr als 2000 allein in NRW. Dort ist der Konzern eng mit der Landespolitik verknüpft. In den nächsten Monaten dürfte es heftige Diskussionen mit der Regierung in Düsseldorf geben.
Zweifel an Sanierungsprogramm werden größer
Die IG Metall sitzt mit am Tisch. Kerner betonte am Donnerstag: Es brauche nun Lösungsoptionen, „die Investitionen in die Zukunft, nachhaltige Wirtschaftlichkeit, dezentrale Verantwortung und sichere Arbeitsplätze wieder ermöglichen“. Hintergrund: Zweifel an Richtung und Ziel des Sanierungsprogramms der Konzernchefin wachsen. Inzwischen wird über einen Komplettverkauf der Stahlsparte verhandelt. Die britische Liberty Steel ist bislang der einzige Interessent. Gestern teilte der Vorstand lediglich mit, man „sondiere ergebnisoffen verschiedene Optionen“. Auch eine Fusion mit dem hiesigen Rivalen Salzgitter kommt immer wieder ins Gespräch. Im Frühjahr will man sich zu einer Entscheidung durchringen.
Verhandlung über Hilfspaket?
Die Gewerkschafter haben derweil gefordert, dass der Staat einsteigt. Es laufen offenbar Verhandlungen, bei denen es um ein Hilfspaket von mindestens 5 Milliarden Euro gehen soll. Dabei spielt eine wichtige Rolle, dass in NRW noch immer mehr als 23.000 Frauen und Männer bei Thyssenkrupp arbeiten. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat kundgetan, dass er die Stahlkocher im Land halten will. Mit dem Klimaschutz lässt sich das aber nur vereinbaren, wenn bei der Produktion des Grundstoffs Kohle durch grünen Wasserstoff ersetzt wird, der mittels Ökostrom erzeugt wird. Das verlangt aber gigantische Investitionen für Thyssenkrupp und dürfte frühestens in zehn Jahren halbwegs rentabel möglich sein.