Die Ampel schlägt Alarm

Wenn das Gas ausgeht

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.

Wirtschaftsminister Robert Habeck hat eine Grafik mitgebracht, um die Lage sehr anschaulich klarzumachen: Zu sehen sind die Füllstände der deutschen Gasspeicher. Und die Kurven zeigen trotz eines zuletzt erkennbaren leichten Aufwärtstrends insgesamt doch sehr deutlich nach unten. „Gas ist von nun an ein knappes Gut“, erklärt der Grünen-Politiker bei der Pressekonferenz. Die Folge: Habeck hat im Notfallplan Gas die Alarmstufe ausgerufen. Es wird nicht der letzte Schritt sein, um die Rationierung des Brennstoffs zu verhindern. Nicht mehr verhindern lassen sich massive Preis­erhöhungen für Privathaushalte und Unternehmen.

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Zwar sei die Versorgung aktuell noch gesichert, sagt Habeck. Aber er warnt vor einem „Lehman-Moment“ – in Anspielung auf den Kollaps der gleichnamigen US‑Bank im Jahr 2008, der eine jahrelange globale Finanzkrise auslöste.

Bei der Erdgasversorgung würde das Szenario in etwa so aussehen: Die Importeure müssen extrem teures Gas kurzfristig an der Börse kaufen, weil zu wenig aus Russland geliefert wird und die Speicher leer sind. Die Kosten könnten so hoch sein, dass die Unternehmen insolvent werden und die Lieferungen an Stadtwerke und andere Versorger einstellen. Millionen Bürger und Bürgerinnen sitzen dann in kalten Wohnzimmern, Unternehmen müssen die Produktion einstellen.

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Putins Kalkül

Genau mit diesem Szenario dürfte der russische Staatschef Wladimir Putin kalkulieren, auf dessen Geheiß die Lieferungen über die Nord-Stream-Pipeline seit dem 14. Juni um 60 Prozent reduziert wurden – angeblich wegen technischer Probleme. Habeck betont: „Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff Putins auf uns.“ Und er fügt hinzu: „Dagegen wehren wir uns.“

Überraschend unterstützt wird der Minister von seinem Vorgänger: „Robert Habeck hat sich die Ausrufung der zweiten Krisenstufe des Gasnotfallplans alles andere als leicht gemacht“, sagt Peter Altmaier dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND). „Er hat partei- und fraktions­­übergreifende Unterstützung in dieser schwierigen Phase verdient“, mahnt der CDU-Politiker. Zu Habecks Vorhaltung, die Versäumnisse der letzten Dekade hätten Deutschland jetzt in diese Bedrängnisse gebracht, will sich Altmaier nicht äußern.

Die Ausrufung der Alarmstufe ist allerdings noch ein eher sanfter Schritt. Damit wird ministeriell nur festgestellt, dass es eine „Störung der Gasversorgung“ gibt. Aber es wird davon ausgegangen, dass „der Markt“ diese Störung bewältigen kann. Die Alarmstufe bedeutet zunächst einmal, dass Experten der Bundes­netz­agentur (BnetzA) – das ist die zuständige Aufsicht – noch genauer als ohnehin schon die Entwicklungen auf dem Gasmarkt beobachten. Die Bonner Behörde hat 65 Mitarbeiter eingestellt, die im Schicht­betrieb rund um die Uhr arbeiten, um die Versorgung zu sichern.

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Gleichwohl lässt sich schwer sagen, wann tatsächlich ein „Lehman-Moment“ eintreten könnte, weil es am Gasmarkt äußerst turbulent zugeht. Klar ist, dass zunehmend mehr Gasimporteure ihr Produkt extrem teuer einkaufen müssen – als Ersatz für ausbleibende russische Lieferungen. Die Megawattstunde für die europäische Referenzsorte Dutch TTF kostete gestern Mittag 137 Euro, vor einem Jahr waren es rund 20 Euro gewesen. 20 Euro – in dieser Größen­ordnung dürften sich auch Konditionen für Lieferverträge bewegt haben, die seit dem 14. Juni, als Russland den Gasexport drastisch drosselte, nur noch zum Teil erfüllt werden.

Die Importeure müssen deshalb enorme finanzielle Lasten stemmen, um ihren Verpflichtungen gegenüber Stadtwerken nachzukommen – inklusive Vereinbarungen über Preise. Habeck ließ durchblicken, dass man die Lage genau beobachte, manche Unternehmen machten derzeit Verluste.

Das schärfste Schwert

Wenn die Lage aber weiter eskaliert, müsse eventuell zum „schärfsten Schwert“ gegriffen werden. Das ist der Paragraf 24 im novellierten Energie­sicherungs­gesetz, der einen „Preis­anpassungs­mechanismus“ ermöglicht: Stadtwerke und Co. können aus dem Stand die Konditionen für die Gas­lieferung aussetzen – auch für Kunden, die eigentlich Preisgarantien in ihren Verträgen vereinbart haben. Das schlichte Ziel dieser Regelung: Sie soll Geld in die Kassen der Gaswirtschaft spülen, und zwar augenblicklich, um Unternehmen vor dem Zusammen­bruch zu bewahren. Verbraucher und Firmen würden so aber von einem Tag auf den anderen mit massiven Aufschlägen konfrontiert.

Habeck dürfte sehr genau wissen, welche Verwerfungen solch ein Schritt auslösen würde – Beobachter bezeichnen dies gar schon als „Anleitung zum politischen Selbstmord“. Der Wirtschafts­minister machte denn auch schnell deutlich, dass er Paragraf 24 vorerst nicht ziehen werde. Schließlich könnte das bei Familien mit geringem Einkommen zu akuter Energiearmut führen. Und Firmen mit hohem Gasbedarf könnten ganz schnell pleitegehen.

Habeck ruft Alarmstufe aus: Dazu dient der Notfallplan Gas

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat die zweite der drei Stufen des Notfallplans Gas aktiviert. Was bedeutet das?

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Nach Informationen des RND gab es in den vergangenen Tagen intensive Gespräche über Paragraf 24 zwischen Gaswirtschaft und Bundesregierung. Diskutiert wird darüber, die Regelung zumindest deutlich zu entschärfen. Ihre Anwendung soll jedenfalls tunlichst vermieden werden. Und wenn sie sich nicht vermeiden lässt, dann mit einer gleichzeitigen Abfederung durch den Staat.

Also Subventionen für Gas als Preisbremse? Habeck hält davon nichts. „Ein Eingriff in die Preise ist nicht die beste Lösung“, sagt er. Denn von den Preisen gehe eine Signalwirkung aus. Er beeilt sich hinzuzufügen, dass dies nicht zynisch klingen soll. Zielführender seien gezielte Unterstützungen. Was unter anderem auf zusätzliche direkte Hilfen für Haushalte mit kleinem Geldbeutel hinauslaufen dürfte.

Dem Vernehmen nach wird in der Bundesregierung bereits über weitere Entlastungen verhandelt. Beschlüsse gebe es bislang aber noch nicht, heißt es. Doch auch bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) dürfte angekommen sein, dass die Kundschaft der Versorger vielfach mit einer Verdoppelung des Gaspreises rechnen muss. Das lässt sich allein schon aus den aktuellen Tarifen für Neukunden ablesen.

Habeck spricht zugleich von einem „Versorger­paradox“, da viele Verbraucher von der Gaskrise derzeit noch nichts spürten. Häufig wird sich dies auf dem Konto erst im neuen Jahr manifestieren. Denn oft werden erst dann neue Tarife der Stadtwerke wirksam. Mieter müssen mit bösen Überraschungen rechnen, wenn die Neben­kosten­abrechnungen kommen.

epa02901733 Russian Prime Minister Vladimir Putin (2-L ), Gazprom CEO Alexey Miller (3-L) and Former German Chancellor and Chairman of the Nord Stream shareholders' committee Gerhard Schroeder (4-R) attend a ceremony of the Nord Stream gas pipeline launch at the Portovaya compressor station's dispatch center outside Vyborg, a city 130 km northwest of St. Petersburg, Russia 06 September 2011. Gazprom on Tuesday started pumping gas into the first line of the Nord Stream gas pipeline which links Russian and German coasts via the Baltic sea bed. Nord Stream consists of two 1,224 km natural gas pipelines. When fully operational in the last quarter of 2012, the twin pipeline system will supply 55 billion cubic metres (bcm) of Russian gas a year to the EU. EPA/ALEXEY NIKOLSKY MANDATORY CREDIT / RIA NOVOSTI /*** NO SALES NO ARCHIVES NOT FOR USE AFTER 06 OCTOBER 2011*** ++ +++ dpa-Bildfunk +++

Kommentar

Deutschland droht das Gas auszugehen. Hohe Preise sind sicher, Produktionsausfälle und eine Rezession möglich. Am Ende aber hat Deutschland mehr Kraft als Russland, kommentiert Andreas Niesmann.

Und mutmaßlich wird es nicht bei Verdoppelungen bleiben. Schließlich sind die Folgen der neuesten Entwicklungen bei den Endkundenpreisen noch gar nicht angekommen: Der aktuelle Börsenpreis ist seit dem 14. Juni noch einmal um gut 50 Prozent auf mehr als 130 Euro geklettert.

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Mehr noch: Vom 11. Juli an wird durch die Nord-Stream-Röhre gar kein Gas mehr fließen. Routinemäßige Wartungen stehen an. In den vergangenen Jahren dauerten die Arbeiten um die zehn Tage. Damals spielte das keine Rolle für die Versorgung. Das ist nun anders. Vor allem stellen sich alle die Frage, ob die Pumpen überhaupt wieder angeschaltet werden. Und wenn ja, in welcher Intensität.

Das wird entscheidend sein, um durch den nächsten Winter zu kommen, wenn der Gasbedarf im Vergleich zum Sommer wieder massiv steigen wird. Dann werden die unterirdischen Speicher benötigt, die derzeit, so Habeck, zu genau 58,7 Prozent gefüllt seien. Er hat aber vorgegeben, dass es bis Dezember 90 Prozent sein müssen. Doch Hoch­rechnungen der Bundes­netz­agentur haben ergeben, dass dies nicht zu schaffen ist, wenn durch die Nord-Stream-Pipeline weiterhin nur 40 Prozent der üblichen Gasmenge gepumpt werden. In jedem Fall müsste der Gasverbrauch, so das Szenario, in diesem Winter um ein Fünftel unter dem normalen Niveau liegen.

Sparen beim Heizen

Wie das erreicht werden soll? Beschlossen ist bereits, nur noch möglichst wenig Gas für die Stromerzeugung einzusetzen und deshalb eingemottete Kohlekraftwerke zu reaktivieren. Zweitens setzt Habeck auf die Industrie. Die Netzagentur strickt gerade an einem „Auktionsmodell“. Industrie­unternehmen sollen kundtun, wann und in welchem Umfang sie Gas einsparen können. Dafür sollen sie eine Prämie erhalten. „Noch im Sommer“ soll dieser Marktplatz fürs Sparen eröffnet werden. Habeck betont, dass die Industrie „sehr, sehr aufgeschlossen“ sei.

Privatleuten und Vermietern empfiehlt der Minister derweil, einen hydraulischen Abgleich für die Heizungen zu machen, was Einsparungen von bis zu 15 Prozent bringen könne. In Regierungs­kreisen ist aber auch zu hören, dass ein anderes scharfes Schwert noch nicht vom Tisch ist: die mögliche Absenkung der zulässigen Mindest­temperaturen in Wohnungen und/oder am Arbeitsplatz.

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Scheitern die Sparanstrengungen, muss die höchste Stufe im Notfallplan ausgerufen werden. Dann entscheidet die Netzagentur über die Zuteilung des Erdgases. Zuallererst dürften Freizeit­einrichtungen beim Abklemmen drankommen, dann Industrie­betriebe. Private Haushalte und soziale Einrichtungen stehen hingegen unter besonderem Schutz.

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