Vassiliadis sorgt sich um Standort Deutschland
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Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, beklagt einen wirtschaftsfeindlichen Zeitgeist in Deutschland
© Quelle: imago/localpic
Hannover. Die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) fordert von der neuen Regierung weitreichende Reformen, um den Industriestandort Deutschland zu stärken. Es gebe hier einen viel größeren Reformbedarf, als die derzeit so günstigen Wirtschaftsdaten vermuten lasse, erklärte IG BCE-Boss Michael Vassiliadis in Hannover. Dazu gehöre unter anderem ein Neustart der Energiewende, diese sei „völlig aus dem Ruder gelaufen“.
Der Gewerkschaftsführer geiselte einen „Zeitgeist, der Wirtschaft und Industrie pauschal übertriebene, arrogante Profitgier unterstellt“. Er nahm in diesem Zusammenhang auch Kampagnen von Umweltorganisationen aufs Korn. Diese stilisierten „Themen zum Glaubenskampf“, bei denen es auf eine sachliche Diskussion ankäme. „Das ist ihr Geschäft – nur so können sie die Spendenmillionen einsammeln, die sie dringend brauchen“, erklärte der streitbare Gewerkschafter. Als Beispiele nannte er die Diskussionen um Kohlekraftwerke, das Pflanzenschutzmittel Glyphosat und den Dieselmotor.
Es werde nur noch über Ausstiege, Verbote und Reglementierungen geredet statt über Innovation, Investition und Modernisierung. Diese Aufgabe sieht der Gewerkschafter bei einer schwarz-roten Koalition in wesentlich besseren Händen als bei einer „Jamaika-Koalition“ aus CDU/CSU, FDP und den Grünen.
Eine neue Große Koalition müsse die „großen Zukunftsfragen des Landes thematisieren“. Dazu gehören die „gigantischen Verzerrungen“ durch die Energiewende. Die dadurch ausgelösten und noch zu erwartenden Kosten summierten sich auf eine halbe Billion Euro, womit man Investoren „Traumrenditen“ mit Wind- und Sonnenstromanlagen sichere. Bezahlen müssten dies die Kunden der Energieversorger über ihre Stromrechnung.
Vassiliadis fordert von der neuen Regierung eine klare Priorität für den Ausbau der Stromnetze und der Speicheranlagen sowie ein Ende der „Förderung mit der Gießkanne“. Diese sollte von der EEG-Umlage, die die Stromverbraucher mit ihrer Rechnung bezahlen, auf eine steuerfinanzierte Lösung „mit sozialer Komponente“ umgestellt werden. Außerdem müssten die Bereiche Verkehr und Raumheizung einen größeren Beitrag zur Kohlendioxid-Einsparung leisten.
Die IG BCE fordert aber auch Reformen in der Arbeits- und Sozialpolitik. Der der SPD angehörende Vassiliadis nannte ein Rückkehrrecht für Teilzeitarbeiter in Vollzeitbeschäftigung, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, eine Rentenreform sowie eine „Bürgerversicherung“ statt „Zwei-Klassen-Medizin“ – Forderungen, die auch die SPD in einer künftigen Regierung durchsetzen will.
Für die kommenden Tarifrunde deutete der Gewerkschafter einen harten Kurs an. Angesichts der glänzenden Lage der Chemieindustrie sei es „Zeit für Umverteilung“. Die Gewerkschaft werde sich also nicht mit einem Lohnplus zufriedengeben, das nur die Inflation und den Produktivitätsfortschritt berücksichtigt. Was konkret die IG BCE will, wird im April festgezurrt.
“US-Reform nicht unterschätzen“
Kürzlich haben die USA eine ziemlich radikale Steuerreform für Unternehmen beschlossen – und Gewerkschafter Michael Vassiliadis warnt davor, die Folgen für Deutschland zu unterschätzen. Dadurch würden Investitionen in den USA „offenkundig attraktiv“. Dies könnte dazu führen, dass auch deutsche Konzerne künftig eher in den USA investieren. Deutschland müsse darauf reagieren, zumal auch die Energiepreise dort viel günstiger seien als hierzulande. „Ich will nicht sagen, dass wir alles machen müssen wie die Amerikaner, aber wir müssen etwas machen“, sagte der Gewerkschaftsführer.
Von Albrecht Scheuermann