Aphasie: Wenn die Sprache verschwindet
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Durch eine Aphasie sind alle sprachlichen Fähigkeiten betroffen, nicht jedoch inneres Denken oder persönliches und allgemeines Wissen, betont der Bundesverband Aphasie.
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Sprechen, Lesen oder Schreiben: Eine Aphasie beeinträchtigt zahlreiche sprachliche Bereiche. Der prominente Fall um den Action-Star Bruce Willis hat die Sprachstörung nun in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Doch wie entsteht eine Aphasie eigentlich, was sind die Symptome und wie stehen die Heilungschancen?
Was versteht man unter Aphasie?
Unter einer Aphasie versteht man laut dem Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) Peter Berlit eine „erworbene Sprachstörung“, die im unterschiedlichem Ausmaß zu Wortfindungsstörungen, zu Sprachverständnisstörungen und sogar zu einem vollständigen Sprachverlust führen kann.
Wie kommt es zu einer Aphasie?
Die häufigste Ursache für eine erworbene Aphasie ist laut Berlit besonders bei älteren Personen ein Schlaganfall, also eine plötzliche Durchblutungsstörung im Gehirn. Es gibt aber auch noch andere Ursachen: „Jede Hirnerkrankung, die das Sprachzentrum miteinbezieht, kann zu einer Aphasie führen“, erklärt der Professor für Neurologie. Dazu gehören insbesondere bei jüngeren Menschen Schädel-Hirn-Traumata, Kopfverletzungen mit Blutungen oder auch sonstige Verletzungen des Sprachzentrums. Auch Entzündungen des Gehirns wie zum Beispiel die Enzephalitis oder auch neuro-degenerative Erkrankungen können eine Aphasie hervorrufen. So kommen aphasische Sprachstörungen beispielsweise auch bei manchen Varianten der Alzheimer-Demenz vor.
Wie wirkt sich eine Aphasie aus?
Eine Aphasie wird also durch eine Schädigung des Gehirns hervorgerufen und kann dabei verschiedene Bereiche der Sprache beeinträchtigen, wie den Wortschatz (Lexikon), die Bedeutung von Worten (Semantik), die Lautstrukturen (Phonologie) oder die Sprachproduktion. Betroffene sind durch eine Aphasie in ihrem eigenen Sprechen, aber auch im Verstehen und Lesen von gesprochener und geschriebener Sprache eingeschränkt. Derartige Defizite treten laut dem Deutschen Bundesverband für Logopädie (DBL) meist sehr plötzlich auf und können je nach Form und Schweregrad unterschiedlich ausfallen.
Welche Formen der Aphasie gibt es?
Bei Aphasien werden verschiedene Syndrome unterschieden, die sich in der Symptomatik teils stark unterscheiden, so der DBL. Eine leichte Form der Aphasie stellt dabei die „amnetische Aphasie“ dar. Das Sprachverständnis ist laut dem Bundesverband Aphasie bei dieser Aphasie-Form gut erhalten und auch das Lesen und Schreiben sind kaum beeinträchtigt. Betroffene leiden meist unter leichten Wortfindungsstörungen, können dabei aber ungeachtet vereinzelter Satzabbrüche relativ uneingeschränkt kommunizieren.
Die „Broca-Aphasie“ oder auch „motorische Aphasie“ bereitet Betroffenen besonders durch den sogenannten Agrammatismus Probleme, so der Bundesverband Aphasie – die Sprache ist also grammatikalisch entstellt. Bei Wörtern kommt es dadurch zu vielen Lautverwechslungen und Sätze können unvollständig sein. Der Sprechfluss ist bei dieser Form der Aphasie eingeschränkt und die Kommunikation schwer bis mittelgradig beeinträchtigt, allerdings können Betroffene meist Sprache gut verstehen sowie lesen und schreiben.
Eine weitere Form der Aphasie stellt die „Wernicke Aphasie“ dar. Laut DBL kommen hierbei besonders häufig Satzverschränkungen oder Satzteilverdoppelungen vor. Häufig nehmen Betroffene dieses sprachliche Defizit nur eingeschränkt wahr. Dadurch ist die Kommunikation schwer bis mittelschwer beeinträchtigt.
Die „globale Aphasie“ gilt als schwerste Beeinträchtigung. Hier prägen sogenannte Sprachautomatismen das Störungsbild, also zum Beispiel wiederkehrende Silbenfolgen oder Wörter, die nicht in den Gesprächskontext passen, sowie ein stark eingeschränkter Sprachfluss. Patientinnen und Patienten können laut dem Bundesverband Aphasie nur Teile von Worten sprechen oder verstehen. Die Kommunikation ist bei der „globalen Aphasie“ sehr schwer bis schwer beeinträchtigt.
Kann eine Aphasie behandelt werden?
Die Behandlung einer Aphasie hängt auch mit der Ursache der Sprachstörung zusammen, so Berlit. „Wenn man die häufigste Ursache nimmt, den Schlaganfall, ist das ein plötzliches Ereignis, es kommt zum Auftreten der Aphasie und dann bessert sich das allmählich.“ Das Ganze wird mit einer intensiven Sprachtherapie behandelt, die typischerweise ein Logopäde oder eine Logopädin durchführt, und die darauf zielt, dass das, was verloren gegangen ist, zumindest teilweise wieder erworben wird – sprich das Sprachverständnis oder auch die Sprachkodierung, so der Experte. „Wenn nach einem Schlaganfall aber wirklich das betroffene Hirnareal irreversibel geschädigt ist, also wenn es dort zu Nekrosen gekommen ist, ist in aller Regel eine vollständige Wiederherstellung nicht möglich“, sagt Berlit.
„Wir orientieren uns in der Sprachtherapie immer am störungsspezifischen Profil“, sagt Ruth Nobis-Bosch, Logopädin und Professorin für Angewandte Therapiewissenschaften. Bei Aphasien ist nämlich nicht nur die verbale Sprache betroffen, sondern oftmals auch ist auch die Schriftsprache, also das Lesen und Schreiben. „Daher würden wir bei jeder Aphasie immer individuell behandeln und schauen, wo Leistungen noch erhalten sind – und danach immer unsere Therapie ausrichten“, so die Professorin. Ziel der Therapie sei dabei nicht nur die reine Übung von Sprache, sondern direkt auch, die kommunikative Teilhabe zu ermöglichen.
Kann eine Aphasie geheilt werden?
Bei Hirnentzündungen ist es laut Berlit meist mithilfe einer rechtzeitig begonnenen medikamentösen Therapie möglich, eine Aphasie vollständig zu heilen. Bei Verletzungen als Aphasie-Ursache ist in der Regel hingegen nur eine unvollständige Besserung möglich – insbesondere, wenn Gewebe zerstört wurde. „Wenn das Ganze im Rahmen einer Neurodegeneration auftritt, also als Demenz-Variante, kann man tatsächlich nur die Symptome lindern, aber letztlich schreitet das Krankheitsbild voran und eine Heilung ist nicht möglich“, so der Experte.
Wie wird eine Aphasie festgestellt?
Eine Aphasie wird durch definierte Sprachtests diagnostiziert, so Berlit. Dabei werden von einem Neurologen oder einer Neurologin, Neuropsychologen oder einer Neuropsychologin oder auch von einem Logopäden oder einer Logopädin die spezifische Tests durchgeführt, die darauf zielen, eine Aphasie zu diagnostizieren und die verschiedenen Unterformen der Aphasie zu differenzieren, erklärt er. Der wichtigste und prominenteste ist dabei der Aachener Aphasie Test (AAT), erklärt Nobis-Bosch hinzu. „Für die Testdurchführung und vor allem -auswertung ist spezifisch linguistisches Wissen erforderlich.“
Wie viele Menschen mit Aphasie gibt es in Deutschland?
0,1 bis 0,2 Prozent der Bevölkerung sind laut dem Bundesverband Aphasie in Deutschland an einer Aphasie erkrankt. Mehr als 80 Prozent der Aphasien im Erwachsenenalter liegen einem Schlaganfall zugrunde, 10 Prozent werden durch Schädel-Hirn-Traumata ausgelöst, 7 Prozent durch Hirntumore und jeweils ein Prozent durch entzündliche Erkrankungen des Zentralnervensystems, Hirnatrophien oder einem Sauerstoffmangel.
Wie sollte man mit Menschen mit Aphasie umgehen?
„Ganz wichtig ist, dass man auf Betroffene „normal“ zugeht“, meint Berlit. „Viele Menschen tendieren dazu, wenn jemand sprachlich nicht mehr richtig kommunizieren kann, diese Person wie ein kleines Kind zu behandeln – also wie jemand Unmündiges“, erklärt er. Bei Betroffenen seien aber alle anderen Gehirnfunktionen wie zum Beispiel das emotionale Empfinden intakt. „Das heißt, Betroffene fühlen sich natürlich verletzt und nicht ernst genommen, wenn man sie als unmündig behandelt.“ Ebenfalls betont er, dass die nicht verbale Kommunikation bei Aphasikerinnen und Aphasikern häufig erhalten bleibt. „Das heißt, vieles lässt sich auch durch Gestik und Mimik Betroffenen gegenüber vermitteln.“
Wichtig im Umgang mit Betroffenen ist laut Ruth Nobis-Bosch zudem ein aphasiefreundliches Gesprächsverhalten. Das bedeutet, dass man dem Gesprächspartner oder der Gesprächspartnerin Zeit gibt, geduldig zuhört und abklärt, ob man zum Beispiel bei der Wortfindung helfen soll. „Viele haben den Impuls, einen Satz zu Ende zu führen. Das kann man machen, dafür sollten man jedoch vorher das Einverständnis einholen – das heißt klären, wie soll ich eigentlich mit der Kommunikationsstörung umgehen: Soll ich eingreifen oder soll ich lieber noch einmal nachfragen.“ Auch eine ruhige Umgebung kann Nobis-Bosch zufolge Betroffenen helfen, Gespräche zu führen.