Richtig niesen, cool bleiben und auf Oma aufpassen – Deutschland in Zeiten von Corona
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12.03.2020, Berlin: Eine Frau sitzt an einer Bushaltestelle vor einer elektronischen Werbetafel mit einer Illustration des Coronavirus.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Es sind seltsame Zeiten. Die Restaurants sind leer. Es ist leiser als sonst. Auch mal ganz schön. Aber Roland-Emmerich-Filme beginnen so. Ein Nachrichtensprecher sagt, Frankreich habe alle Schulen geschlossen. Das Bild flackert. Schnitt. Die Kanzlerin blickt ernst und rät dazu, Kontakte zu vermeiden. Schnitt. Spielende Kinder im Kindergarten, eine Erzieherin hustet, Tröpfchen fliegen in Zeitlupe ins Licht der Sonne. Schnitt. Ein Familienvater wuchtet Mehlsäcke aus dem Kofferraum seines Kombis in den Keller. Er blickt zum Himmel auf, als lauere dort das Böse. Schnitt. Kameraschwenk durch ein leeres Theater, ein Programmzettel flattert in den Gang. Schnitt. Unruhige Hunde in einem Zwinger bellen die Luft an. Hunde gehen immer. Schnitt. Zwei Forscher stehen im Labor, Reagenzgläser in den Händen, der eine blickt den anderen an, ein Schweißtropfen auf seiner Stirn fällt in eine Petrischale. Schnitt.
“Weißt du noch, Corona?”
Aber das hier ist kein Hollywoodfilm. Es ist die Realität. Es ist Deutschland im März 2020. Von der Apokalypse sind wir weit entfernt, aber es liegt doch ein merkwürdiger Schatten über der Welt. Man spürt, dass dieser Schatten ein ernstes Problem werden könnte – nicht muss, aber könnte. Niemand weiß, ob wir in einem Jahr lachen werden über unsere kollektive Paranoia von heute. Möglich, dass wir sagen werden: “Weißt du noch, Corona? Wir sind durchgedreht! Die haben Schulen dicht gemacht. Die haben Drive-in-Zelte für Schnelltests aufgestellt. Und Europäer durften nicht nach Amerika. Unfassbar!” Möglich aber auch, dass wir sagen werden: “Wahnsinn. Die haben in Deutschland die Schulen und Behörden erst geschlossen, als alles schon bekannt war.”
Wahr ist: Es gibt im Moment im Kern nur drei Dinge, die jeder gesunde erwachsene Mensch, der keiner Risikogruppe angehört, tun kann. Und das ist: richtig niesen, cool bleiben und auf Oma aufpassen.
Punkt eins: Richtig niesen
Seuchenschutzexperten raten dazu, in die Armbeuge zu niesen. Das klingt plausibel. Ich habe es voller Zuversicht versucht. Dabei habe ich Folgendes festgestellt: Es ist mir nicht möglich, meine Armbeuge in einen zweckmäßigen Winkel zur Nase zu führen, ohne Schmerzen in der Schulter zu erleiden. Dies gilt beidseitig. Zu dem scharfem Leibreißen also, dass ich bei heftigem Niesen ohnehin schon verspüre, kommt dank Corona noch Schulterschmerz dazu. Ich bin trotzdem bereit, mein Niesverhalten zum Wohle der Gesellschaft und zur Erhaltung der Spezies zu überprüfen.
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So geht das: Der baden-württembergische Sozialminister Manfred Lucha (Bündnis 90/Die Grünen) demonstriert bei einer Pressekonferenz das korrekte Niesen in eine Armbeuge.
© Quelle: Bernd Weißbrod/dpa
Dabei zweifle ich gelegentlich am Nutzen des Armbeugenniesens. Denn die gleichen Seuchenschutzexperten werben aktuell für den sogenannten Ebolahandschlag. Das ist das Aneinanderreiben der Ellbogen, so wie es auch Jens Spahn gern öffentlich praktiziert. Das heißt: Im schlechtesten Fall nähert sich der Armbeugenschnodder zweier Probanden auf wenige Zentimeter an. Noch schlimmer ist nur Schunkeln mit vollgeniester Armbeuge, das sogenannte Schnodderschunkeln. Und verschränken Sie bloß nicht beide Arme. Sonst haben Sie den Kram doch wieder an der Hand. Denn die Hände landen wo? In der Armbeuge.
Klappt selten: Nach innen niesen
Viele Menschen versuchen, eruptive Nasalexplosionen ganz zu unterdrücken. Sie unterdrückten den Reflex mit einem verzweifelten “Nnnnng!!”. Im Erfolgsfall produziert dieser Vorgang ein stimmloses Glucksen bei gleichzeitigem huhnartigen Kopfrucken. Sie niesen quasi nach innen. Und zwar mit Schmackes. Da Druck aber immer irgendwo entweichen muss, beträgt die Erfolgsrate nur etwa 50 Prozent. Der Anblick eines Nieswilligen, dem ein nach innen gerichteter Nieser misslingt, gleicht etwa dem eines Menschen, dem auf einen Schlag alle Sicherungen rausfliegen. Er wird quasi zum Humanknallfrosch.
Die Auswirkungen können verheerend sein. Die unplanmäßig entweichende Luft unterliegt nun keinerlei Kontrolle mehr. Es ist quasi eine biologische Kernschmelze. Der auf diese Weise versehentlich dynamisierte Schnodder kann Entfernungen von bis zu 16 Metern zurücklegen. Ein einzelner fehlgeschlagener Invertnieser kann also auf einen Schlag ganze Elternabende infizieren. Generell gilt in Coronazeiten: So wenig niesen wie möglich. Und so weit weg von allen anderen. Und in die Armbeuge. In dem guten Gefühl, es wenigstens versucht zu haben.
Punkt zwei: Cool bleiben
Nicht einfach, aber möglich. Das Problem ist, dass wir alle inzwischen kleine Hollywoodregisseure unserer Wirklichkeit sind, die sich mit großer Lust in den sozialen Medien in erregendem Weltuntergangsgrusel suhlen. Filme wie “Outbreak” oder “Contagion” haben uns diese fiesen Weltkarten ja hinreichend vor die aufgeregte Nase gehalten, in denen die roten Punkte einer tödlichen Seuche in Rekordzeit den Planeten überziehen wie Schokoladenguss einen Marmorkuchen. Und Angst verkauft eben besser als Sex. “Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht”, hat Mark Twain gesagt. Das gilt vor allem, wenn es wenig gesicherte Fakten gibt. Dann lässt Corona Lücken für die eigenen Ängste – und für massig Spinnereien in den sozialen Netzwerken.
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Der Durst nach gesicherten Fakten machte ihn zum Medienstar: Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin.
© Quelle: picture alliance/dpa
Um so wichtiger ist es, dass Medien das Gesicherte und das Spekulative sauber trennen. Weniger berichten ist keine Option. Das Interesse des Publikums ist nicht gewaltig – es ist gigantisch. Also: den Experten Raum geben. Das Richtige berichten.
Durst nach gesicherten Fakten
Es ist der Durst nach gesicherten Fakten, der zum Beispiel Christian Drosten, 48 Jahre alt und Chefvirologe an der Berliner Charité, zum Star werden ließ. Fast jeden Tag ist er im Fernsehen zu hören. Er erklärt, ordnet ein, vergleicht. Drosten spricht unaufgeregt, mit Fakten unterfüttert, in einer klaren Sprache. Er beschönigt nicht, er folgt keiner politischen Agenda, er referiert nicht, er ist niemandem Rechenschaft schuldig als der wissenschaftlichen Wahrheit. Er sagt, was Stand der Dinge ist. Es sind Menschen wie Drosten, die dem Land dabei helfen können, cool zu bleiben, weil sie die Hoffnung schüren, dass es in jeder Krise Menschen gibt, die bei all den Unsicherheiten wissen, was wann wie zu tun ist.
Punkt drei: Auf Oma aufpassen
Die Kinder haben es verstanden. Sie wissen, was zu tun ist. Deutschstunde in einer niedersächsischen Grundschule: Zwei achtjährige Drittklässer schreiben auf, was sie vom Coronavirus wissen. “In vielen betroffenen Ländern werden Messen abgesagt und Geschäfte geschlossen”, schreiben sie in hüpfenden Kinderbuchstaben in ihr Aufsatzheft. Und dann folgt der wichtigste Satz, der Satz, der verrät, worauf es wirklich ankommt in diesen unruhigen Zeiten:
“Durch das Coronavirus müssen Großeltern geschützt werden”: Satz aus dem Aufsatzheft eines achtjährigen Drittklässlers in Niedersachsen.
© Quelle: Imre Grimm
“Durch das Coronavirus müssen Großeltern geschützt werden.” Genau so ist es. Denn am Ende geht es nicht um Klopapierknappheit, nicht um Nudelsäcke und Prügeleien um Desinfektionsmittel bei Aldi, nicht um “Geisterspiele” oder das gestrichene Konzert am Wochenende. Es geht um Solidarität, um das Gefühl, in ungewissen Zeiten füreinander da zu sein. Auf Oma aufpassen heißt auch das zu tun, was die Wissenschaftler raten: wenig Sozialkontakte, Menschenmassen meiden, für Ältere einkaufen gehen, Medikamente von der Apotheke abholen, einfach mal anrufen und fragen, was helfen würde.
“Unserem innersten Wesen viel näher”
“In Ausnahmesituationen kommen wir unserem innersten Wesen sehr viel näher”, schrieb der Schweizer Lyriker Robert Lerch. Das ist nicht automatisch tröstlich, aber wahr. Deshalb feiert Hollywood Ausnahmesituationen so. Fast jeder Film, jede Serie und jeder Roman spielt vor dem Hintergrund einer Ausnahmesituation. In diesem Fall besteht sie in der Ungewissheit. Pandemie ist ein mächtiges Wort. Im Moment aber bleiben drei Dinge: richtig niesen, cool bleiben und auf Oma aufpassen.