Wirecard-Prozess: Markus Braun im Kreuzverhör
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Der frühere Wirecard-Chef Markus Braun glaubt, jetzt seine Version der Wahrheit bewiesen zu haben.
© Quelle: Angelika Warmuth/dpa
München. Wirtschaftsstrafprozesse wie der um die Skandalfirma Wirecard ähneln oft einem zähen Boxkampf. Im Betrugsfall um den einstigen Dax-Konzern ist dessen Ex-Chef Markus Braun als Hauptangeklagter nach längerem Kreuzverhör durch Richter Markus Födisch erkennbar ins Hintertreffen geraten. Man könnte sagen, er braucht eine Runde, die nach Punkten an ihn geht. Braun hat das offenkundig begriffen und teilt aus. Dazu projiziert er Zahlenkolonnen auf eine Leinwand im Gerichtssaal. „Diese Belege zeigen massiv, dass das Geschäft existiert hat und das Geld veruntreut wurde“, sagt Braun. Der Satz ist Kern seiner Verteidigungsstrategie. Er widerspricht der Anklage diametral. Denn Staatsanwälte behaupten, dass bei Wirecard viele Geschäfte nur erfunden wurden, um Kredite zu erschwindeln, Anleger zu täuschen und Märkte zu manipulieren.
Die Buchungsbelege, die Braun präsentiert, sollen dagegen beweisen, dass es angeblich frei erfundene Zahlungsdienstleistungen für asiatische Händler wirklich gegeben hat und das nicht nur Lug und Trug war. Solche Geschäfte hatten sich auf Treuhandkonten kurz vor der Wirecard-Pleite im Juni 2020 auf 1,9 Milliarden Euro summiert. Als Teile des Geldes zum Beweis ihrer Existenz abgerufen werden sollten, stellte sich aber heraus, dass die Konten leer waren. Es hat das Geld nie gegeben, sagen Staatsanwälte. Es war da, ist aber gestohlen worden, entgegnet Braun.
Für solche Zahlungsabflüsse glaubt er nun klare Belege liefern zu können. „Das sind Zahlungsausgänge an Veruntreuungsvehikel über insgesamt 800 Millionen Euro“, fasst er seine Präsentation zusammen. Diese Vehikel sind Firmen, auf die die in Brauns Version der Wahrheit real existierenden Gelder verschoben wurden. Er sagt auch, von wem sie kontrolliert wurden. Verfügungsberechtigt gewesen sei Oliver Bellenhaus. Der ist Mitangeklagter sowie Kronzeuge in Personalunion und der Mann, der Braun zu Prozessbeginn schwer belastet hatte.
Der ehemalige Wirecard-Chef dreht nun den Spieß um. Bellenhaus habe ein Schattenreich innerhalb von Wirecard aufgebaut, in das er veruntreute Gelder nahezu in Milliardenhöhe gelenkt habe, ohne dass Braun davon etwas mitbekommen haben will. Zum Beweis zeigt er dazu nun Buchungsunterlagen, die „Originaldokumente“ seien und auch „eindeutig“ belegen würden, dass es Geschäfte mit angeblich nicht existenten Händlern sehr wohl gegeben habe. Zumindest sei die „Indizienlage klar und erdrückend“.
Ehemaliger Wirecard-Chef Markus Braun verantwortet sich vor Gericht
Zweieinhalb Jahre nach der Pleite des Finanzdienstleisters hat in München der Prozess gegen Ex-Chef Braun und zwei weitere frühere Manager begonnen.
© Quelle: Reuters
Im Kreuzverhör kommt Braun ins Schwimmen
Wenn die Kreditkartentransaktionen real seien, warum hätten dann Mastercard und Visa als Kreditkartenfirmen sie als nicht echt gebrandmarkt, will Födisch wissen. Braun kommt ins Schwimmen. Es ist nicht das erste Mal. Im April 2020 hat er für die Börse eine Pflichtmitteilung verfasst, die zentraler Teil der Anklage ist. Eine Sonderuntersuchung der Wirtschaftsprüfer von KPMG sollte damals klären, ob es umstrittene Treuhandmilliarden gibt oder nicht. Das musste KPMG mangels zur Verfügung gestellter Unterlagen aber offenlassen. In Brauns Pflichtmitteilung war davon keine Rede. Es gebe keine Belege für Bilanzmanipulation, hieß es dort vielmehr, was den Wirecard-Kurs damals steigen ließ.
Födisch drängt sich im Vergleich der KPMG-Erkenntnisse mit Brauns Mitteilung eine Erkenntnis auf. „Sie haben eigentlich das Gegenteil kommuniziert“, stellt der Richter fest. Veröffentlicht habe Braun, was er sich als Wahrheit gewünscht habe, aber nicht, was wahr gewesen ist. Überhaupt redet Braun in dieser Anfangsphase des Mammutprozesses viel. „Sie haben jetzt mit sehr vielen Worten wieder das Gleiche gesagt wie vorhin, nämlich gar nichts“, hatte der Richter den Redeschwall schon einmal kommentiert.
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Jahrhundertbetrug bei Wirecard: die Mutter aller Wirtschaftsprozesse
Der Fall Wirecard ist einer der größten Betrugsskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Nicht nur der Verhandlungsort Stadelheim ist historisch, auch die Ausmaße des Verfahrens sind gigantisch. Allein die Ermittlungsakte ist 700 Ordner dick.
Regelmäßig kommt es auch vor, dass Braun sich als organisatorisch im kollabierten Wirecard-Konzern für nicht zuständig erklärt, wenn Födisch ihn mit heiklen Sachverhalten konfrontiert. In ihrer Existenz umstrittene Drittpartnergeschäfte in Asien hätten allein in der Verantwortung seines flüchtigen Vorstandskollegen Jan Marsalek gelegen, sagt Braun in solchen Momenten. Neben Bellenhaus ist das die zweite Person, der er alle Betrügereien zuordnet.
In den nächsten Verhandlungstagen will Braun sich neben weiteren Fragen des Richters auch denen der Staatsanwaltschaft stellen. Zudem dürften die Anwälte des von ihm heftig angegangenen Kronzeugen nachbohren wollen. Die noch anstehenden Runden im Wirecard-Prozess erstrecken sich voraussichtlich bis ins Jahr 2024 hinein.