Umstrittenes Sicherheitsgesetz: Verlassen internationale Unternehmen jetzt Hongkong?
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Ungeachtet weltweiter Kritik hat China das kontroverse Gesetz zum Schutz der nationalen Sicherheit in Hongkong erlassen. Es ist der bisher weitestgehende Eingriff Pekings in die Autonomie der chinesischen Sonderverwaltungsregion.
© Quelle: Liau Chung-Ren/ZUMA Wire/dpa
Die Börse lügt bekanntlich nicht: Als Peking Ende Mai sein geplantes nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong erstmals ankündigte, brachen die Aktienkurse in der ehemals britischen Kolonie um nahezu 6 Prozent ein. In den letzten Tagen jedoch, als die chinesische Regierung das Gesetz einführte und seine Inhalte publizierte, zeigte sich die Börse unbeeindruckt bis optimistisch.
Die große Krise für die Geschäftswelt wird trotz der nun eingeschränkten Autonomie der Sonderverwaltungszone ausbleiben. Im Gegenteil: Die Hongkonger Märkte profitieren zunächst einmal davon, dass in Zukunft durch die engere Anbindung an Peking wohl mehr Börsennotierungen chinesischer Firmen Kapital anschwemmen. “Solange chinesische Firmen kommen und sich in Hongkong an der Börse notieren lassen, wird die Party weitergehen”, sagt Francis Lun, örtlicher Leiter der Investmentfirma Geo Securities, der Nachrichtenagentur Reuters. “Die Finanzleute sind besessen vom Geldmachen. Nichts kann sie von ihrem einzigen Ziel im Leben abbringen.”
Langfristig wird China wohl größeren Druck auf die Unternehmen ausüben
Tatsächlich ist der Konflikt in Hongkong vor allem auch ein wirtschaftliches Problem: Auf der einen Seite lebt die internationale Finanzelite in einer dekadenten Blase, während viele junge Hongkonger oft trotz Auslandsstudium und Vorzeigelebenslauf keine Jobs bekommen, die ihnen in der absurd teuren Stadt eine bezahlbare Wohnung sichern.
Für ausländische Firmen birgt das Gesetz vor allem die deutliche Botschaft, sich nicht in politische Angelegenheiten einzumischen. Eine große Änderung bedeutet das kaum, haben sich doch die Manager in den Chefetagen der Stadt bereits seit Monaten einen Maulkorb auferlegt. Allerdings dürften Firmen, die sensible Daten in Hongkong gespeichert haben, ihre Cloudserver wohl abziehen. Denn das nationale Sicherheitsgesetz ist so vage formuliert, dass etwa herkömmliche Marktforschung möglicherweise als Spionage ausgelegt werden kann.
Im Büro von Amnesty International Hongkong prognostiziert man, dass die Konzerne auf kurze Sicht erst einmal eine Erleichterung darüber verspüren, wenn die gewalttätigen Proteste aufhören sollten. Langfristig jedoch werde Peking wohl größeren Druck auf die Unternehmen ausüben, bei der politischen Agenda mitzuspielen.
Die meisten Firmen wollen in Hongkong bleiben
Nicht zufällig ist Hongkong die Finanzmetropole geworden, die es heute ist: der direkte Zugang zu Festlandchina, das rund ein Drittel des weltweiten Wirtschaftswachstums generiert; niedrige Steuersätze; freie Währungskonvertibilität und vor allem ein hohes Maß an qualifiziertem Personal. All das macht den Standort Hongkong quasi alternativlos, vielleicht mit Ausnahme des einzigen Rivalen in der Region: Singapur besticht ebenfalls durch eine sehr unternehmerfreundliche Gesetzgebung.
Kurz vor Einführung des nationalen Sicherheitsgesetzes hat die amerikanische Handelskammer Hongkong unter 180 Mitgliedsfirmen eine Umfrage durchgeführt, der nach nur rund 30 Prozent einen Abzug ihres Betriebs in andere Standorte der Region erwägen.
Die Lage könnte sich allerdings dann wenden, wenn ausländische Firmen die juristische Unabhängigkeit Hongkongs tatsächlich in Gefahr sehen. Herrscht bei Investitionen keine Rechtssicherheit mehr vor, dann würde dies wohl tatsächlich zum Exodus internationaler Konzerne führen. Bislang jedoch besteht ein Grundvertrauen, dass Peking seinen autoritären Griff nur politisch gegenüber dem radikalen Flügel an Aktivisten ausübt, aber seinen liberalen Finanzstandort nicht riskieren will. Die rote Grenze ist fließend und nicht klar definiert. Doch während sie für die Protestbewegung spätestens am Mittwoch mit Einführung des nationalen Sicherheitsgesetzes indiskutabel überschritten worden ist, legt die internationale Geschäftswelt den Rahmen weitaus lockerer aus.
Maßnahmen der USA haben nur wenig Einfluss
Washingtons bisherige Maßnahmen – etwa die Aufhebung des Sonderstatus Hongkongs als bevorzugten Handelspartner – können der Finanzmetropole wenig anhaben. Mit seinem Handelskrieg gegen China treibt US-Präsident Donald Trump ja ungewollt die großen chinesischen Konzerne in die Arme der Hongkonger Börse, wo sie mit Zweitnotierungen massive Summen an Geld anschwemmen. Der Onlinehändler JD.com – zweiter Marktführer nach Alibaba – hat im Juni bei seiner Zweitnotierung weit über 3 Milliarden Dollar Kapital erzielt und mit dafür gesorgt, dass Hongkong nun laut Ernst and Young zum drittgrößten Markt für Börsengänge geworden ist.