Nahrungsergänzungsmittel: Sinnvoll oder schädlich?

Die Präparate dürfen bis zu 50 Prozent von den angegebenen Mengen abweichen.

Die Präparate dürfen bis zu 50 Prozent von den angegebenen Mengen abweichen.

Berlin/ Düsseldorf. Zum Jahreswechsel haben gute Vorsätze Hochkonjunktur, und mehr auf die Gesundheit zu achten, steht für viele Menschen weit oben auf der Liste. Nahrungsergänzungsmittel erscheinen da als sinnvolle Unterstützung. Je nach Inhaltsstoff sind ihre Wirkversprechen vielfältig: mehr Vitalität, bessere Immunabwehr und größere Leistungsfähigkeit bis hin zu weniger Schmerzen, Gewichtsabnahme und schönerer Haut. Tatsächlich vertrauen immer mehr Deutsche auf die Kraft von Pillen, Pulvern und Flüssigkeiten, die teils in Apotheken und Drogerien, teils per Telefon und Internet angeboten werden. Doch bringen die Mittel wirklich gesundheitliche Vorteile?

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„Studien haben bisher nicht den Nachweis erbracht, dass die Folgen eines ungünstigen Ernährungsverhaltens durch Einnahme von Vitaminpräparaten oder anderen Nahrungsergänzungsmitteln ausgeglichen werden können“, sagt Silke Restemeyer von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Dem fehlenden Nutzen der Einnahme von Vitaminpräparaten stehe zudem ein Gesundheitsrisiko durch zu hohe Zufuhrmengen gegenüber. Ferner seien die meisten Menschen in Deutschland ausreichend mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgt.

Unkontrollierte Einnahme riskant

Lediglich für bestimmte Risikogruppen würden sich Nahrungsergänzungsmittel (NEM) empfehlen, sagt Restemeyer: So sollten etwa Schwangere und Stillende Jod und bei nachgewiesenem Eisenmangel auch Eisen einnehmen, Veganer Vitamin B12, und Menschen, die bei Sonnenschein kaum draußen seien, Vitamin D. Für die Gesamtbevölkerung rate die DGE außerdem zur Verwendung von jodiertem und fluoridiertem Salz.

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Nahrungsergänzungsmittel sollte man nur nehmen, wenn wirklich ein Mangel vorliegt und keinesfalls präventiv.

Kristina Norman, DGE

Kristina Norman vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) führt aus, dass es bestimmte Krankheiten und Lebensphasen gebe, die die Nutzung von Nahrungsergänzungsmitteln erforderten. Allerdings sei bei der Dosierung Vorsicht geboten, so die Ernährungsforscherin, die an der Charité Berlin die Arbeitsgruppe Ernährung und Körperzusammensetzung leitet. „Nahrungsergänzungsmittel sollte man nur nehmen, wenn wirklich ein Mangel vorliegt und keinesfalls präventiv.“

Tatsächlich könne der unkontrollierte Konsum solcher Mittel sogar Risiken bergen. „Zum einen besteht die Gefahr von Wechselwirkungen, nimmt man mehrere Mittel, zum anderen können Überdosierungen auftreten“, warnt die Expertin. So würden Studien nahelegen, dass eine regelmäßige sehr hohe Calciumaufnahme aus derartigen Präparaten zu einer erhöhten Sterblichkeit führe. Hinzu komme, dass die Informationen auf den Packungen nicht immer stimmten: „Die Präparate dürfen bis zu 50 Prozent von den angegebenen Mengen abweichen“, erläutert Norman.

Verantwortung liegt bei den Herstellern

Die Angaben zu Mengen an Vitaminen, Provitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen, Fettsäuren, Eiweißen, Kohlenhydraten oder sonstigen Inhaltsstoffen wie probiotischen Kulturen oder Algen pro Tagesdosis sind vorgeschrieben. Und das Etikett muss die empfohlene tägliche Verzehrmenge, die nicht überschritten werden sollte, ebenso enthalten wie den Hinweis, dass Nahrungsergänzungsmittel eine ausgewogene Ernährung nicht ersetzen können. Allerdings gelten die Präparate gesetzlich nicht als Arzneien, sondern als Lebensmittel. Entsprechend unterliegen sie nicht den strengen Tests und Qualitätssicherungsprozessen wie Medikamente vor der Markteinführung.

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Die Verantwortung für ihre Sicherheit liegt bei Herstellern und Vertreibern. Nahrungsergänzungsmittel müssen beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit mit Angaben zu Zutaten und Fotos der Verpackung angezeigt werden. Das Bundesamt gibt die Meldung an die Landesbehörden weiter, diese wiederum an die kommunalen Überwachungsbehörden, die die Produkte dann stichprobenartig kontrollieren.

Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomt

Doch der Markt für NEM boomt, jedes Jahr kommen unzählige neue Produkte auf den Markt. „Die Behörden sind schon jetzt überfordert“, kritisiert Angela Clausen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (NRW). Hinzu komme, dass die Lebensmittelüberwachung bis vor Kurzem keine anonymen Proben zur Kontrolle im Internet kaufen oder vor Gericht verwenden durfte.

Dabei wächst gerade das Onlineangebot besonders stark. Viele Hersteller haben Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Instagram entdeckt, um vor allem jüngere, fitnessbegeisterte Menschen anzusprechen. Ihnen versprechen sie mit Proteinpulvern, Pre- und Probiotika oder Adaptogenen ein gesünderes Leben. Letztere umfassen Pflanzenstoffe – für Clausen ein Bereich, der besonders wenig reglementiert ist: „Für Nahrungsergänzungsmittel oder Lebensmittel im Allgemeinen ist klar definiert, welche Gesundheitsversprechen gemacht werden können“, sagt die Expertin. Für Pflanzenstoffe stünden solche Regulierungen noch aus.

Gerade diese sogenannten Botanicals würden sich speziell an jene richten, die natürliche Mittel wollten und diese auch als Ersatz für Medikamente sähen: „Da wird etwa das Kräuterwissen von Hildegard von Bingen angesprochen, ohne irgendwelche Wirknachweise zu bringen“, sagt Clausen. Auch DIfE-Expertin Norman betont, dass Labels wie „ganz natürlich“ oder „aus der Pflanze“ nicht gleichzusetzen seien mit „harmlos“: „Belladonna ist auch eine Pflanze, aber bekanntlich giftig.“

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Jeder Dritte nimmt NEM ein

Neuere Ergänzungspräparate nehmen demnach oft Anleihen aus der Alternativmedizin und verweisen dabei etwa auf Kulturen aus China oder Indien. „Es werden dann bestimmte Pflanzen genannt, die dort traditionell verwendet werden, aber die NEM enthalten unter Umständen nur einen isolierten Wirkstoff“, so Norman.

Sie unterstreicht: „Der Verweis auf eine andere Kultur ist noch keine Evidenz, die man als Wissenschaftler aber braucht, um tatsächliche Wirkungen beurteilen zu können.“ Trotz ausstehender wissenschaftlicher Belege greifen immer mehr Menschen zu Nahrungsergänzungsmitteln. So nimmt in Deutschland jeder dritte Erwachsene ein solches Präparat, jeder vierte sogar mehr als eines pro Tag. Die Hersteller erzielten allein durch den Verkauf in deutschen Apotheken 2018 laut Statistikdienstleister IQVIA einen Umsatz von 2,1 Milliarden Euro – eine Steigerung seit 2014 um jährlich knapp 6 Prozent.

Verbraucherzentrale fordert Zulassungspflicht für NEM

Um etwas Licht in den Dschungel der verschiedenen Präparate zu bringen, bietet die Verbraucherzentrale NRW das Portal „Klartext Nahrungsergänzung“ an. Es informiert in einer stetig wachsenden Liste über viele Inhaltsstoffe und warnt vor bestimmten Produkten und Wirkstoffen. „Aber unsere Warnungen umfassen ja auch nicht alles“, beschreibt Clausen. Daher fordert die Verbraucherzentrale eine Zulassungspflicht für Nahrungsergänzungsmittel, zumindest aber gesetzlich vorgeschriebene Höchstmengen, eine Positivliste für Pflanzenstoffe sowie eine öffentliche aktuelle Datenbank jener Präparate, die angezeigt wurden.

Pillen, Pulver und Co. sollen oft das schlechte Gewissen wegen zu viel Fast Food, zu wenig Bewegung und Co. bekämpfen.

Angela Clausen, Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen

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Ein weiteres Instrument: Durch Aufklärung ließen sich viele Versprechen der Hersteller besser einordnen. So bewerben einige ihre Produkte damit, dass die Nährstoffzufuhr die Referenzwerte der entsprechenden Nährstoffe in Deutschland unterschreite. „Die Referenzwerte geben jene Werte an, die nahezu alle Gruppen der Bevölkerung für ein gesundes Leben brauchen“, führt DGE-Mitarbeiterin Restemeyer aus. „Ein Unterschreiten der Referenzwerte bedeutet also noch keinen Mangel.“

Eine derartige Kommunikation der Hersteller spiele mit Ängsten der Verbraucher. Besonders kritisch sei das, ergänzt Ernährungsexpertin Clausen, wenn Menschen mit bestimmten Leiden oder der Angst davor – etwa Arthrose, Demenz und Arteriosklerose – angesprochen würden oder aber Patienten, die als austherapiert gelten würden.

NEM ersetzen keine ausgewogene Ernährung

„Pillen, Pulver und Co. sollen oft das schlechte Gewissen wegen zu viel Fast Food, zu wenig Bewegung und Co. bekämpfen“, fasst Clausen zusammen. DIfE-Expertin Norman beobachtet zudem einen gewissen Druck, sich auch im wachsenden Stress des Alltags gesund zu ernähren: „Angesichts dessen kann ich schon verstehen, wenn Menschen zu solchen Präparaten greifen.“ Für eine ausreichende Deckung des Nährstoffbedarfs reicht es laut DGE aber, bevorzugt Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zu verzehren.

Eine derartige Ernährung hat einen weiteren Vorteil: „Mit Blick auf bestimmte Nährstoffe kann man sich über die Ernährung kaum überdosieren, mit isolierten Präparaten aber schon“, so Norman. Nichtsdestotrotz könne es Lebensumstände wie etwa Armut geben, die eine solche Ernährung erschwerten: „Da käme es mir verlogen vor, zu sagen, die sollen einfach ordentlich essen.“ Die Wissenschaftlerin empfiehlt, im Zweifelsfall eine Ernährungsfachkraft oder eine Ärztin aufzusuchen.

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RND/dpa

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