Thyssenkrupp leitet Trendwende ein und will Stahlsparte verschenken
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Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz: Trendwende eingeleitet.
© Quelle: imago images/Revierfoto
Es sind unterschiedliche Nachrichten, die der ehemaligen Industriegigant Thyssenkrupp in diesen Tagen aus Essen in die Welt schickt. Einerseits kommt Vorstandschefin Martina Merz mit der Sanierung des schwer angeschlagenen Konzerns voran. Andererseits will die 58-Jährige nun die Stahlsparte offenbar mit aller Macht loswerden und scheut auch nicht davor zurück, das traditionsreiche Geschäft notfalls zu verschenken.
„Thyssenkrupp plant Billig-Spin-off der Stahlsparte“, meldete das „Manager Magazin“ an diesem Mittwoch – und sorgte damit für einige Aufregung im Ruhrgebiet.
Bei einem Spin-off werden Teile eines Unternehmens abgespalten und die Aktien der dadurch entstehenden neuen Tochtergesellschaft an die Altaktionäre verschenkt. Nach dem Scheitern der Verkaufsversuche im vergangenen Jahr ist das Verschenken der Stahlsparte an die eigenen Aktionäre scheinbar die letzte verbliebene Option, um das schwierige Geschäft irgendwie loszuwerden.
Die Chefin will einen „schnellen Cut“
Laut „Manager Magazin“ will Merz einen „schnellen Cut“. Allenfalls eine Minibeteiligung wolle sie behalten, berichtet das Magazin unter Berufung auf Unternehmensinsider. Schon im März könnten Vorstand und Aufsichtsrat das Vorhaben offiziell beschließen. Auch die Aktionäre müssten noch zustimmen – entweder bei der Hauptversammlung im Februar 2023 oder bei einem außerordentlichen Treffen im November kommenden Jahres.
Streit soll es noch über die Höhe der Mitgift geben. Dem Bericht zufolge will Merz das neue Unternehmen mit deutlich weniger Geld ausstatten als den Pensionslasten in Höhe von 3,5 Milliarden Euro. Sollte sie sich damit durchsetzen, stünde der Stahlkocher schon kurz nach der Abtrennung vor der ersten Kapitalerhöhung, um die immensen Investitionen für die Umstellung auf CO₂-neutrale Produktionsweisen zu finanzieren. Dass das ohne Staatshilfe funktioniert, glaubt ohnehin niemand. So oder so stünde die Stahlsparte, das frühere Herz des Unternehmens, ohne die Konzernmutter vor einer schwierigen Zukunft.
Das räumen sie auch in der Essener Zentrale ein. Eine Verselbstständigung des Stahlbereichs sei ein „sehr komplexes Vorhaben, das wirtschaftlich herausfordernd und von zahlreichen Unwägbarkeiten geprägt“ sei, teilt das Unternehmen mit. Eine finale Entscheidung hänge von einer Vielzahl auch externer Faktoren ab, etwa den gesetzlichen Rahmenbedingungen für Herstellung von grünem Stahl. Dennoch sei man überzeugt davon, dass eine eigenständige Aufstellung der Sparte Steel Europe „bestmögliche Zukunftsperspektiven“ eröffne.
Immerhin: im Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr waren die Zahlen des Stahlgeschäfts wieder deutlich besser als noch 2020. Nach einem operativen Verlust von 820 Millionen Euro im Vorjahr schrieb die Sparte vor Steuern und Zinsen wieder einen kleinen Gewinn von 116 Millionen Euro. Dabei geholfen haben die wiedererwachte Konjunktur sowie die anziehenden Stahlpreise. Auch beim Stellenabbau ist Thyssenkrupp vorangekommen. Mehr als die Hälfte der bis 2026 wegfallenden 3.750 Arbeitsplätze bei Steel Europe wurde bereits abgebaut. „Sozialverträglich“, wie der Konzern betont.
Werkstoffhandel und Anlagenbau tragen zur Trendwende bei
Warum Thyssenkrupp-Chefin Merz das Stahlgeschäft trotzdem lieber heute als morgen loswerden möchte, zeigt ein Blick auf die Gesamtzahlen des Konzerns. Nach einem Minus von fast 1,8 Milliarden Euro im Vorjahr, verbucht Thyssenkrupp nun wieder ein Ergebnis von 800 Millionen Euro vor Steuern und Zinsen. Vor allem der Werkstoffhandel und der Anlagenbau haben dazu beigetragen.
„Nach gut zwei Jahren intensiver Transformation können wir heute sagen: Die Trendwende ist erkennbar, es geht in die richtige Richtung bei Thyssenkrupp“, sagte Vorstandschefin Merz. „Unsere Performance verbessert sich deutlich, das spiegelt sich auch in den Zahlen wider.“ Den Schwung wolle man mitnehmen, um auch wieder profitabel zu wachsen.
Von diesem Ziel ist Thyssenkrupp noch einen Wimpernschlag entfernt. Unterm Strich beendet das Unternehmen das Geschäftsjahr mit einem Miniverlust von 19 Millionen Euro, weshalb die Aktionäre auch in diesem Jahr keine Dividende bekommen. Der Aktienkurs legte dennoch um zeitweise bis zu 6 Prozent zu. Nach einem Vorjahresverlust von 5,5 Milliarden Euro honoriert die Börse, dass es nun wieder aufwärts geht. Im kommenden Jahr will Thyssenkrupp mindestens eine Milliarde Euro verdienen – so viel wie seit 2008 nicht mehr.