Kritik kam meist von Männern

Forscherin erklärt, warum Korsetts besser als ihr Ruf sind

Beschäftigt sich mit Korsetts: Forscherin Sarah Bendall.

Beschäftigt sich mit Korsetts: Forscherin Sarah Bendall.

Melbourne/München. Eines der ältesten erhaltenen Korsetts gehörte der deutschen Pfalzgräfin Dorothea Sabina von Pfalz-Neuburg. Es stammt aus dem Jahr 1598 und ist heute im Bayerischen Nationalmuseum in München. Obwohl die Spuren der ersten Korsetts eigentlich nach Spanien führen, so ist das Schnürleibchen Wannebergs das älteste, das die Zeiten überdauert hat.

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Gleichzeitig ist Deutschland aber auch das Land, das den Niedergang des Korsetts einläutete. Denn es war ein deutsches Unternehmen, das 1912 mit dem ersten in Serie gefertigten Büstenhalter „die Frauen vom Korsettpanzer“ befreite, wie es einst in einem „Spiegel“-Artikel hieß.

Korsetts: Eine Rebellion gegen Gott?

Genau solche Formulierungen missfallen der australischen Historikerin Sarah Bendall. Während ihrer Forschungsarbeiten über Korsetts hat sie mehrere der einst so beliebten Kleidungsstücke per Hand nachgenäht. Die aufwendige Handarbeit – an jedem Korsett arbeitete sie mehrere Wochen – war auch deswegen notwendig, da es vor allem im 16. und 17. Jahrhundert an weiblichen Stimmen mangelt, die sich über das Kleidungsstück geäußert haben.

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„Die ersten Frauenstimmen tauchen erst im 18. oder 19. Jahrhundert auf“, berichtete die australische Forscherin in einem Videotelefonat. „Eine Frau erwähnte ein Korsett in einem Brief aus dem 18. Jahrhundert, in dem sie schrieb, sie fühle sich ohne nicht richtig angezogen.“ Häufiger werden Korsetts dagegen von Männern erwähnt – in Gerichtsverhandlungen oder vonseiten einiger Moralisten oder religiösen Eiferern, die eine frauenfeindliche Agenda fahren. „Diese Männer warfen den Frauen vor, ihren Körper in seiner natürlichen Form zu verändern, anstatt mit dem zufrieden zu sein, was Gott ihnen gegeben hat.“ Einige warfen den Frauen vor, mit Korsetts gegen Gott zu rebellieren, andere, dass sie damit versuchen würden, zu verstecken, dass sie in Wirklichkeit dicker oder hässlicher seien.

Aufwendige Handarbeit

Das meiste davon müsse man aus heutiger Sicht mit viel Vorsicht genießen, meinte Bendall. „Deshalb dachte ich: Ich muss die Kleidungsstücke originalgetreu nachbauen, um sie wirklich verstehen zu können.“ Letzteres war schwieriger als gedacht, denn Bendall wollte so nah an den historischen Materialien und Methoden bleiben wie nur möglich. „Beispielsweise verwendete ich Seide und Leinen anstatt Polyester oder Baumwolle“, berichtete sie. Problematisch wurde es dagegen beim Fischbein, das sich in den einzelnen Strängen des Korsetts befindet. Hier wurden früher Walbarten verwendet – ein Material, das heute natürlich nicht mehr verarbeitet werden darf. „Stattdessen habe ich synthetische Walbarten von einem Hersteller in Deutschland verwendet“, sagte die Australierin.

Im Vergleich: Hier ist zu sehen, wie ein Korsett den Körper formt.

Im Vergleich: Hier ist zu sehen, wie ein Korsett den Körper formt.

Beim Eigentest erlebte Bendall dann eine positive Überraschung. Zwar seien Korsetts aus heutiger Sicht sicherlich nicht das bequemste Kleidungsstück, das man sich vorstellen könnte, meinte die Forscherin. „Sie sind eben nicht so elastisch wie unsere heutige Kleidung.“ Doch sie anzuhaben, sei auf alle Fälle „interessant“. Denn tatsächlich erzeuge man mit einem Korsett eine bessere Haltung. „Man fühlt sich mächtiger, denn man steht aufrechter da, mit den Schultern zurück“, beschrieb sie das Erlebnis. Letzteres habe die Kleidungsstücke Ende des 16. Jahrhunderts nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern aus dem Adel beliebt gemacht, die dadurch ihre Position unterstreichen wollten.

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Wieder in Mode

Zusätzlich dazu würde der Schnitt der Korsetts tatsächlich eine optische Illusion erzeugen. „Der Oberkörper sieht schlanker und länger aus“, sagte Bendall. Mit einer Unterdrückung der Frau – wie kritische Stimmen im 19. und 20. Jahrhunderts das immer wieder behaupteten – hatte das Kleidungsstück dagegen nach Meinung der Forscherin deutlich weniger zu tun, als dies bisher porträtiert wurde. Ihre Kritik gilt eher den Schulterriemen, die manche der Korsetts hatten. Letztere würden die Bewegung der Arme ungünstig einschränken, wie sie meinte.

Bendall ist überzeugt, dass das Korsett eine gute Chance hat, wieder mehr in Mode zu kommen. Die ersten Schritte dafür seien bereits getan, meinte sie. Korsetts sind nicht zuletzt durch Serien wie „Bridgerton“ wieder populär geworden, sondern auch durch die Designerin Vivian Westwood oder Prominente wie Katy Perry, die sich häufiger im Korsett zeigt. „Völlig verschwunden war die Idee des Korsetts ohnehin nie“, meinte Bendall. „Schließlich tragen wir ja auch Shapewear, also Höschen, die den Bauch kaschieren.“ Das sei letztendlich ja ein recht ähnliches Konzept.

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