RND-Kolumne

Wie wir uns von Putin abhängig gemacht haben

Die Gaspipeline Nord Stream 2 wurde zwar gestoppt, doch auch abgesehen davon ist die deutsche Abhängigkeit von Energie aus Russland hoch.

Die Gaspipeline Nord Stream 2 wurde zwar gestoppt, doch auch abgesehen davon ist die deutsche Abhängigkeit von Energie aus Russland hoch.

Woche Sieben seit Kriegsbeginn in der Ukraine. Europa und Deutschland ringen um Antworten. Vor allem die deutsche Politik tut sich extrem schwer. Klar ist: Deutschland ist so abhängig wie kaum kein anderes Land von russischen Energielieferungen. Statt konsequent die Energiewende voranzutreiben, wurde die Abhängigkeit von fossilen Energien beibehalten oder in Richtung Russland sogar verstärkt.

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Wie konnte das passieren? Und vor allem wieso? Das sind die beiden Fragen, die mir derzeit am häufigsten gestellt werden. Die einfache Antwort: Es gab Interessen. Und es gab professionell koordinierte Kampagnen.

Die Industrie profitierte von billigem Gas

Zunächst waren da die Großkonzerne, die vom „billigen“ Öl, Gas und Atom profitieren. Deren Lobby-Gruppen investierten Milliarden, um die Energiewende schlechtzureden. Sie malten Horrorszenarien an die Wand über drohende Blackouts und Kosten-Tsunamis oder erzählten Gruselgeschichten von einem de-industrialisierten Deutschland und Schauermärchen über verarmte Menschen, die sich weder Licht noch Heizung leisten könnten. Die Angst war größer als Wahrheit.

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Dann gab es leider zu viele Medien, die sich ihrer Arbeit leicht machten. Sie übernahmen die Narrative der Industrie, hinterfragten deren Interessen und Strategien zu wenig und verzichteten häufig darauf, sich selbst teure Wissenschaftsredaktionen zu leisten.

Mangelndes Fachwissen in vielen Redaktionen führte zu einer „False Balance“ in der medialen Darstellung. Journalistinnen und Journalisten meinten, zu Fakten könne es ein Pro und ein Contra geben und wurden damit ungewollt Mitwirkende der manipulierenden PR-Kampagnen. Statt Angriffe gegen Forschungsergebnisse oder gegen ganze Wissenschaftszweige kritisch einzuordnen, boten sie rhetorisch geschulten Pseudo-Wissenschaftler*innen eine Bühne und machten deren „knackige“ Thesen zur Headline. Fossile Fakes schlugen wissenschaftliche Fakten.

Putin machte Geopolitik mit Energie

Und dann gab es Putin. Russlands Interesse besteht vor allem im Verkauf fossiler Energien. Damit unterscheidet sich das Land nicht von den anderen wirtschaftlichen Profiteuren des fossilen Imperiums. Sie müssten umsteuern, um nicht zu den großen Verlierern einer ökologischen Transformation der Weltwirtschaft zu werden. Beharrlichkeit ist stärker als Innovation.

Präsident Putin aber verfolgte obendrein geopolitische Ziele, deren Erreichung er – wie sich jetzt herausstellt – schon seit Jahrzehnten strategisch vorbereitet hat. Dazu gehört – Putin ist Ex-KGB-Mann – die Beeinflussung der öffentlichen Debatte über Fake News. Dazu gehört aber auch, fossile Energie als politische Waffe zu nutzen. Beides praktiziert Putin schon lange. Im kalten Winter 2009 drehte er den Gashahn der Pipelines durch die Ukraine so stark zu, dass viele Wohnungen in Südosteuropa kalt blieben. Und im US-Wahlkampf mischten nachweislich russische Trollfabriken genauso mit wie bei der Brexit-Diskussion in Großbritannien.

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Dass es dem russischen Autokraten trotzdem gelungen ist, nicht nur die deutsche Wirtschaft, sondern auch und gerade die deutsche Politik so stark von sich abhängig zu machen, ist im Nachhinein – um es vorsichtig zu formulieren – verwunderlich. Schließlich gab es massive Warnungen, von Staatschefs anderer Länder, von außenpolitischen Expert*innen und auch durch unsere Forschungsarbeiten.

Die Rolle der Politik in der Verhinderung der Energiewende und die naive, wenn nicht fahrlässige Loyalität gegenüber Russland gilt es dringend aufzuarbeiten. Ebenso wie die engen Verquickungen von politischen Akteuren in die fossile Wirtschaft.

Die Politik leistete Schützenhilfe

Dass große deutsche Konzerne derart enge Verflechtungen mit Russland eingegangen sind und dabei geostrategische Risiken ausblenden konnten, lag auch daran, dass die Politik bis heute schützend hinter ihnen steht. Das ist mehr als problematisch und zeigt die viel zu starke Vermischung von politischen und industriellen Interessen. Dass eben diese Unternehmen – anders als immer mehr Politikerinnen und Politiker – sich heute angesichts des aktuellen Debakels ihrer Geschäftsaktivitäten heute bislang weder entschuldigt, noch irgendeinen Fehler eingestanden haben, grenzt an Selbstgefälligkeit und Ignoranz.

Richtig ärgerlich ist aber, wenn dieselben Unternehmen im Kampf um ihre Pfründe nunmehr lautstark die gesamte Volkswirtschaft in Geiselhaft nehmen, indem sie bei einem Energie-Embargo gegen Russland einen angeblich drohenden wirtschaftlichen Ruin Deutschlands heraufbeschwören und nunmehr als vermeintlich systemrelevante Säulen unserer Volkswirtschaft auch noch üppige Entschädigungen für ihre zu erwartenden Umsatzeinbußen kassieren wollen. Geradezu infam, wenn ihnen das gelänge. So würde das betriebliche Missmanagement vergangener Jahre nachträglich aus der Staatskasse belohnt.

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Natürlich kann es klug und angemessen sein, den deutschen Unternehmen zu helfen, diese selbst eingebrockte Suppe auszulöffeln, aber das bitte nicht bedingungslos: Wenn schon Subventionen für Industrien, dann keinesfalls als üppige fossile Energiekostenzuschüsse, sondern besser als Investitionshilfe für Energiesparprogramme und den radikalen Umstieg auf erneuerbare Energien!

Die allzugroße Einflussnahme privater Interessengruppen hat uns ins aktuelle Schlamassel geführt. Aber sie führt uns leider nicht wieder heraus. Im Gegenteil! Die Politik muss endlich unabhängig handeln, nicht nur unabhängig von Putins Russland, sondern auch von den Einflüsterungen profit- und selbstsüchtiger Konzerne.

Ein Energie-Embargo ist machbar

Unsere Studien belegen, dass ein Energie-Embargo gegen Russland machbar ist. Versorgungssicherheit erreichen wir kurzfristig über die konsequente Anwendung der assa-Formel: ausweichen – fossile Energien aus verschiedenen anderen Ländern beziehen –, speichern, sparen und ausbauen, nämlich erneuerbare Energien in Deutschland.

Im Unterschied zum Embargo wäre ein Importzoll nicht sinnvoll, weil er die Preise für fossile Energie aus Russland zusätzlich verteuert, aber vor allem weil er die Lieferungen weiterhin legitimiert. Das wäre politisch das falsche Signal und wirtschaftlich doppelt teuer, weil diese Maßnahme nur die Fehler der Vergangenheit fortschreibt, statt positiv in die Zukunft zu wirken.

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Ein Embargo, das zeigen jüngste Studien, könnte zwischen drei und sechs Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts kosten. Das tut weh, keine Frage. Aber wenn wir es richtig anpacken, gewinnen wir doppelt: Wir vermeiden nicht nur die Eskalation des brutalen Kriegs in der Ukraine oder verkürzen ihn womöglich, sondern wir stärken unsere politische und ökonomische Zukunftsfähigkeit als Demokratie und als klimagerechte Industrienation.

Keinesfalls dürfen wir uns erpressen lassen. Aus Angst vor den wirtschaftlichen Folgen einen Importstopp auszuschließen, macht uns umso anfälliger dafür, dass Putin seinerseits die Gas- und Öllieferungen stoppt. Angedroht hat er es ja schon. Ein proaktives Embargo wäre stattdessen ein souveräner Akt der Selbstverteidigung, bei dem wir die Handlungshoheit über den Zeitpunkt bewahren.

Noch sind wir handlungsfähig

Indem die deutsche Regierung viel zu lange auf die Interessen einzelner mächtiger Einflüsterer aus Wirtschaft und Politik vertraut hat, ist sie in das aktuelle Schlamassel geraten. Noch sind wir handlungsfähig. Noch sind wir ökonomisch potent. Beide Stärken können und müssen wir jetzt endlich zum Einsatz bringen. Kanzler Scholz hat international große Anerkennung für seine „Zeitenwende“-Rede bekommen. Jetzt gilt es den starken Worten starke Taten folgen zu lassen. Die Energiewende ist ein Friedens-, Freiheits- und Fairness-Projekt; deswegen muss sie nun endlich mit Volldampf vorangetrieben werden.

Das jüngst vorgestellte „Osterpaket“ geht dabei in die richtige Richtung. Drei Schritte sind jetzt zu tun:

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1. Turbo bei der Windenergie einlegen: Pauschale Abstandsregeln sind schädlich und erhöhen die Akzeptanz nicht. Wie man in Bayern oder NRW sieht, vermindern sie die Flächen für den Zubau von Windenergie unnötig. Der Ausbau kommt nahezu zum Erliegen. Die geplante Abschaffung der Länderöffnungsklausel im Baugesetzbuch ist absolut sinnvoll und überfällig. Planungsverfahren müssen nicht nur erleichtert, sondern auch auf sichere Füße gestellt werden, um langjährige Prozesse zu vermeiden. Deswegen ist die einheitliche und vor allem vereinfachte Regelung der Berücksichtigung von Artenschutz beim Bau von Windanlagen zu begrüßen. Zudem müssen ausreichende Flächen ausgewiesen werden.

2. Ausbauziele bei Solarenergie erhöhen: Um möglichst viele Menschen für den Umstieg auf Eigenproduktion („Solarzellen auf jedes Dach!“) zu bewegen, sollte nicht nur der eingespeiste, sondern gerade auch der selbstgenutzte Strom finanziell attraktiv sein. Dies muss im Osterpaket dringend nachjustiert werden.

3. „Erneuerbare-Energien-Sofort-Booster-Programm“ aufsetzen: Derzeit ist das größte Hemmnis für eine schnelle Umsetzung des Osterpakets, dass – aufgrund der Überführung der Finanzierung der EEG-Umlage in den Staatshaushalt– die beihilferechtliche Genehmigung der EU eingeholt werden muss. Insofern kann das Paket wohl erst 2023 in Kraft treten. Das wäre viel zu spät! Die Lösung ist ein Booster-Programm für erneuerbare Energien als eine Art Notfallpaket, das eine sofortige Umsetzung ermöglicht: Beantragte und Repowering-Projekte könnten (und sollten!) dann sofort genehmigt werden. Alle derzeitigen Neubauanlagen ließen sich damit bis auf Weiteres im Rahmen eines „EEG 2.0″ finanzieren, welches nicht steuerfinanziert wird, sondern wie bisher über den Strompreis und somit auch EU-rechtlich sofort umgesetzt werden kann. Wir haben vor 20 Jahren mal mit einem einfachen Ansatz begonnen; daran sollten wir wieder anknüpfen.

Nicht Preise deckeln, sondern Kosten

Übrigens, für alle, die jetzt Sorge vor steigenden Preisen haben: Nicht Preise müssen gedeckelt werden, sondern die Kosten. Und das geht, indem wir entweder Energie sparen (und das Sparen fördern) oder/und indem sich das Einkommen erhöht, zum Beispiel über eine Pro-Kopf-Klimaprämie oder ein Energiegeld. Weil die Menschen frei entscheiden könnten, wie sie dieses Geld ausgeben, fürs Lastenrad oder den SUV, wäre das ein deutlich geringerer Eingriff in den freien Markt als der – von interessierter Seite geforderte – Spritpreisdeckel. Der setzt nämlich für fossile Geschäfte die Marktgesetze außer Kraft.

Umso erstaunlicher, dass er ausgerechnet von der Regierungspartei favorisiert wird, die sonst immer alles „den Markt regeln lassen will“. Ob dieser nicht-liberale Sonderweg an der eingangs beschriebenen Verquickung von politischen und wirtschaftlichen Interessen liegt? Jedenfalls wäre das fatal und politisch kontraproduktiv, weil der Spritpreisdeckel sogar noch den Verbrauch erhöht und damit die Importe und die Einnahmen nicht nur der Mineralölkonzerne, die ohnehin schon satte Kriegsgewinne machen, sondern auch die von Putins Kriegsapparat erhöhen. Cui bono?, möchte man fragen; erst recht, wenn das Gesetz zur Deckelung trotzdem kommen soll, obgleich die Börsenpreise für Öl derzeit sinken.

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Statt unverhohlener Subventionen für fossile Dinosaurier benötigen wir dringend Investitionen in die Ausbildung von Fach- und Arbeitskräften im Wachstumsfeld erneuerbarer Energien. Green Jobs haben Zukunft. Nicht dreckiges Benzin.

Indem wir die Fehler der Vergangenheit erkennen und klar benennen, vermeiden wir ihr weiteres Gedeihen. Diesen fossilen Krieg zu beenden und weitere fossile Kriege zu vermeiden, liegt im Interesse der Menschen und der Menschheit. Jetzt haben wir die Chance dazu.

Claudia Kemfert ist Energieprofessorin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Sie schreibt an dieser Stelle im wöchentlichen Wechsel mit Holger Krawinkel, Kerstin Andreae und Frank-Thomas Wenzel über den grünen Umbau der Wirtschaft. Sie gehört zu den Erstunterzeichnerinnen des Offenen Briefs an die Bundesregierung, in dem ein Importstopp von russischen Energielieferungen gefordert wird.

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