Verdrehte Wahrheit: Sozialpsychologin erklärt Corona-Verschwörungstheorien
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/VW3MFI4KPND4NIWXD2QKKKOTTQ.jpeg)
Oft werden Verschwörungstheorien über soziale Medien und Messengerdienste verbreitet. Wer sowas beobachtet, sollte das direkte Gespräch suchen.
© Quelle: Andrea Warnecke/dpa-tmn
Mainz. Die Sozialpsychologin und Buchautorin Pia Lamberty beobachtet in der Corona-Krise nach eigenen Worten eine Wiederbelebung von bereits bekannten Verschwörungstheorien. "Ich habe die Vermutung, dass eine weltweite Pandemie wie Corona ein Verstärker ist für Verschwörungsglauben, der aber schon vorher da war", sagte die Mainzer Wissenschaftlerin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Lamberty ist Co-Autorin des Buches "Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen", das am Freitag erscheint.
Frau Lamberty, derzeit zirkulieren Verschwörungstheorien zum Coronavirus online wie offline. Welcher Typ Mensch glaubt zum Beispiel, dass das Virus im Labor als Biowaffe gezüchtet wurde oder die Krise eine Inszenierung ist, um eine neue Weltordnung zu schaffen?
Bis vor einigen Jahren hat man die Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, abgetan als “Das sind bloß die Verrückten!” Ich spreche von ‘Erzählungen’ statt ‘Theorien’, weil es für Verschwörungsglauben oft keine wissenschaftliche Grundlage gibt. In der Corona-Krise ist das Thema auf einmal persönlich geworden, denn viele haben im eigenen Umfeld die Erfahrung gemacht, dass Verschwörungserzählungen oder auch Versatzstücke davon geteilt werden und das unabhängig vom Bildungsstand. Ich habe die Vermutung, dass Corona ein Verstärker ist für Verschwörungsglauben, der aber schon vorher da war. Schon vor der Krise vermuteten 20 Prozent der Deutschen eine Verschwörung hinter der Impfpflicht, diese Verschwörungsmentalität wird jetzt aktiviert.
Zivilcourage zeigen und kritische Beiträge melden
Inwiefern dienen soziale Medien gerade als Beschleuniger von Verschwörungserzählungen?
Soziale Netzwerke wie Facebook und auch Videoplattformen wie Youtube haben einen großen Effekt, denn die Geschichten werden dort geteilt. Die Plattformen machen zu wenig gegen Verschwörungsglauben, da sehe ich Handlungsbedarf. Es gibt keine Strategie der gezielten Ent-Verschwörung. Der Messengerdienst Telegram hat seit Mitte März einen extremen Zulauf. Vor allem prominente Verschwörungstheoretiker wie Attila Hildmann, Eva Herman oder Xavier Naidoo nutzen ihn, um ihre Abonnenten mit Push-Benachrichtigungen zu versorgen.
Was können Nutzer sozialer Netzwerke dagegen tun, wenn Diskussionen über Corona nicht mehr rational geführt werden und Feindbilder aufgebaut werden?
Die Frage ist immer: Will ich die Person überzeugen, die Verschwörungsglauben verbreitet und teilt, oder will ich nicht, dass krude Geschichten unwidersprochen bleiben? Das erste ist schwieriger und lohnt vielleicht nur, wenn ich die Person kenne und noch erreichen kann. Diese Situation ist oft sehr belastend. Das zweite wäre dann Zivilcourage, die uns alle angeht. Wir müssen eine gesellschaftliche Debatte über Verschwörungsglauben führen und analysieren, welche Strategien es dagegen geben kann wie zum Beispiel Bildungsangebote in Schulen.
RND/epd