Das verflixte Schema F
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Gelernt ist gelernt: Oft handeln wir nach dem Schema F, dass wir seit der Kindheit kennen.
© Quelle: Illustration: RND/Patan
Hannover. Gitta Jacob, Psychotherapeutin und Buchautorin, verrät im Interview, wie man den Zwängen aus Kindheitstagen entkommen kann ...
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Gina Jacob arbeitet als Psychotherapeutin in Hamburg. Ihre Bücher zur Schematherapie wurden bereits in mehr als zehn Sprachen übersetzt. Jacob entwickelt auch therapeutische Software wie das schematherapeutisch basierte Programm Priovi für Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. Anmeldung zur Studie unter priovi-studienteam@gaia-group.com
© Quelle: Daniela Möllenhoff
Sie beschreiben, dass wir viele Verhaltensmuster, die uns heute das Leben schwer machen, in der Kindheit erworben haben. Dass uns unsere Kindheit prägt, ist aber ganz natürlich. Wann wird es denn zum Problem?
Immer dann, wenn zentrale Bedürfnisse wie Sicherheit, Zuverlässigkeit oder Kontakt zu anderen über einen längeren Zeitraum und substanziell nicht gut erfüllt werden. Eine gewisse Frustration, eine Mischung aus positiven und negativen Erfahrungen sind normal – auch für die Kindheit. Wenn ich als Kind einmal umziehen muss, ist das sicher ein Ereignis, das belastend und negativ sein kann, aber auch die Widerstandskraft schult und meine Kompetenzen trainiert. Wenn ich aber dauernd umziehe und immer die Neue bin, mich immer isoliert fühle, ist es irgendwann zu viel. Bei wem es wann zu viel wird, hängt stark von der Disposition und vom Temperament ab. Dieselben Erfahrungen in der Kindheit können sich bei zwei verschiedenen Menschen ganz unterschiedlich auswirken.
Fehler macht jeder und wir sollten daraus lernen. Warum aber wiederholen wir uns in unseren Fehlern?
Menschen verhalten sich einfach immer gleich, das kennt man von sich selbst und von anderen. In der Psychodynamik spricht man von Wiederholungszwang, in der Lerntherapie wird das als Konditionierung bezeichnet. Das gibt es nicht nur bei Menschen, sondern gehört auch zu tierischem Verhalten. Hunde reagieren auf dieselbe Sache oder Person ganz stereotyp. Das scheint etwas ganz Elementares zu sein.
Dann braucht es ganz viel Ehrlichkeit und Reflexion, um überhaupt zu erkennen, dass ich immer wieder in die gleiche Falle tappe?
Ja, denn es ist ja oft ganz bequem, andere verantwortlich zu machen. Wenn ich aber zum Beispiel im Beruf immer auf die gleiche Art in Konflikte komme und in vier Jahren hintereinander aus sieben Jobs rausfliege, weil ich gemobbt werde, ist es wahrscheinlich, dass Anteile von mir eine Rolle spielen. Dann ist eine schonungslose Offenheit notwendig. Ein Muster, das sich im Laufe von Jahren oder Jahrzehnten eingeprägt hat, ist leider oft schwer zu ändern. Selbst wenn ich motiviert bin, besteht die Gefahr, dass es zumindest in abgeschwächter Form wieder auftritt.
Sie beschreiben Situationen, in denen erwachsene Menschen ganz kindlich reagieren: sich wertlos fühlen etwa, weil immer alle nach der Arbeit etwas trinken gehen, man selbst aber nicht gefragt wird. Erleben Sie so etwas oft?
Ja, und das war auch ein Grund, dieses Buch zu schreiben, weil das uns ganz schön quälen kann.
Ist Vermeidung dann eine typische Reaktion?
Die Schematherapie ist hier pragmatisch und nennt drei Arten, mit schwierigen Emotionen umzugehen: Ich kann mich unterwerfen, also wenn alle schweigen, frage ich „Möchte jemand etwas trinken? Kann ich was für euch tun?“, um mich irgendwie anzudienen. Oder ich vermeide Situationen, indem ich gar nicht hingehe oder mir Mut antrinke, um nicht nüchtern zu sein. Die dritte Art ist die Überkompensation. Das heißt, ich führe mich auf, bin laut oder mache gerade extra einen dreckigen Witz.
Kann man überhaupt abschließen mit Verletzungen aus der Kindheit?
Ein Erfolg hängt auch davon ab, welche Bedingungen Menschen in ihrem Leben haben: Führen sie eine geborgene Beziehung, sind sie in ihrer Familie glücklich, können sie Interessen pflegen, stimmt der Beruf zufrieden? Wer Menschen in seiner Umgebung hat, bei denen er sich gebunden und gut fühlen kann, hat sehr gute Bedingungen, über neurotische Anteile hinwegzukommen. Wem dieser Rahmen fehlt, dem bleibt eine dauernde Frustration erhalten. Das geht auch ein Stück mit der Realität Hand in Hand. Es gibt sicherlich Menschen, denen ein Teufelskreis droht, weil sie aufgrund ihrer Muster sich in Beziehungen so verhalten, dass sie nie gute Erfahrungen machen können. Hier muss man ehrlich sagen, wenn jemand Jahrzehnte in Beziehungen mit gewalttätigen Personen war oder auf wichtige Wünsche wie eigene Kinder kriegen, verzichtet hat, dann kann man das irgendwann auch nicht mehr ganz reparieren. Das ist tragisch.
Das heißt im Umkehrschluss, dass es wenig Chancen gibt, aus eigener Kraft dauerhaft etwas zu ändern?
Man braucht eine Umwelt, in der man langfristig positive Erfahrungen machen kann. Ein Teil der Arbeit an sich selbst besteht dann darin, die Umwelt entsprechend zu gestalten und neue Situationen aufzusuchen. Wenn ich also zur Vermeidung neige, heißt das für mich, genau das zu überwinden, nämlich zu Treffen – zum Sport oder ins Orchester – zu gehen, um neue Erfahrungen zu machen. Wenn ich das nicht tue oder daran gehindert werde, lässt sich das nur schwer oder gar nicht reparieren.
Welchen Anteil hat der äußere Druck, das ständige Vergleichen: wenn sich jemand zurückgewiesen fühlt, durch soziale Medien aber sieht, dass alle anderen – zumindest scheinbar – ein tolles Leben haben?
Ich glaube, das spielt eine große Rolle, auch wenn es dazu in der klinischen Psychologie keine gesicherten Erkenntnisse gibt. Vieles entsteht eben nicht nur in der Kindheit, sondern in der Adoleszenz, wenn soziale Vergleiche eine wichtige Rolle spielen. Wer dafür anfällig ist, den prägt das auch im Erwachsenenalter.
Es gibt mittlerweile viele Bücher zu psychischen Problemen. Für wen ist „Raus aus Schema F“ gedacht?
Ich habe das Buch für Menschen geschrieben, die sich dafür interessieren, sich mit ihrer Psyche zu beschäftigen, die über sich und andere nachdenken. Das Konzept ist leicht verständlich und griffig, viele werden sich in den Beispielen wiedererkennen. Es ist für psychologisch interessierte Leser gedacht, die sich und andere besser verstehen wollen. Es muss nicht jeder alle Übungen machen, und dennoch wird die Lektüre aufschlussreich sein.
Stichwort Übungen, eine Aufgabe im Buch lautet: Stelle dir deinen 80. Geburtstag vor. Was hat es damit auf sich?
Es geht darum, sich zu fragen, was wichtig ist im Leben: Will ich ganz viel arbeiten oder will ich Zeit mit meiner Familie verbringen? Was sind meine Werte? Die Leser werden aufgefordert, sich vorzustellen: Wie und mit welchen Menschen wird der 80. gefeiert, was liegt hinter mir, was wird über mich erzählt? Es ist tatsächlich eine Übung, die auch ich selbst immer wieder mache, zum Beispiel wenn ich im Leben vor Entscheidungen stehe oder wenn ich unzufrieden bin, wie es gerade läuft. Das Tolle ist wirklich, dass man sofort eine andere Perspektive einnimmt und spürt, woran einem etwas liegt. Diese Übung passt fast immer.
Auf dem Buchrücken steht: „Wer bin ich und wenn ja, kann ich auch anders?“ Kann ich immer anders?
Immer – das ist unrealistisch. Aber in der Regel kann ich anders, auch wenn es anstrengend werden, Kraft und Mut kosten kann. Ich kann etwas tun.
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Gitta Jacob: „Raus aus Schema F. Psychische Muster erkennen und die eigene Persönlichkeit entfalten“, Beltz, 264 Seiten, 16,95 Euro.
© Quelle: Beltz
Von Jana Brechlin/RND