Bloß “Covidioten”? “Man sollte die Akteure ernst nehmen”

Mehrere Tausend Menschen haben bei der Demonstration und Kundgebung gegen die Corona-Politik der Bundesregierung unter dem Motto "Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit" demonstriert.

Mehrere Tausend Menschen haben bei der Demonstration und Kundgebung gegen die Corona-Politik der Bundesregierung unter dem Motto "Das Ende der Pandemie – Der Tag der Freiheit" demonstriert.

Frau Nocun, am Wochenende haben in Berlin zahlreiche Menschen gegen die Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie demonstriert. Viele Beobachter waren davon überrascht, dass die Demonstranten aus ganz unterschiedlichen Milieus kamen. Hat Sie das auch überrascht?

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Nein, ehrlich gesagt nicht. Das ist eine Mischung, die wir schon bei ähnlichen Demonstrationen in den vergangenen Monaten gesehen haben. Vor allem das verschwörungsideologische Milieu hat bereits für die sogenannten Hygienedemos stark mobilisiert und die Veranstalter haben sich dabei auch nicht etwa von rechtsextremen Gruppierungen distanziert.

Wenn man die einzelnen Statements der Demonstrationsteilnehmer betrachtet, sieht man, dass unter den Teilnehmern ganz verschiedene Narrative verbreitet werden: Da gibt es Menschen, die an eine Impfverschwörung glauben. Menschen, die leugnen, dass es das Virus überhaupt gibt. Menschen, die rechtsextremes Gedankengut hegen und im Rahmen dieser Proteste verbreiten wollen. Von außen betrachtet erscheint es sehr absurd, dass all diese Menschen dann gemeinsam auf einer Demo auftauchen. Doch sie verbindet das gemeinsame Feindbild: Die Menschen glauben an eine Schwarz-Weiß-Welt, in der gilt: Wir werden angelogen, es gibt eine große Verschwörung in den Medien, in der Politik, in der Wissenschaft. Das ist der Kitt, der diese unterschiedlichen Gruppen zusammenhält.

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Die Veranstalter der Demonstration hatten angekündigt, dass mehr als eine Million Menschen nach Berlin kommen würden. Nach Angaben der Polizei waren es 17.000 Teilnehmer. Bedeutet das, dass diese Demos nicht wirklich beunruhigend sind?

Es handelt sich dabei um eine Minderheit der Bevölkerung. Mehrere Umfragen haben in den letzten Wochen gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung großes Verständnis etwa für die Maskenpflicht und andere Maßnahmen hat. Aber trotz allem ist es natürlich eine bedenkliche Entwicklung, wenn Gruppierungen in Deutschland davon sprechen, dass es das Virus gar nicht geben würde, wissenschaftliche Fakten leugnen und Akteuren aus dem rechtsextremen Milieu eine Bühne bieten. Von diesen Gruppen geht eine große Gefahr aus.

Worin besteht diese Gefahr?

Die verbreiteten Mythen werden in der Öffentlichkeit oft belächelt. Doch sie produzieren viel Leid für Angehörige oder Freunde von Verschwörungsgläubigen: Wenn ein Familienmitglied nicht an die Existenz des Virus glaubt, möglicherweise auch noch zur Risikogruppe gehört, gefährdet dieser Mensch durch sein Verhalten sich und andere. Das sollte man niemals auf die leichte Schulter nehmen.

Andererseits sind Verschwörungsideologien auch Radikalisierungsbeschleuniger. In dem Moment, in dem ich Anhängern einer Gruppe glaubhaft machen kann, dass es eine umfassende Verschwörung gibt, kann man Gewalt viel leichter legitimieren. Die Attentäter von Christchurch, Hanau oder Halle haben auch an Verschwörungsideologien geglaubt und so ihre Taten gerechtfertigt.

Sehen Sie diese Radikalisierung im Zusammenhang mit den Verschwörungstheorien rund um Corona derzeit schon?

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Es gibt dafür schon einige Beispiele. In verschiedenen Ländern haben Menschen, die glauben, Covid-19 würde durch Mobilfunkstrahlen ausgelöst, 5G-Funkmasten zerstört oder Mitarbeiter von Kommunikationsdiensten drangsaliert und angegriffen. In der rechtsextremen Szene wird die Pandemie auch als Möglichkeitsfenster angesehen, um einen “Tag X” auszulösen, also eine Art Bürgerkrieg. Außerdem sehen wir, dass zahlreiche Wissenschaftler, Virologen, aber auch Politiker, die diesen Verschwörungsideologien widersprechen, massiven Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt sind. Auf den entsprechenden Veranstaltungen kam es zu Übergriffen auf Journalisten.

Katharina Nocun ist Bürgerrechtlerin und Publizistin. Zusammen mit Pia Lamberty hat sie das Buch "Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" geschrieben. Quadriga Verlag, 352 Seiten, 19,90 €.

Katharina Nocun ist Bürgerrechtlerin und Publizistin. Zusammen mit Pia Lamberty hat sie das Buch "Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" geschrieben. Quadriga Verlag, 352 Seiten, 19,90 €.

Wie sollte die Politik darauf reagieren?

Ich würde mir wünschen, dass das Thema künftig, etwa von den Sicherheitsbehörden, ernst genommen wird. Im Fall der Reichsbürger-Gruppierung ist das erst geschehen, als es den ersten Mord an einem Polizisten gab. Erst dann hat man überprüft, ob Waffen oder Waffenbesitzscheine eingezogen werden können. Eine ähnliche Aufmerksamkeit würde ich mir nun für die verschwörungsideologische und rechtsextreme QAnon-Gruppierung wünschen, die ursprünglich aus dem US-amerikanischen Raum kommt. Ich habe aber das Gefühl, dass die Behörden noch nicht auf dem Schirm haben, dass diese Gruppierung auch in Deutschland gerade Zulauf hat. Zudem wäre es gut, wenn mehr Geld in die Unterstützung von Beratungsangeboten fließen würde.

Das sind erwachsene Menschen, die wissen müssen, welche Konsequenzen es hat, wenn sie andere Menschen zur Zielscheibe erklären und Falschmeldungen verbreiten.

Ist, wer glaubt, Bill Gates wolle allen Menschen einen Mikrochip einpflanzen, nicht einfach verrückt?

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Nein, das stimmt ganz einfach nicht. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, nicht häufiger psychische Krankheiten haben als der Durchschnitt. Vereinfacht gesagt: Jemand, der paranoid im klinischen Sinne ist, glaubt, dass die ganze Welt hinter ihm her ist. Jemand, der an eine Verschwörungserzählung glaubt, denkt, dass einige wenige mächtige Akteure hinter der ganzen Welt her sind.

Ich finde es auch grundsätzlich problematisch, Menschen die an Verschwörungen glauben, zu pathologisieren – und damit auf eine gewisse Weise zu entschuldigen. Man nimmt dem Ganzen damit auch die politische Dimension. Es ist auch eine bewusste Entscheidung, etwa an eine angebliche jüdische Weltverschwörung zu glauben. Ich würde daher auch davor warnen, beispielsweise von “Covidioten” oder “Verrückten” zu sprechen. Man sollte, die Akteure, die das verbreiten, schon ernst nehmen. Das sind erwachsene Menschen, die wissen müssen, welche Konsequenzen es hat, wenn sie andere Menschen zur Zielscheibe erklären und Falschmeldungen verbreiten.

Aus welchen Gründen beginnen Menschen, an Verschwörungen zu glauben?

Wir alle haben eine Veranlagung, an Verschwörungserzählungen zu glauben und sind unter bestimmten Umständen dafür anfällig. Ein extrem wichtiger Faktor dabei ist das Gefühl, einen Kontrollverlust zu erleben. Das kann infolge einer Pandemie ausgelöst werden, aber auch einfach durch einen Schicksalsschlag: Man wird überraschend von seinem Partner verlassen, man verliert seinen Job, erkrankt. Dinge, die uns aus der Bahn werfen, können dafür sorgen, dass wir Angst und Unsicherheit verspüren und anfälliger für diese Narrative werden. Die Verschwörungserzählung kann dann ein Hilfskonstrukt sein, mit dem man auf psychologischer Ebene versucht, wieder ein Gefühl von Kontrolle herzustellen. Man meint dann zumindest “den Plan” zu kennen, kann Schuldige benennen – das hilft anscheinend einigen Menschen, mit solchen Situationen umzugehen.

Ein anderer Faktor ist allerdings auch, dass für einige Menschen der Glaube an Verschwörungserzählungen ganz viel damit zu tun hat, wie sie sich selbst positiv in der Welt wahrnehmen. Wenn man glaubt, man ist einer der wenigen “Auserwählten”, die eine angebliche Wahrheit kennen, ein exklusives Wissen besitzen, dann erhebt man sich über sein Umfeld. Man glaubt, etwas Besonderes zu sein.

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Verschwörungserzählungen sind keineswegs harmlos.

Ist dieses Gefühl von Unsicherheit in der Corona-Krise größer – und hebt das Phänomen daher noch mal auf ein neues Level?

Es ist schwer, das quantitativ zu messen. Grundsätzlich kann man sagen, dass neue Krankheiten, Pandemien oder Epidemien schon immer von Verschwörungsmythen begleitet worden sind. Das lässt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen: Im Zuge der Pest kam es in Europa zu schrecklichen Pogromen gegen jüdische Gemeinden, weil verbreitet wurde, dass Juden angeblich die Brunnen vergiftet hätten. Daran sieht man auch wieder, dass Verschwörungserzählungen keineswegs harmlos sind.

Hat es Sinn, mit diesen Menschen weiter im Gespräch bleiben zu wollen?

Dazu muss man die verschiedenen Ebenen betrachten. Wenn man jemandem im privaten Umfeld hat, der an eine Verschwörung glaubt, macht es Sinn, das Gespräch zu suchen. Und zwar je früher, desto besser. Im Gegensatz dazu finde ich es aber extrem bedenklich, wenn beispielsweise der Ministerpräsident eines Bundeslands zu einer entsprechenden Demonstration geht und ein Gesprächsangebot macht, während es dieses Angebot bei anderen Demonstrationen wie etwa Fridays for Future oder zur Seenotrettung im Mittelmeer nicht gab. Wer Verschwörungsmythen verbreitet, hat sich von einer rationalen Diskussion in der Regel verabschiedet und auf politischer Ebene finde ich es schwierig, solchen Inhalten Raum zu geben.

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Wie kann die Regierung verhindern, dass die Gruppierungen nicht noch mehr Zulauf bekommen? Muss sie die Corona-Politik besser kommunizieren?

Es ist nicht realistisch, dass diese Gruppierungen verschwinden, wenn man nur klar und transparent genug alles erklärt. Egal wie nachvollziehbar Politik gestaltet wird, es wird immer Menschen geben, die Verschwörungsideologien verbreiten. Aber natürlich kann die Politik einen Beitrag dazu leisten, das Gefühl von Kontrollverlust zu lindern. Wir wissen zum Beispiel, dass Menschen in einem sicheren Job eine geringere Neigung haben, an Verschwörungserzählungen zu glauben. Insofern kann Sozialpolitik dazu beitragen, dass der Zulauf zu solchen Gruppen gerade in der Krise geringer ausfällt.

Man sollte direkt eingreifen, wenn man so etwas etwa hört.

Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke bei der Verbreitung?

Verschwörungsideologien sind kein neues Phänomen, das zeigt ein Blick in die Geschichte. Aber soziale Netzwerke wie Facebook oder Youtube sind ein wichtiger neuer Kanal, der von Verschwörungsideologen genutzt wird, um ihre Inhalte zu verbreiten. Besonders wenn die Algorithmen der Plattformen extreme Inhalte bevorzugen, birgt das die Gefahr, dass dadurch auch Menschen mit solchen Erzählungen in Kontakt kommen, die von sich aus nicht danach gesucht hätten. Allerdings muss man sagen, dass die Plattformen in den vergangenen Monaten sehr viel dazugelernt haben. Im Fall von Corona haben sie das Problem schnell ernst genommen und beispielsweise stärker auf seriöse Quellen verwiesen und teilweise auch Inhalte entfernt.

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Wie sollte man reagieren, wenn jemand aus dem eigenen Umfeld an eine große Corona-Verschwörung glaubt?

Man sollte direkt eingreifen, wenn man so etwas etwa hört. Gerade wenn es in einer großen Gruppe passiert, geht es auch darum, den Umstehenden zu signalisieren: “Ich teile diese Meinung nicht und finde es nicht in Ordnung, dass beispielsweise rassistische Verschwörungsmythen verbreitet werden.” Da muss man eine klare rote Linie ziehen.

Wenn man jemanden wirklich überzeugen will, macht es Sinn, ein Vier-Augen-Gespräch zu führen. Im ersten Schritt ist es erst einmal gut, nachzufragen: “Woher hast du das? Warum glaubst du das?” So kann man herausfinden, wie tief jemand schon im Kaninchenbau der Verschwörungsideologen steckt. In einem frühen Stadium kann es erfolgversprechend sein, mit Faktenchecks zu arbeiten. Bei Menschen, die in ihrem Glauben schon sehr gefestigt sind, bringt es dagegen mehr, mit Fragen zu arbeiten. Verschwörungsideologen leben in einer Welt, die Schwarz-Weiß ist, da gibt es kein Grau und auch kein Bunt. In so einem Fall kann man versuchen, dass derjenige sein eigenes Weltbild hinterfragt: “Wen genau meinst du denn mit ‚die Medien'? Die Bild? Die taz?”

Man muss jedoch sagen: Das ist ein Marathon, kein Sprint. Gerade, wenn jemand schon seit Jahren im Kaninchenbau steckt, wird man ihn nicht in einem einzigen Gespräch überzeugen können.



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