Das große Schweigen
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Was macht die Tochter da gerade am Handy? Nicht immer wissen Mütter darüber so genau Bescheid.
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Hannover. Früher war nicht alles besser, aber vieles einfacher – zum Beispiel Medienerziehung. Wer heute im Alter des typischen ARD- und ZDF-Publikums ist, also um die sechzig, ist in einer Zeit groß geworden, als es im Grunde nur diese beiden Programme gab. Um Mitternacht war Sendeschluss, Sendungen für Kinder hießen „Kinderstunde“, und es war eine echte Herausforderung, in den Kinos einen Film zu sehen, für den man noch zu jung war. Medienerziehung war quasi ein Selbstläufer.
Medienerziehung – eine Herausforderung für viele Eltern
Das änderte sich in den Achtzigerjahren, als mit Sat.1 und RTL die ersten Privatprogramme auf Sendung gingen. Weil mittlerweile viele Haushalte einen Videorekorder besaßen, wurde Jugendmedienschutz ein öffentlich diskutiertes Thema. Viele der heutigen Eltern mit jungen Kindern sind also zwar mit einem größeren audiovisuellen Angebot groß geworden als die eigenen Eltern, aber ihre Medienkindheit lässt sich nicht annähernd mit den aktuellen Verhältnissen vergleichen. Reine Kindersender gibt es hierzulande zum Beispiel erst seit 1995, als Super RTL gegründet wurde. Diese Eltern gehören auch noch nicht zu den „Digital Natives“, die in das Zeitalter des Internets hineingeboren worden sind. Medienerziehung stellt für sie daher eine Herausforderung dar, bei der sie nicht aus eigenen Erfahrungen schöpfen können. Wie gehen sie also damit um?
Wenn geredet wird, dann über die Dauer der Mediennutzung
Die erschütternde Antwort: offenbar gar nicht. So lässt sich zumindest eine Untersuchung interpretieren, die zwar bereits 2016 durchgeführt, aber erst jetzt veröffentlicht wurde. Medienthemen spielen in den Gesprächen zwischen Eltern und Kindern laut der FIM-Studie (Familie, Interaktion, Medien) anscheinend kaum eine Rolle – und wenn doch, dann geht es in erster Linie um die Dauer der Mediennutzung. Herausgeber des Berichts ist der 1998 gegründete Medienpädagogische Forschungsverband Südwest (MPFS). Eine FIM-Studie gibt es nach 2011 erst zum zweiten Mal, bekannter sind die Untersuchungen wie KIM (Kinder, Internet, Medien) und JIM (Jugend, Information, Multimedia). Da sich die verschiedenen Untersuchungen ergänzen, konnten die Forscher leicht überprüfen, ob die Antworten der für FIM befragten Eltern ins allgemeine Bild passen.
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Nur bei wenigen Geräten sind Jugendschutzprogramme installiert.
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Auf die Frage, wer für den Schutz der Kinder vor negativen Medieneinflüssen verantwortlich sei, geben 78 Prozent der Eltern an, diese Verantwortung liege bei ihnen. 13 Prozent nennen die Medienunternehmen, 8 Prozent erwarten, dass Staat und Behörden Schutz bieten. Bei der praktischen Umsetzung des Jugendmedienschutzes zeigten sich dann allerdings „gewisse Lücken“, wie die FIM-Autoren feststellen. Sie beziehen sich mit dieser Aussage auf die jüngste KIM-Studie, die besagt, dass auf 73 Prozent der von den Kindern genutzten Geräte keinerlei Jugendschutzprogramme installiert sind. Offenbar verlassen sich die Eltern darauf, dass Einrichtungen wie die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) oder die für Videospiele zuständige Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) ihre Arbeit ordentlich machen.
Über die Hälfte der Eltern ist der Ansicht, die aktuelle Form der Alterskennzeichnung von Medieninhalten sei ausreichend; nur 7 Prozent geben an, die Altersangaben nicht zu beachten. Fast ein Drittel wünscht sich allerdings eine inhaltliche Begründung der Altersklassifikation.
Über Medien wird am Familientisch kaum gesprochen
Wie gering die Rolle der Medien als familiäres Gesprächsthema ist, zeigen weitere Zahlen. Dass sich Eltern mit ihren Kindern in erster Linie über Schule oder Kindergarten unterhalten, ist nicht weiter überraschend (60 Prozent). Es folgen der Freundeskreis der Kinder (41 Prozent) sowie Alltagserlebnisse und Freizeitplanung (jeweils und 20 Prozent). Medienthemen (5 Prozent) liegen abgeschlagen auf dem letzten Platz und beschränken sich in erster Linie aufs Fernsehen, gefolgt von Tageszeitungsinhalten sowie dem Internet.
Pazifistische Eltern können „Killerspiele“ schwer akzeptieren
Wichtigster Gesprächspartner für Medienthemen ist nach Angaben der Eltern ohnehin der Partner. Einen potenziellen Konfliktstoff stellen Medien nur bei einem Fünftel der Familien dar. Meist geht es dabei um die Nutzungsdauer. Das werden die meisten Eltern noch gut aus der eigenen Kindheit kennen. Weitere Streitthemen sind die Inhalte und insbesondere die Altersbeschränkung von Medien – auch das haben die meisten Menschen unter sechzig schon mal erlebt, weil sie einst pünktlich zum „Tatort“ das Wohnzimmer verlassen mussten. Heute geht es vermutlich eher um die Gewalthaltigkeit bestimmter Video- und Computerspiele. Für pazifistische Eltern ist es nicht leicht zu akzeptieren, wenn sich der Nachwuchs die Zeit mit „Killerspielen“ vertreibt.
Mediennutzung wird häufig mit den Kindern vereinbart
In rund der Hälfte der Familien gibt es immerhin Vereinbarungen mit den Kindern hinsichtlich der Mediennutzung, und offenbar werden diese Absprachen meistens auch eingehalten. Natürlich ist auch das Teil der Medienerziehung, aber der Weg zur Medienmündigkeit darf nicht allein eine Frage der Quantität sein.
Interessant ist auch das Auseinanderklaffen von Selbst- und Fremdbild: Väter schreiben sich eine deutlich höhere Kompetenz zur Medienerziehung zu als die Mütter (40 Prozent zu 23 Prozent). Gefragt sind sie jedoch nur, wenn es um technische Aspekte geht.
Von Tilmann P. Gangloff/RND