Luftfahrtexperte Großbongardt: „Cyberangriffe im Flugverkehr sind sehr unwahrscheinlich“
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Der IT-Ausfall der Lufthansa hat zu großen Störungen am Flughafen Frankfurt und weltweit geführt (Archivbild).
© Quelle: Arne Dedert/dpa
Ein Baggerfahrer legt den Flughafen Frankfurt lahm – so in etwa lässt sich der Mittwoch zusammenfassen. Bei Bauarbeiten der Deutschen Bahn wurde ein Kabel beschädigt, das wiederum für die IT der größten deutschen Airline Lufthansa notwendig ist. Check-in und Boarding können ohne diese Technik nicht abgewickelt werden. Am Flughafen Frankfurt landen keine Flugzeuge mehr, zahlreiche Verbindungen sind gestrichen, Reisende stranden oder müssen auf die Bahn ausweichen.
Für die Lufthansa und den Frankfurter Flughafen ist das ein GAU, sagt Heinrich Großbongardt, einer der bekanntesten und renommiertesten Luftfahrtexperten Deutschlands. Der Hamburger arbeitete bereits für Boeing und die Pilotenvereinigung Cockpit und berät mit seiner Firma Expairtise Communications Airlines, Flughäfen und Zulieferer weltweit. Er verrät im Interview, warum die IT in der Luftbranche so vulnerabel ist und was am Himmel los ist, wenn Hunderte Flüge umgeleitet werden müssen.
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Herr Großbongardt, warum ist das IT-Netz im Flugverkehr so sensibel?
Die Prozesse, die notwendig sind, um ein Ticket zu verkaufen, damit der Passagier auf dem Flugplatz in dem Flugzeug sitzt, das er gebucht hat, dass ein Flugzeug auch abhebt, das ist eine Komplexität, wie sie in wenigen anderen Branchen vorkommt. Die Airlines waren in den 60er- und 70er-Jahren mal Vorreiter in IT-Entwicklung, bei der Einführung von IT und Großrechnern, eben weil das im Luftverkehr so komplex ist.
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Heinrich Großbongardt glaubt nicht an erfolgreiche Cyberangriffe auf die Luftfahrtbranche.
© Quelle: picture alliance / dpa
Das ist heute nicht mehr so?
Nein, das ist nicht mehr so. Das große Problem ist: Wenn ich so ein komplexes System habe und das ersetzen will durch ein neueres, dann ist das nicht so einfach und vor allem ist das mit großem Aufwand und hohen Kosten verbunden. Wie man auch aktuell sieht, kostet es richtig viel Geld, wenn da mal etwas ausfällt. Deshalb gehen das viele heute konservativ an, manch einer sagt: zu konservativ.
Im aktuellen Fall bei der Lufthansa wurde ein Kabel durchtrennt und dadurch ist die IT, die für Check-in und Boarding benötigt wird, ausgefallen. Wieso geht nichts mehr, wenn diese eine Software nicht geht?
Im Flugverkehr ist es nicht wie bei der U-Bahn egal, wer einsteigt und wer wo sitzt. Aus Sicherheitsgründen muss sichergestellt sein, dass der Passagier, der das Ticket gekauft und diesen Sitzplatz in diesem Flugzeug gebucht hat, diesen auch tatsächlich bekommt. Auf der anderen Seite muss ebenfalls aus Sicherheitsgründen gewährleistet sein, dass der Passagier nicht jemand anderes ist. Es darf schlicht niemand, der nicht berechtigt ist, in den Sicherheitsbereich gelangen. Da geht es um hohe Security-Implikationen und das macht den Ausfall dieses speziellen Teils der IT, mit Check-in und Boarding, noch einmal ganz besonders sensibel.
Betroffen ist in Frankfurt aktuell nur die IT der Lufthansa. Trotzdem ging am Flughafen Frankfurt kaum mehr etwas, stundenlang waren keinerlei Landungen möglich. Wie hängen das Netz der Lufthansa und die des Flughafens zusammen?
Das sind zwei komplett separate Systeme, zwischen denen allerdings ein Austausch bestimmter Daten stattfindet. Die Systeme von Lufthansa und Fraport als Betreiber des Flughafens in Frankfurt hängen nicht zusammen, das Problem hier ist ein reines Lufthansa-Problem. Das betroffene System wird auch nicht von Airlines genutzt, die nicht zur Lufthansa-Gruppe gehören. Jede Fluggesellschaft hat da eigene Systeme, weil es kritische Infrastruktur ist und damit auch wettbewerbsrelevant.
Konzernweiter IT-Ausfall bei der Lufthansa sorgt für Flugausfälle
Betroffen davon seien Systeme für das Einchecken und Boarden, sagte ein Lufthansa-Sprecher. Es komme zu massiven Verspätungen und Flugstreichungen.
© Quelle: Reuters
Das heißt, für Lufthansa ist das jetzt besonders bitter, weil es am Standort Frankfurt passiert ist?
Für Lufthansa, aber auch für Fraport, ist das eine Art GAU. Wahrscheinlich wäre es für Lufthansa ähnlich bitter, wenn es in München passiert wäre, aber es betrifft eines der beiden zentralen Drehkreuze mit enorm hohem Passagierdurchlass und das an der Verknüpfungsstelle von Kurz- und Langstrecke. Die Auswirkungen sind extrem weitreichend.
In Frankfurt landen pro Tag im Schnitt 290 Flugzeuge. Nun werden viele Flugzeuge auf andere umliegende Flughäfen umgeleitet. Wer entscheidet, welches Flugzeug wohin umgeleitet wird, und haben die anderen Flughäfen einfach so die Kapazität, das aufzufangen?
Es gibt Abläufe. Jedes Flugzeug muss ohnehin einen Ausweichflughafen angeben, schon aus Sicherheitsgründen. Das sind im Umkreis von Frankfurt beispielsweise München, Stuttgart oder Düsseldorf. Die Besatzung des Flugzeuges ist vorbereitet auf so einen Fall, es ist quasi Routine. Landebahnen sind manchmal auch wetterbedingt oder aus anderen technischen Gründen gesperrt. Die Entscheidung, ob der Flughafen komplett für Landungen gesperrt wird, wird in Zusammenarbeit zwischen der Fraport und der Deutschen Flugsicherung getroffen. Letztere gibt dann das Signal: Hier geht nichts mehr, hier wird die Landebahn gesperrt oder es dürfen nur noch selektierte Flüge landen.
Was passiert jetzt im Luftraum, herrscht da ein Durcheinander, wer wohin fliegt, weil sich Flugzeuge beim Umweg kreuzen?
Nein, Chaos im Himmel gibt es sicherlich nicht. Die Crews erhalten die Information, dass die Landebahn gesperrt ist, sehr frühzeitig. Bei einem Flug aus Nordamerika kommend erfahren die Piloten das in der Regel schon, wenn sie noch über dem Atlantik sind. Das ist ein Routineverfahren. Dass ein Baggerfahrer ein Kabel durchtrennt und die IT lahmlegt, ist sicher keine Routine. Aber dass ein Flughafen beispielsweise wetterbedingt gesperrt werden muss oder die Zahl der Landungen, die möglich sind, wegen schlechten Wetters stark reduziert werden muss, sodass Flugzeuge andere Flughäfen anfliegen müssen, das ist ein Routineverfahren. Da gibt es etablierte Abläufe, wie man so etwas glatt hinbekommt.
Der Fehler wurde im aktuellen Fall schnell gefunden. Wie lange wird es erfahrungsgemäß dauern, bis der Flugbetrieb sich wieder normalisiert?
Erfahrungsgemäß dauert es zwei bis drei Tage, nachdem das Problem behoben ist, also die IT wieder läuft. Das passiert dieses Mal also wohl gerade rechtzeitig zum Beginn der Streiks am Freitag.
Wenn wir über die IT im Flugverkehr sprechen, sprechen wir nicht nur vom Boden, sondern auch von der Luft. Laut einer Umfrage sind Piloten einer Boeing 777 nur noch sieben Minuten aktiv im Cockpit. Wie viel Einfluss haben Piloten an Bord noch?
Die Piloten haben zu jeder Zeit des Fluges die volle Kontrolle. Die IT im Flugzeug ist stark abgesichert, Stichwort: Cyberterrorismus. Es gibt immer mal wieder Behauptungen, dass sich jemand über etwa das Bordunterhaltungssystem reinhacken könnte, doch das ist alles Blödsinn. Da gibt es keine Übergänge. Die Flugsicherheitssysteme an Bord sind hermetisch abgeriegelt.
Wenn es solch enorme Sicherheitsvorkehrungen gibt, bedeutet das auch, dass es immer wieder Versuche gibt, die Elektronik im Luftverkehr anzugreifen?
Definitiv, man sieht die Verletzlichkeit. Man wäre naiv zu glauben, dass solche Angriffe nicht versucht werden. Der Luftverkehr war immer schon Ziel von beispielsweise Entführungen, Bombenanschlägen und Terroranschlägen. Und das Ganze lässt sich natürlich auch im Cyberbereich mühelos weiterdenken.
Wie wahrscheinlich sind solche Cyberattacken und Hackerangriffe im Flugverkehr?
Sehr unwahrscheinlich.
Warum? Ist das IT-Netz so gut gesichert?
Die IT und die Rechner im Luftverkehr gehören zu den am besten gesicherten überhaupt. Das lässt sich vergleichen mit etwa Atomkraftwerken. Zumindest, was den Kern des Ganzen angeht. Dass irgendwo eine Datenbank mit Passagierdaten nicht ganz so gut gesichert ist, das ist für mich gut vorstellbar. Aber alle Daten, die für die sichere Abwicklung eines Fluges notwendig sind, die Passagier- und Ticketinformationen, die sind hochgesichert. Ich weiß noch, als die Lufthansa ihr Rechenzentrum noch in der Nähe des Flughafens Frankfurt hatte. Das waren fünf Stockwerke unter der Erde mit Notstromaggregaten, die für mehrere Tage den gesamten Betrieb hätten aufrechterhalten können.
Bei einer IT-Panne wie jetzt kommt wohl auch die Frage auf: Was bedeutet das für menschenlose Cockpits? Die Idee, dass Flugzeuge selbstständig fliegen, dass wir uns mehr auf die Technik verlassen, ist ja nicht neu.
Darüber kann man nur spekulieren. Diese Systeme gibt es ja noch nicht. Es gibt die Diskussion, weil Piloten teuer sind und Airlines auch ein wirtschaftliches Interesse haben. Aber wir sind noch mindestens 15 Jahre von einer Realisierung entfernt. Aber selbst dann: Diese Systeme sind nicht allein abhängig von einer Datenverbindung zum Boden. Die funktionieren weitestgehend autonom. Das heißt, ein solcher Ausfall wie nun in Frankfurt wäre eher unkritisch.