Angelman-Syndrom: Familienalltag mit einem Gendefekt
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Schauspieler André Dietz und seine Frau Shari haben vier Kinder. Ein Kind hat das Angelman-Syndrom.
© Quelle: Catja Vedder
Köln. Shari und André Dietz lernten sich 2009 kennen. 2011 heirateten sie – inzwischen haben sie vier Kinder. 2016 gingen sie erstmals mit dem noch eher unbekannten und deswegen oft falsch diagnostizierten Gendefekt ihrer Tochter Mari, dem Angelman-Syndrom, an die Öffentlichkeit, was auf viel positive Resonanz stieß. André Dietz ist Schauspieler und einem breiteren Publikum aus der TV-Serie "Alles was zählt" bekannt, Shari Dietz ist Journalistin und schreibt auf ihrem Blog über Familie, Kinder, Interieur und Design. Die Familie lebt am Kölner Stadtrand.
In eurem Buch „Alles Liebe“ geht es vor allem um euer Leben als Familie und Paar. Das ist sehr geprägt von dem seltenen Gendefekt eurer heute fünfjährigen Tochter Mari. Was hat euch motiviert, diese Geschichte öffentlich zu erzählen?
Shari Dietz: Wir wurden von vielen Menschen danach gefragt. Das Thema "Familienleben mit Behinderung" stößt offenbar auf großes Interesse. Das spüren wir bei Interviews, und das sehe ich an den Kommentaren auf meinem Blog und in den sozialen Netzwerken. Vor allem die vielen Nachrichten von betroffenen Eltern haben uns letztendlich dazu gebracht, das Buch zu schreiben.
Hat euer Buch eine Botschaft?
André Dietz: Uns hat die vor drei Jahren gestellte Diagnose Angelman-Syndrom bei Mari damals den Boden unter den Füßen weggerissen. Heute wissen wir, dass das Leben weitergeht und man es schaffen kann – als Familie und als Paar. Das ist vielleicht eine Botschaft. Außerdem würden wir gern über den seltenen Gendefekt aufklären, der nur etwa einmal bei 20 000 Geburten auftritt. Die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder ist verzögert. Meistens bleiben sie ihr Leben lang auf dem Stand eines Kleinkindes. Dazu kommt häufig Epilepsie.
Shari Dietz: Auch im Alltag auf dem Spielplatz oder in der Stadt versuchen wir, aufzuklären. Wir stören uns nicht an komischen Blicken, sondern erläutern lieber das Angelman-Syndrom. Das ist unser Beitrag in Sachen Inklusion.
Wie würdet ihr euren Familienalltag beschreiben?
Shari Dietz: Das Leben mit vier Kindern ist immer etwas chaotisch. Zwei Kinder müssen morgens in den Kindergarten, eines in die Schule. Unsere Nachmittage bestehen aus Reiten, Schwimmen und all diesen anderen Verpflichtungen von jungen Eltern. Zum Glück können wir als Familie viel Zeit miteinander verbringen, weil André dank seiner flexiblen Arbeitszeiten als Schauspieler oft zu Hause ist. Gemeinsam haben wir uns viele Routinen geschaffen. Die feste Struktur tut vor allem Mari unheimlich gut.
Welche Herausforderungen bringt Maris Gendefekt mit sich?
André Dietz: Das größte Problem ist Maris Epilepsie. Sie reißt uns immer wieder aus der täglichen Routine. Dazu kommt die Seltenheit des Gendefekts. Oft wissen die Ärzte nicht genau, wie und welche Medikamente gut wirken. Und für die ganzen Anträge, die meine Frau an unsere Krankenkasse stellen muss, könnte man einen eigenen Mitarbeiter beschäftigen. Mari selbst läuft im Alltag sehr gut mit, außer dass sie gewickelt und gefüttert werden muss und sich nur schwer mitteilen kann.
Shari Dietz: Stell dir einfach vor, dass du ein einjähriges Kind an deiner Seite hast, das 20 Kilo wiegt, sehr schnell laufen kann und viel Kraft hat. Dafür hatte sie nie eine Trotzphase und ist sehr leicht zu begeistern – egal ob für einen Spaziergang mit Hund, Eisessen in der Stadt oder den täglichen Gang in den Kindergarten.
Wie wichtig ist für euch der Austausch mit anderen Eltern? In eurem Buch schreibt ihr von einer Angelman-Syndrom-Facebook-Gruppe.
André Dietz: Der Austausch mit anderen Eltern hat uns unheimlich viel gebracht. Plötzlich konnten wir uns vorstellen, wie die Zukunft von Mari aussieht, und haben uns nicht mehr so allein mit dem Gendefekt gefühlt.
Shari Dietz: Wir haben aber auch ganz praktische Tipps bekommen. Zum Beispiel, wo es Schwimmwindeln für 20 Kilo schwere Kinder gibt, welche Ärzte sich wirklich mit dem Gendefekt auskennen oder welche Medikamente gut vertragen werden. Ohne diese vielen Ratschläge hätte sich Mari bestimmt nicht so gut entwickelt.
Welche Erfahrung habt ihr mit dem Thema Inklusion gemacht?
Andre Dietz: Anfangs dachten wir, Mari könnte einfach in die Kita ihrer Geschwister gehen. Das war aber nicht möglich, dafür fehlten dort die Möglichkeiten und das ausgebildete Personal. Heute geht sie in einen ehemals integrativen Kindergarten. Darüber sind wir sehr froh.
Shari Dietz: Dort wird sie viel besser gefördert als in einem normalen Kindergarten. Es gibt Sprachförderung, Ergo- und Physiotherapie. Außerdem ist eine Einzelfallhilfe immer an ihrer Seite und unterstützt sie im Alltag. Auch für ihre Geschwister ist es gut, mal mehr Platz und Raum für sich zu haben und nicht immer auf ihre Schwester Rücksicht nehmen zu müssen.
Wie schafft ihr es, dass kein Kind zu kurz kommt?
André Dietz: Wenn Inklusion überall so gut funktionieren würde wie in unserer Familie, gäbe es keine Probleme. Unsere Kinder empfinden Maris Behinderung als sehr normal und unterstützen uns im Alltag. Natürlich sind sie manchmal von ihrer Schwester genervt, aber das sind sie auch untereinander oder von ihren Eltern.
Shari Dietz: Dieser normale Umgang mit der Behinderung würde allen Menschen guttun. Die Geschwister nehmen in vielen Situationen Rücksicht, sie meckern aber auch ehrlich, zum Beispiel wenn Mari mal wieder alles vollgesabbert hat. Jedes Kind bekommt seine Quality-Time mit uns, am liebsten unternehmen wir aber tatsächlich alle alles gemeinsam.
Welche Wünsche habt ihr für Maris Zukunft?
André Dietz: Es sind eher kleine Wünsche – zum Beispiel, dass wir die Epilepsie endlich in den Griff bekommen. Auch selbstständig auf Toilette wird sie sicher irgendwann gehen können, genau wie mit Besteck essen. Das ist im Moment noch eine große Sauerei, klappt aber immer besser.
Shari Dietz: Ganz weit in die Zukunft gesprochen, würde ich mir ein selbstbestimmtes Leben für meine Tochter wünschen. Vielleicht gründen wir auch selbst eine Wohngemeinschaft für Menschen mit und ohne Behinderung, irgendwo auf dem Land, mit ein paar Tieren. Aber das ist bisher eher eine fixe Zukunftsidee.
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Die Tochter von Shari und André Dietz hat das Angelman-Syndrom. Darüber und über ihr Familienleben schreiben sie im Buch „Alles Liebe“ (Eden-Books, 240 Seiten, 17.95 Euro).
© Quelle: Edel-Books
Von RND / Birk Grüling