Wenn die Kita ausfällt: Ein digitaler Morgenkreis als Ritual in Krisenzeiten
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Flächendeckend sind Schulen und Kitas wegen der sich weiter ausbreitenden Coronavirus-Pandemie geschlossen, und die Kinder müssen zu Hause betreut werden.
© Quelle: Uwe Anspach/dpa
Hüffelsheim. Kindertagesstätten haben geschlossen, eine Notbetreuung gibt es nur für Eltern in systemrelevanten Berufen. Viele Wochen ohne Kita sind eine große Herausforderung für Kinder und Eltern gleichermaßen. Es fehlt ein wichtiger Anker im Alltag. Martin Mucha und sein Team von der Kita Zauberwind wollen die Familien aus seiner Kita unterstützen, und zwar mit Videoinhalten und einem digitalen Morgenkreis. Im RND-Interview spricht der Pädagoge über seine ungewöhnliche Idee.
Wie sieht aktuell die Situation in Ihrer Kita aus? Gibt es eine Notbetreuung?
Wir haben wie alle anderen Kindertagesstätten des Landes geschlossen – mit Ausnahme einer Notfallgruppe für Kinder, deren Eltern in Kliniken, bei der Polizei oder anderen wichtigen Positionen in der Gesellschaft arbeiten. Dieses Angebot haben bisher aber noch keine Eltern genutzt, vor allem, weil sie andere Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder gefunden haben. Für alle Fälle stünden aber Erzieherinnen für eine Notfallbetreuung bereit.
Unser Grundgedanke war es, den Kindern etwas mehr Halt in diesen Krisenzeiten zu bieten und die Bindung zu ihren Erziehern und den Kita-Freunden aufrechtzuerhalten – wenigstens virtuell.
Wie entstand die Idee, einen digitalen Morgenkreis und Youtube-Videos mit Geschichten, Bastelanleitungen und Spielen anzubieten?
Wir haben uns schon in den letzten Wochen darüber Gedanken gemacht, wie wir mit einer möglichen Schließung wegen der Corona-Pandemie umgehen können und welche Wege es gäbe, die Familien zu unterstützen. Unsere Kita ist ohnehin sehr digital aufgestellt, und da lag es einfach nah, digitale Inhalte für die Familien zu produzieren. Unser Grundgedanke war es, den Kindern etwas mehr Halt in diesen Krisenzeiten zu bieten und die Bindung zu ihren Erziehern und den Kita-Freunden aufrechtzuerhalten – wenigstens virtuell. Unsere erste Idee war deshalb ein täglicher Morgenkreis im Livestream. Außerdem haben wir zahlreiche Videos mit Spielen oder Geschichten produziert. Das Ganze war für uns auch ein großes Experiment. Keiner wusste vorher, wie die Idee bei den Eltern ankommt.
Wie muss man sich einen digitalen Morgenkreis vorstellen?
Derzeit gibt es für jede der vier Gruppen einen digitalen Morgenkreis. 15 Minuten lang, ganz wie ein normaler Morgenkreis. Alle Kinder werden begrüßt, jeder darf erzählen wie es ihm geht. Es wird gesungen, Fingerspiele gemacht, der Wochentag erklärt, und zum Abschied gibt es wieder ein Lied. Die Eltern können sich ganz einfach ohne zusätzliche Software einwählen – über ein Tablet, einen Laptop oder sogar ein Smartphone. Die Reaktion der Eltern haut uns echt um. Wir kriegen viele Dankes-Mails, und inzwischen nehmen über 50 Kinder an den Morgenkreisen teil. Außerdem produzieren die Eltern sogar eigene Videos für den Youtube-Kanal – sie lesen kleine Geschichten vor oder erklären, wie man Knete selbst machen kann. Mit einer solch positiven Resonanz hätten wir nie gerechnet.
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Zur Person: Martin Mucha ist Digitalexperte und Kita-Leiter der Kindertagesstätte Zauberwind in Hüffelsheim, Rheinland-Pfalz. Der 39-Jährige Pädagoge hat selbst drei Kinder.
© Quelle: Privat
Was passiert auf dem eigenen Youtube-Kanal der Kita?
Wir haben uns bewusst für zusätzliche Videos entschieden, die zeitunabhängig abrufbar sind. Manche sind öffentlich, manche nur für unsere Kinder. Mit diesen Inhalten wollen wir den Familien helfen – mit kreativen Anleitungen zum Basteln und Backen oder durch eine kleine Auszeit vor dem Tablet. Wir haben zum Beispiel ein interaktives Versteckspiel aufgenommen. Dabei verstecken sich die Erzieherinnen auf unserem Kita-Gelände und die Kinder können am Bildschirm beim Suchen helfen.
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Wie entstehen die Videos und die Inhalte des Morgenkreises?
Wir nutzen Zeit ohne Kinder sehr kreativ. Ein paar Kollegen sind für die technische Umsetzung und den Upload der Videos zuständig, andere kümmern sich um die pädagogischen Inhalte der Videos und des Morgenkreises. Wir haben auch einen Videoraum in der Kita eingerichtet. Von hier wird zum Beispiel der Morgenkreis per Tablet gefilmt. Außerdem drehen wir seit letzter Woche täglich neue Videos.
Trotzdem ist es völlig in Ordnung, die Kinder auch mal eine halbe Stunde vor dem Fernseher oder dem Tablet zu parken und sich so eine Verschnaufpause zu verschaffen.
Gerade bei kleineren Kindern sind viele Eltern zu Recht sehr auf strenge Medienzeiten bedacht. Darf man in dieser ungewöhnlichen Situation auch mal fünfe gerade sein lassen und dem Kind länger das Tablet überlassen?
Wir befinden uns in einer absoluten Ausnahmesituation. Viele Eltern haben Zukunftsängste und sind unsicher. Viele Existenzen stehen auf dem Spiel, andere arbeiten als Verkäuferin, Pflegepersonal oder Medizinerin am Limit ihrer Kräfte. Und die Großeltern können nicht zur Entlastung einspringen. Außerdem haben nicht alle Familien einen großen Garten hinter dem Haus. Natürlich sollen die Kinder nicht den ganzen Tag fernsehen. Trotzdem ist es völlig in Ordnung, die Kinder auch mal eine halbe Stunde vor dem Fernseher oder dem Tablet zu parken und sich so eine Verschnaufpause zu verschaffen. Immerhin müssen wir alle mit unseren Kräften haushalten. Niemand weiß, wann der Alltag zurückkehrt.
Wie kann man digitale Medien zur kreativen Beschäftigung nutzen?
Es gibt zahlreiche, wertvolle Apps für Kinder, zum Beispiel von der “Sendung mit der Maus”. Dort gibt es die Clips und kleinere Spiele für die Kinder. Listen zu guten Apps findet man bei Initiativen wie “Schau hin!” oder dem Deutschen Jugendinstitut. Auch die Podcast- und Hörspielangebote für Kinder sind über das Tablet oder das Smartphone sehr einfach abrufbar. Außerdem kann man mithilfe von Tablets und Smartphones die Welt entdecken. Zum Beispiel lassen sich kleine Endoskop-Kameras oder Mikroskope verbinden. Damit können die Kinder prima Fundstücke aus der Natur – Blätter, kleine Knospen oder Käfer – untersuchen oder einen vorsichtigen Blick ins nächste Astloch werfen. Toll finde ich auch Apps, mit denen Kinder selbst Bücher gestalten oder Stop-Motion-Filme aufnehmen können. Sogar das Komponieren von eigenen Musikstücken ist kinderleicht möglich. Kleinere Kinder können auch malen und zeichnen auf dem Tablet. Das macht ihnen oft viel Freude. Und die Zeit vor dem Tablet wird kreativ und produktiv genutzt.