VW: Wir haben den Kapitalmarkt rechtzeitig informiert
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Die Diesel-Affäre um manipulierte Abgasmessungen könnte für VW teuer werden.
© Quelle: imago/Christian Ohde
Hannover. Der heutige Volkswagen-Aufsichtsratschef und frühere Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch ist noch kurz vor Bekanntwerden des Abgasskandals in den USA von Risiken von höchstens 150 Millionen Euro ausgegangen. Das geht aus der Klageerwiderung von VW im Musterverfahren zu Aktionärsklagen im VW-Abgasskandal hervor, die der HAZ in wesentlichen Teilen vorliegt.
Es habe es keine konkreten Anhaltspunkte für eine Kursrelevanz der Affäre gegeben, teilte Volkswagen am Donnerstag dazu mit - bis die US-Umweltbehörden am 18. September 2015 unerwartet mit ihren Anschuldigungen an die Öffentlichkeit gingen. Darauf komme es in der Haftungsfrage gegenüber Investoren im Kern an.
Mit der am Mittwoch eingereichten Klageerwiderung im Musterverfahren beim Oberlandesgericht Braunschweig stellt Volkswagen die Weichen für seine Verteidigungsstrategie. In dem Verfahren soll geklärt werden, ob VW seinen Pflichten gegenüber Investoren nachgekommen ist.
Unmittelbar nach Aufdeckung des Abgasbetrugs durch die US-Behörden war der Kurs der VW-Aktie eingebrochen - zeitweise verloren die Vorzugspapiere fast die Hälfte ihres Werts. Anleger erlitten zwischenzeitlich erhebliche Verluste. Investoren wie die Sparkassentochter Deka, die als Musterklägerin gegen VW auftritt, verlangen Schadenersatz.
VW hat alleine für Vergleiche in Nordamerika über 25 Milliarden Euro verbucht. Sollten die Anleger sich vor Gericht durchsetzen, könnte es noch teurer werden: Im Musterverfahren geht es um Schadenersatzansprüche von 3,1 Milliarden Euro, rund 1600 Klagen wurden bisher am Landgericht Braunschweig ausgesetzt. Insgesamt belaufen sich die Forderungen der 1650 eingereichten Klagen überwiegend institutioneller Anleger auf mehr als 9 Milliarden Euro. Die erste Anhörung beginnt am 3. September.
Laut Gesetz müssen Nachrichten, die den Firmenwert beeinflussen können, umgehend („ad hoc“) veröffentlicht werden. Das habe Volkswagen versäumt, meinen die Kläger. In der Klageerwiderung von VW heißt es , die Ad-hoc-Pflicht setze „ein erhebliches Kursbeeinflussungspotenzial der betreffenden Information voraus“. Diese Kursrelevanz habe seinerzeit gefehlt, da man den möglichen Schaden als vergleichsweise gering eingeschätzt habe.
VW rechnete laut Klageerwiderung damit, dass sich Strafzahlungen im Rahmen der bisherigen Behördenpraxis bewegen würden. Das hätte eine Größenordnung bedeutet, die bei Erlösen von über 200 Milliarden Euro und hohen Rückstellungen für Gewährleistungen und Kulanzen keine Relevanz für den Kapitalmarkt gehabt hätte.
Das sehen die Kläger anders. Die Argumentation von VW greife zu kurz, sagte Julius Reiter von der Kanzlei Baum-Reiter. In der Diesel-Affäre gehe es nicht nur um die Höhe der Bußgelder in den USA, sondern auch um den immensen Vertrauensverlust bei den Kunden. „Wenn ein Sportler des Dopings überführt wurde, glaubt man auch nicht, dass er nur in einem Wettkampf gedopt war - damit steht doch das Vertrauen in seine sportliche Leistung insgesamt in Zweifel".
Von Thoams Strünkelnberg und Jens Heitmann