Wenn das Smartphone zur Mobbingfalle wird
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Das Netz vergisst nicht: Anders als beim herkömmlichen Mobbing, befinden sich die oft sehr demütigenden Informationen über Mobbingopfer noch Jahre im Internet.
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Hannover. Freitagnacht, 23 Uhr. Ein leises Wimmern dringt aus dem Zimmer der zwölfjährigen Hannah. Als die Mutter nachfragt, was los ist, antwortet das Mädchen erst sehr zögerlich, doch dann bricht es aus ihr heraus: „Sie mögen mich alle nicht mehr, alle meine Freunde meinen, ich sei unfreundlich und doof.“ Seit mehreren Stunden hatte Hannah verzweifelt versucht, auf eine Whatsapp-Nachricht zu reagieren. Dort hatte sich eine Gruppe von Freunden über sie beschwert – auf Anrufe und Nachrichten ihrerseits reagiert anschließend niemand, und selbst ihre beste Freundin geht nicht an ihr Smartphone.
Die Mutter beruhigt ihre Tochter. Gemeinsam beratschlagen sie, die ganze Sache über das Wochenende auf sich beruhen zu lassen. Hannah will am nächsten Schultag persönlich mit den Verursachern des Dramas sprechen.
Was ins Netz kommt, bleibt oft im Netz
Was als harmlose Geschichte beginnt, kann in Cybermobbing ausarten, weiß Martin Müssens von der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen. „Mit dem Begriff ist das bewusste Beleidigen, Bloßstellen oder Bedrohen von Personen im Internet gemeint. Dabei sind die Grenzen zwischen Mobbing online oder offline oft fließend“, erklärt er. Allerdings hat das Cybermobbing einen stärkeren Nachhaltigkeitseffekt, da die Informationen oft noch Jahre später im Netz kursieren und abrufbar sind. Grundsätzlich gilt: Was ins Netz kommt, bleibt oftmals im Netz. Zudem können über Gruppenchats und soziale Netzwerke schnell große Personenkreise erreicht werden und eine Vielzahl von Beleidigungen auf das Opfer einprasseln. Über das Smartphone holen die Beleidigungen zudem das Opfer auch zu Hause immer wieder ein – sichere Rückzugsräume sind so kaum vorhanden.
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Sensibles Thema: Gemobbte Jugendliche verspüren oftmals eine große Scham, über das Erlebte zu sprechen. Manche wollen auch ihre Eltern schützen.
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Das können Eltern tun
„Deshalb ist es wichtig, frühzeitig über Cybermobbing aufzuklären“, betont der Referent. Die Folgen des virtuellen Mobbings können gravierend sein. „Die Betroffenen ziehen sich oft zurück, gehen nur noch sehr ungern zur Schule, bekommen gesundheitliche Probleme und können nicht mehr schlafen“, berichtet Müssens. Er warnt davor, dem Kind Vorwürfe zu machen, wenn es sich erst sehr spät anvertraut hat. Opfer von Cybermobbing empfinden oft eine große Scham oder wollen ihre Eltern vor den Problemen schützen. „Dem Kind das Handy wegzunehmen bringt ebenfalls nichts. Im Gegenteil, es kann dazu führen, dass es zukünftig nicht mehr über seine Probleme spricht, weil es vor einem Handyverbot Angst hat!“ Zudem wäre das Kind hierdurch von vielen Kommunikationsprozessen abgeschnitten und in Teilen zusätzlich isoliert.
Cybermobbing ist vielen Jugendlichen bekannt
Denn das Handy ist inzwischen das wichtigste Kommunikationsmittel von Jugendlichen. Mit 97 Prozent haben so gut wie alle Zwölf- bis 19-Jährigen ein eigenes Smartphone. Das geht aus der Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest (Impfst) aus dem Jahr 2017 hervor, die 1200 Jugendliche zu ihrer Handynutzung befragte. Danach berichtet jeder fünfte Jugendliche, dass schon einmal falsche oder beleidigende Inhalte über seine Person im Netz oder über das Handy verbreitet wurden. Und zwei Fünftel der Jugendlichen können bestätigen, dass in ihrem Bekanntenkreis schon mal jemand im Internet fertiggemacht wurde. Mit zunehmendem Alter und damit erweitertem Erfahrungshorizont steigt der Anteil: Jeder Vierte im Alter von zwölf bis 13 Jahren kann von solchen Vorfällen im Bekanntenkreis berichten. Bei den volljährigen Jugendlichen sind es mit 46 Prozent dann fast doppelt so viele. An Haupt- und Realschulen hat fast jeder Zweite solche Vorfälle mitbekommen, an Gymnasien ist es jeder Dritte.
So schnell können Konflikte entstehen
Dabei ist es nicht immer gleich böse Absicht, wenn Bilder und Texte herumgeschickt werden, die beleidigend sein können. „Bilder, die auf den ersten Blick lustig sind, können auf den zweiten kränkend wirken“, meint Martin Müssens. Wer betroffen ist, sollte auf keinen Fall zurückbeleidigen, „denn dann können Konflikte schnell eskalieren. Besser ist es, in leichteren Fällen klarzumachen, dass einen die Nachricht verletzt.“
Auch wichtig: Man sollte sich Unterstützung holen, da es beim Mobbing immer ein Ungleichgewicht der Kräfte zwischen dem Betroffenen und dem Verursacher gibt. Helfen können Medienscouts und Beratungslehrer, Eltern oder ältere Geschwister. Der Gang zur Polizei ist dann angeraten, wenn es um sehr problematische Inhalte wie Nacktbilder, schwere Beleidigung oder Bedrohung geht. „Diese Fälle sollten sofort mit Bildschirmfotos protokolliert werden, denn sie dienen als Beweismittel.“
Handeln nur zusammen mit dem Kind
Eltern rät der Referent der Landesanstalt für Medien NRW, nichts ohne Absprache mit dem Kind zu unternehmen. „Es ist ganz wichtig, hier eine Kultur des Austauschs mit dem Kind zu schaffen und ihm keine Vorwürfe zu machen. Besser ist es, ihm klarzumachen, dass es nichts falsch gemacht hat, und sofort mit ihm konkrete Schritte zu besprechen“, ist die Erfahrung von Martin Müssens aus seiner Beratungstätigkeit.
Von Sonja Steiner/RND