Interview mit Ökologin

Windkraft auf Kosten des Artenschutzes? „Grundsätzlich alle Bauvorhaben verhindern zu wollen ist Quatsch“

Die Bundesregierung will 2 Prozent der Landesfläche Deutschlands für Windenergie ausweisen, doch es gibt diverse Hindernisse: Abstandsregeln zu Siedlungen, Wetterradaren und Navigationsanlagen für den Luftverkehr sowie strenge Auflagen für den Artenschutz.

Die Bundesregierung will 2 Prozent der Landesfläche Deutschlands für Windenergie ausweisen, doch es gibt diverse Hindernisse: Abstandsregeln zu Siedlungen, Wetterradaren und Navigationsanlagen für den Luftverkehr sowie strenge Auflagen für den Artenschutz.

Frau Böhning-Gaese, die Bundesregierung will die Windkraft an Land und auf See in den nächsten Jahren stark ausbauen und erneuerbaren Energien den Status einer „überragenden öffentlichen Bedeutung“ zuschreiben. Andere Schutzgüter sollten nachrangig bewertet werden. Was geht Ihnen dabei als Ökologin durch den Kopf?

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Zunächst dachte ich, dass das eines dieser Beispiele dafür ist, wo wir einen Konflikt zwischen Klimaschutz und Artenschutz haben. Nachdem ich mich aber intensiver damit auseinandergesetzt habe, denke ich, dass man beides zusammen bringen kann. Klimawandel und Artensterben sind Symptome des gleichen Problems: Wir Menschen übernutzen die Natur.

Die Schlagzahlen an Windkrafträdern sind schon erheblich.

Haben Sie ein Beispiel?

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Für den Rotmilan wurden 2007 beispielsweise Modelle zur zukünftigen Verbreitung berechnet. Das sieht miserabel aus. Seine Bestände werden laut dieser Modelle in Südeuropa und auch Deutschland dramatisch zurückgehen. Der Klimawandel könnte einen sehr starken Einfluss auf diese Art haben. Wir bauen nun Windkraftwerke, um den Klimawandel nicht noch zu verstärken und weiterhin genug Energie zu haben. Auch das hat einen Effekt auf Greif- und Zugvögel wie den Rotmilan. Sie geraten zwischen die Rotorblätter und sterben. Die Schlagzahlen an Windkrafträdern sind schon erheblich.

Entlastungspaket: Habeck kündigt „Ausrufezeichen“ für mehr Energieeffizienz an
 25. Bundestagssitzung der Haushaltswoche im Deutschen Bundestag Aktuell,24.03.2022 Berlin, Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck Gruene im Portrait bei seiner Rede zum Haushalt Wirtschaft und Klimaschutz bei der 25. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin Berlin Berlin Deutschland *** 25 Bundestag session of the budget week in the German Bundestag Current,24 03 2022 Berlin, economy and climate minister Robert Habeck Gruene in portrait during his speech on the budget economy and climate protection at the 25 session of the German Bundestag in Berlin Berlin Germany

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen schrittweise reduzieren.

Wie eindeutig sind diese Zahlen?

Man kann das nur schätzen, weil nur ein Teil der toten Tiere erfasst wird und auch die Todesursache nicht immer eindeutig ist. Aber seit 2000 verzeichnet eine Erhebung beispielsweise über 600 durch Windkraftanlagen verstorbene Milane, die in Deutschland gemeldet wurden. Das ist schon viel. Man kann nicht genau sagen, ob die Schlagzahlen so dramatisch sind, dass eine ganze Population gefährdet ist. Aber es ist auf jeden Fall ungünstig, wenn Klimaschutzmaßnahmen und Klimawandel der Art gleichzeitig zu schaffen machen.

Vogelexperten und -expertinnen werden ganz gezielt angesprochen, mit dem Hinweis, doch bitte genau in dieser Region mal einen Rotmilan zu finden, damit das Windkraftrad nicht gebaut wird.

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Wo neue Windräder gebaut werden sollen, entstehen regional oft Konflikte. Geht es dabei vor allem um den Artenschutz?

Bei konkreten Projekten entstehen oft Bürgerinitiativen, die das Bauen verhindern wollen. Wir werden da als Ornithologen und Ornithologinnen aber leider oft für ganz andere Interessen instrumentalisiert. Vogelexperten und -expertinnen werden ganz gezielt angesprochen, mit dem Hinweis, doch bitte genau in dieser Region mal einen Rotmilan zu finden, damit das Windkraftrad nicht gebaut wird. Da geht es dann aber eigentlich um den Komfort und Lebensraum der Anwohner und Anwohnerinnen – und nicht den Arten- und Klimaschutz.

Katrin Böhning-Gaese ist die Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) in Frankfurt am Main. Die Ornithologin und Ökologin forscht vor allem zu Populationsdynamiken bei Vögeln.

Katrin Böhning-Gaese ist die Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums und der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN) in Frankfurt am Main. Die Ornithologin und Ökologin forscht vor allem zu Populationsdynamiken bei Vögeln.

Wenn beispielsweise ein Rotmilan in Nähe der geplanten Baufläche gesichtet wird, reicht das nicht für den Stopp des Projekts?

Beim Artenschutz kommt es nicht auf jedes Individuum an, sondern die Bestände der Population. Diese dürfen nicht zurückgehen. Wenn nun einer Windkraftanlage ein Tier zum Opfer fällt, ist das hingegen Tierschutz. Dabei geht es um das Wohl des einzelnen Individuums, dessen Leid minimiert werden soll.

Das heißt, Sie sind als Ökologin nicht per se gegen den Ausbau der Windkraft?

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Grundsätzlich alle Bauvorhaben verhindern zu wollen, ist Quatsch. Wir brauchen ja die Windräder. Sie können durchaus auch im Sinne des Artenschutzes wirken, weil auch der Klimawandel selbst zum Artensterben führt. Wir müssen eben nur aufpassen, dass sie nicht an der falschen Stelle stehen.

Was sollte man also beim Windkraftausbau beachten?

Zum einen kommt es auf die gewählten Standorte an. Die Artenvielfalt ist in Deutschland nicht gleichmäßig verteilt. Es gibt Hotspots. Ein schlechter Standort für Windräder wäre beispielsweise ein Tal in den Alpen, wo besonders viel Vogelzug durchgeht. Oder eine naturnahe Landschaft, wo viele verschiedene Arten mit großen Populationen leben. Zweitens kann man die Windkrafträder auch ein paar Tage abschalten, wenn man weiß, dass gerade Zugvögel oder Fledermäuse vorbeifliegen. Technisch ist das möglich. Und drittens sollte man die erhöhten Mortalitätsraten an den Windkrafträdern durch Artenhilfsprogramme ausgleichen.

Blockade zwischen Windkraft und Artenschutz soll aufgelöst werden
 Windkraftanlage, Windräder, Windpark, Baden-Württemberg, Deutschland, Europa *** wind turbine, wind turbines, wind farm, Baden Württemberg, Germany, Europe Copyright: imageBROKER/Lilly ibxtke05773361.jpg Bitte beachten Sie die gesetzlichen Bestimmungen des deutschen Urheberrechtes hinsichtlich der Namensnennung des Fotografen im direkten Umfeld der Veröffentlichung!

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesumweltministerin Steffi Lemke stellen neue Eckpunkte für die zukünftige Windkraft und den Artenschutz vor.

Was meinen Sie damit?

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Meiner Einschätzung nach sind unsere Agrarlandschaft, unsere Wiesen, Weiden und Äcker momentan das größte Problem. Es gibt in Deutschland viel zu viel monotone, fast industriell betriebene Agrarfläche. Da gibt es dann beispielsweise keine Wiesen- und Feldvögel mehr, auch keine Hamster. Irgendwann geht dann auch Greifvögeln wie Rotmilanen und ihrem Nachwuchs das Futter aus. Gestalten wir unsere Agrarlandschaft wieder vielfältiger, kann das diverse Populationen stärken. Es bräuchte wieder mehr Hecken, Bäume, Brachflächen. Wiesen sollten weniger gedüngt und zweimal statt fünfmal im Jahr gemäht werden – und das möglichst spät. Auf den Feldern brauchen wir mehr Abwechslung in den Feldfrüchten und mehr natürlichen Pflanzenschutz. Das hilft der Natur, sich zu erholen, und gleicht zusätzlich die Schlagzahlen an den Windrädern aus.

Wir pokern mit unserer Sicherheit, wenn wir Arten verlieren.

Der Dreiklang aus Regionalplanung, Ausgleichsprogrammen und technischen Lösungen: Ist das in der Politik schon angekommen?

Ideen und Konzepte gibt es genug. Problematisch erscheint mir, dass auf politischer Ebene unterschiedliche Ressorts zuständig sind. Das Klima liegt im Wirtschaftsministerium, Agrar im Landwirtschaftsministerium, Naturschutz und Artenhilfsprogramme im Umweltministerium. Man muss das Thema aber systemischer denken und über die Ressorts hinweg eng zusammenarbeiten. Natur- und Artenschutz wird auch immer noch als weiches Thema betrachtet. Dabei ist das mindestens genauso wichtig wie der Klimaschutz und hängt auch eng damit zusammen.

Wieso ist es überhaupt ein Problem für uns Menschen, wenn immer mehr Arten schwinden?

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Oft ist uns gar nicht bewusst, wie existenziell wir auf die Artenvielfalt angewiesen sind. Die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, die Nahrung, die wir aufnehmen, ein Großteil unserer Medikamente: All das kommt direkt aus der Natur oder wird davon inspiriert. Es braucht die Biodiversität, damit Ökosysteme überhaupt funktionieren. Dadurch werden auch all die Leistungen zur Verfügung gestellt, die wir Menschen jeden Tag im Alltag nutzen. Es gibt auch Studien, die zeigen, dass Menschen, die viele Arten um sich herum haben, im Schnitt zufriedener sind als in artenarmen Regionen. Die Natur ist ein Netzwerk. Jede Art, die daraus verschwindet, schwächt das ganze System. Wir pokern mit unserer Sicherheit, wenn wir Arten verlieren.

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